Recht auf Vergessenwerden im Internet

"Jedes Mal eine Einzelfallentscheidung"

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Google-Schriftzug auf Computermonitor und Löschungsantrag, Datenlöschung von Google-Suchergebnissen.
Die Anzeige zum Antrag auf Datenlöschung von Google-Suchergebnissen. © imago/Christian Ohde
Till Kreutzer im Gespräch mit Stephan Karkowsky · 27.07.2020
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Muss eine Suchmaschine mir unliebsame Links entfernen? Einen solchen Fall behandelt heute der BGH. Und muss dabei abwägen zwischen öffentlichem und privatem Interesse und dem Recht auf Vergessenwerden im Internet.
Stephan Karkowsky: Das Internet vergisst nichts, heißt es. Was auch immer mal über Sie geschrieben wurde, lässt sich wiederfinden, dank Google. Was aber, wenn ich das nicht will? Kann ich den Suchmaschinenbetreiber Google dazu verpflichten, die Links zu den Informationen über mich zu vergessen? Darüber verhandelt heute der Bundesgerichtshof.
Till Kreutzer, Sie sind als Anwalt und Rechtswissenschaftler auf solche Fälle spezialisiert. Zunächst mal, worum geht es in diesen beiden Fällen konkret?

Till Kreutzer: In dem einen Fall geht es um einen Mann, der in einer Wohlfahrtsorganisation tätig war. Darüber wurde berichtet, es gab irgendwelche finanziellen Unregelmäßigkeiten. Und dieser Mann hat sich dann krank gemeldet und jetzt versucht er, dass diese Berichte bei Google nicht mehr aufpoppen.

Und in dem anderen Fall ging es um ein Ehepaar, die irgendetwas mit Finanzdienstleistungen zu tun hatten und offenbar ein sehr aufwändiges Jetset-Leben geführt haben. Darüber wurde dann in den Medien berichtet, es gibt Fotos und Artikel, in denen über den Lebenswandel einfach berichtet wurde.

"Unfassbar viele Fälle"

Karkowsky: Das klingt jetzt nicht sonderlich spektakulär. Hat es zu solchen Fragen nicht gefühlt schon etliche Urteile gegeben?

Kreutzer: Ja, das hat es in der Tat. Wenn es um Persönlichkeitsrechte geht, ist es jedes Mal eine Einzelfallentscheidung. Deshalb gibt es auch so unfassbar viele Fälle. Selbst beim BGH landen halt sehr, sehr viele Fälle dieser Art, weil die Einzelheiten des jeweiligen Falles immer wieder sehr unterschiedlich sind und immer wieder neu gewichtet werden müssen.

Hier ist jetzt die Besonderheit vor allem aber, dass vor zwei Jahren, 2018, die Datenschutzgrundverordnung in Kraft getreten ist. Und in der ist ein solches Recht auf Vergessen oder auf Vergessenwerden konkret geregelt. Vorher war das so eine Art Richterrecht, das hat der Europäische Gerichtshof 2014 mal entwickelt, ohne dass das in einem Gesetz stand. Und jetzt gibt es eine gesetzliche Grundlage.

Karkowsky: Wie lautet die nämlich?

Kreutzer: Na ja, das ist eine sehr komplexe Vorschrift mit vielen Absätzen. Aber letztlich steht da drin, dass jemand, der wird Betroffener genannt, also eine Person, über die halt Daten und Informationen zum Beispiel im Internet verbreitet werden, dass die unter bestimmten Voraussetzungen dagegen vorgehen und die Löschung dieser Informationen und Daten – also das Vergessen – verlangen kann.
Und dafür ist eine Abwägung zwischen den Interessen dieser Person zu treffen, dem individuellem Interesse an Persönlichkeitsrechten, und dem Interesse der Öffentlichkeit an Informationen und zum Beispiel so etwas wie Pressefreiheit, die ja darauf angewiesen ist, dass eben nicht einfach jeder dafür sorgen kann, dass ihm unliebsame Berichte aus dem Internet und damit aus dem öffentlichen Interesse verschwinden.

Öffentliches versus individuelles Interesse

Karkowsky: Nun haben wir beide keine Glaskugel, aber Sie sind der Mann mit viel Erfahrung in solchen Fällen. Lässt sich absehen, in welche Richtung die Richter entscheiden dürften heute?

Kreutzer: Ich habe so meine Vermutung in diesem einen Fall mit dem Herrn vom Wohlfahrtsverband, glaube ich, das ist halt so eine Wertungsentscheidung. Ist sein Interesse wichtiger? Sind die Daten und Informationen, die da gelöscht werden sollen, sehr sensibel oder weniger sensibel? Und wie hoch ist auch heute noch das Interesse an dieser Berichterstattung, dass das nicht aus dem öffentlichen Gedächtnis getilgt wird?

Ich glaube, das wird der BGH entscheiden. In der Vergangenheit hat er häufig dem öffentlichen Interesse mehr Gewicht beigemessen als dem individuellen Interesse an diesen Persönlichkeitsaspekten.

Und in dem anderen Fall kann es gut sein, dass der BGH diese Frage dem Europäischen Gerichtshof vorlegt, weil es darin um einen ganz entscheidenen Punkt geht, der bisher noch nicht so ganz geklärt ist: In diesem Fall wurde von den Betroffenen behauptet, dass diese Informationen, die im Netz stehen und dann über Google gefunden werden können, falsch seien. Und die Frage, die sich hier stellt, ist: Kann ein Suchmaschinenbetreiber den Wahrheitsgehalt von im Internet befindlichen Artikeln überprüfen?

Überprüfung durch Gerichte, nicht durch Suchmaschinen

Karkowsky: Welchen Verfahrensausgang würden Sie sich denn wünschen?

Kreutzer: Im letzteren Fall würde ich sagen: Es kann nicht darauf hinauslaufen, dass Suchmaschinen den Wahrheitsgehalt von Informationen überprüfen müssen. Das ist unmöglich. Sie können sich ja vorstellen, bei Milliarden von Treffern, Milliarden von Webseiten, in solchen Fällen dem nachzugehen, das ist unmöglich.

Und es wäre auch nicht gut für die Demokratie, weil das sind Entscheidungen, die Gerichte treffen müssen. Zu überprüfen, ist das wahr oder unwahr, welches Interesse ist hier wichtiger, das ist den Gerichten vorbehalten, das sollten Suchmaschinen nicht tun. Da würde ich auf jeden Fall sagen, es wäre gut, wenn es so bliebe, wie es auch bisher war, dass da keine weiteren großen Nachforschungen angestellt werden müssen.
Und in dem anderen Fall, da bin ich ehrlich gesagt mehr oder weniger leidenschaftslos. Das ist so eine sehr feinsinnige Abwägung, die da getroffen werden muss, da will ich dem BGH nicht vorgreifen.

Karkowsky: Aber angenommen, es ginge um Unwahrheiten um Ihre Person. Würden Sie dann immer noch sagen, das kann man der Suchmaschine nicht zumuten, das rauszufiltern?

Kreutzer: Vermutlich würde ich es trotzdem sagen, auch wenn es mir schwerfallen würde. Natürlich ist das psychologisch sehr verständlich, dass Leute sich gegen so etwas wehren wollen und dass sie solche Dinge eben nicht mehr im Netz haben wollen. Und es muss auch ein Ausgleich gefunden werden.
Da ist eben nur die Frage, wer diesen Ausgleich herbeiführt. Sind es die Gerichte, sind es Entscheidungen von Gerichten? Dann kann ich halt, wenn Falschinfos über mich im Netz stehen, mit einer Gerichtsentscheidung zu den Suchmaschinenbetreibern gehen und sagen: Hier, das Gericht hat entschieden, nehmt den Link raus – und das machen die dann auch. Und ich glaube, das wäre der richtige Weg.
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