BGH-Urteil zu Google-Suche

Löschen nur im Einzelfall

03:54 Minuten
Ein Finger zeigt auf einem iPad auf das Google-Suchfeld.
Entscheidende Klarstellung des Bundesgerichtshofs: Die Privatsphäre geht nicht automatisch vor. Die Interessen aller Seiten müssen abgewogen werden. © Lukas Schulze / dpa
Von Gigi Deppe · 27.07.2020
Audio herunterladen
Gibt es ein Recht auf Vergessen im Internet? Mit dieser Frage musste sich der Bundesgerichtshof auseinandersetzen – und er kam zum Schluss: Es kommt darauf an, ob die Information grundsätzlich stimmt und ob es ein öffentliches Interesse gibt.
Auf die Frage "Wann darf ein bestimmtes Suchergebnis nicht mehr angezeigt werden?" geben die Richterinnen und Richter eine typische Juristenantwort: Es kommt darauf an. Die Interessen von allen Seiten müssen abgewogen werden.
Wie stark ist das Interesse desjenigen, der nicht mehr im Netz gefunden werden möchte? Was ist mit der Internetseite, auf der die Informationen ursprünglich auftauchten? Was sind die Interessen der Suchmaschine? Und besonders wichtig: Muss nicht im Sinne der Allgemeinheit dafür gesorgt werden, dass bestimmte Dinge noch im Netz zu finden sind?
Der Bundesgerichtshof (BGH) hatte über zwei Klagen zu entscheiden: Eine hat er abgewiesen, die andere hat er zur Klärung dem obersten Gericht der EU vorgelegt. Im ersten Fall klagte ein Mann aus Hessen. Er wollte, dass Google nicht mehr zu bestimmten Presseartikeln verlinkt. Hier entschieden die Bundesrichter: Nein, die Artikel dürfen weiterhin im Suchergebnis aufgelistet werden.
Der Mann war Geschäftsführer eines regionalen Arbeiter-Samariterbundes gewesen. Die "Frankfurter Rundschau" hatte 2011 online darüber berichtet, dass sein Verband hohe Schulden hatte und dass er sich kurz vorher krankgemeldet habe.

Abwägung der Bundesrichter

Die Bundesrichter wägen ab: Einerseits werde hier zwar über etwas ziemlich Privates berichtet, nämlich über seinen Gesundheitszustand, andererseits sei die Information darüber sehr allgemein gewesen, so der Vorsitzende Richter Stephan Seiters: "Sie erlaubt keine Rückschlüsse auf die Art der Krankheit, sie konnte im Gegenteil als krankheitsbedingte Entschuldigung für seine Abwesenheit zur Unzeit sogar auch entlastend verstanden werden."
Und ganz wichtig: Die Artikel hätten sich mit den Schulden eines Wohlfahrtsverbandes beschäftigt. Das sei eine für die Öffentlichkeit wichtige Frage gewesen. Außerdem sei noch nicht so viel Zeit vergangen, dass die Sache aus Rücksicht auf die Privatsphäre des Mannes gesperrt werden müsste, so die Presserichterin des BGH, Dietlind Weinland:
"Wenn etwas sehr lang her ist, kann es sein, dass man sagt: Jetzt überwiegen die Interessen des Betroffenen. Hier aber muss man sehen, dass es sich um eine wichtige Wohlfahrtsorganisation handelt und dass die damaligen Vorgänge auch heute noch von Relevanz sind, und daher ist dem Faktor Zeit in diesem Fall keine allzu hohe Bedeutung beizumessen."
Entscheidende Klarstellung des BGH: Die Privatsphäre geht nicht automatisch vor. Die Interessen von allen Seiten müssen abgewogen werden. Was den Bundesrichtern die Entscheidung leicht machte, dass hier die Presseberichte eindeutig korrekt waren.

Der EuGH soll entscheiden

Anders im zweiten Fall: Da gab es Zweifel, ob die Informationen überhaupt stimmten. Geklagt hat ein Paar, dass über verschiedene Firmen Anlagemodelle anbietet. Auf einer US-amerikanischen Webseite wurde kritisch über das Paar berichtet. Die Kläger sagen, die amerikanische Seite sei unseriös, würde erst negativ über Unternehmen berichten und dann anbieten, gegen Geld die Berichte zu löschen.
Diesen Fall haben die deutschen Richter dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) vorgelegt. Er soll entscheiden, wie sich Suchmaschinen verhalten sollen, wenn nicht feststeht, ob die Informationen grundsätzlich stimmen und wann und wie die Suchmaschine Bilder der Betroffenen zeigen darf.

Hier hören Sie auch das Gespräch mit dem Juristen Oskar Gstrein zum Thema:

(ckr)

Das Aktenzeichen lautet: Az. VI ZR 405/18 und VI ZR 476/18

Mehr zum Thema