Berühmter Komponist und fleißiger Briefeschreiber
Mehr als 300 Briefe hat der Komponist Richard Wagner allein im Jahr 1867 geschrieben: An seine Geliebte Cosima, seinen Freund und Mäzen König Ludwig II., seinen Arzt und eine Putzmacherin in Wien, der er seinen skurrilen Textilfetischismus offenbart. Viele Schriften waren bisher nicht veröffentlicht.
Anfang der Sechzigerjahre begann man mit dem kühnen Unterfangen, sämtliche Briefe Richard Wagners herauszugeben. Damals noch in Leipzig (VEB Deutscher Verlag für Musik); seit 1999 wird das schier endlose Projekt in Wiesbaden (Breitkopf & Härtel) weitergeführt. Inzwischen ist man bei Band 19 angekommen, der die 322 Briefe des Jahres 1867 beinhaltet.
Es ist das Jahr, in dem Wagner die "Meistersinger" fast abschließt, in dem in München, wohin Wagner Hans von Bülow als Hofkapellmeister empfahl, Musteraufführungen anberaumt werden und eine Schule für Musik und dramatische Kunst geplant wird. Wagner lebt seit einem Jahr in Tribschen am Vierwaldstätter See, wohin er floh, weil er in München den Bogen seiner Lebensführung überspannt hatte: Er lebte nicht nur in wilder Ehe mit Cosima, Baronin von Bülow zusammen, sondern hatte sich auch übergebührlich in die bayerische Politik eingemischt.
Dennoch: Die (freilich ambivalente) Freundschaft mit seinem Mäzen, König Ludwig II. von Bayern, war unverbrüchlich; enthusiastische Briefe offenbaren die zweckdienliche Theatralik dieser Beziehung. Ludwig stattete Wagner immerhin mit soviel Geld aus, dass er sich am Vierwaldstätter See ein großbürgerliches Haus nach seinen Wünschen einrichten konnte und in Saus und Braus lebte.
Besonders pikant sind im aktuellen Jahrgang die Briefe an die Wiener Putzmacherin Bertha Goldwag, in denen sich Wagners skurriler Textilfetischismus offenbart. Die an seinen Musikverleger Schott in Mainz belegen andererseits des Komponisten präzise Vorstellungen von genauen Partituren. Und schließlich ist immerhin ein Viertel aller (erhaltenen) Briefe an Cosima, die ein Jahr später mitsamt ihren Kindern endgültig zu Wagner ziehen wird, in diesem Band zu lesen. Sie offenbaren Wagners immenses Selbstdar¬stellungs- und Mitteilungsbedürfnis einem ihm bedingungslos ergebenen Menschen gegen¬über. Auch des Künstlers Schreiben an seinen Arzt Dr. Standhardtner in Wien sind aufschlussreich; der Komponist Wagner litt ja fast sein ganzes Leben an diversen Haut- und Unterleibsbeschwerden.
Kurzum: auch und gerade in diesem Band lernt an einen in vieler Hinsicht "anderen" als den üblichen Wagner, wie ihn die meisten Biografen darstellen, kennen. Diese Briefe Wagners, die übrigens bestens kommentiert sind (fast die Hälfte der knapp 700 Seiten bieten sehr detaillierte lebens- und zeitgeschichtliche Erklärungen jedes einzelnen Schreibens) korrigieren so manches Klischee der Wagnerbiografik und zeigen einen sehr viel facettenreicheren Menschen als die üblichen Darstellungen.
Leider ist die Gesamtausgabe erst im Jahre 1867 angekommen. Ob wir es noch erleben werden, das Sterbejahr 1883? Und dann tauchen gewiss noch weitere Blätter Wagners, eines der fleißigsten Briefeschreiber überhaupt, im Antiquariatshandel oder in Archiven auf. Vermutlich werden also auch noch Ergänzungsbände folgen. Wenn sie alle so amüsant werden wie dieser!
Besprochen von Dieter David Scholz
Margret Jestremski (Hrsg.): Richard Wagner. Sämtliche Briefe des Jahres 1867
Breitkopf & Härtel, Wiesbaden 2011
672 Seiten, 51 Euro
Es ist das Jahr, in dem Wagner die "Meistersinger" fast abschließt, in dem in München, wohin Wagner Hans von Bülow als Hofkapellmeister empfahl, Musteraufführungen anberaumt werden und eine Schule für Musik und dramatische Kunst geplant wird. Wagner lebt seit einem Jahr in Tribschen am Vierwaldstätter See, wohin er floh, weil er in München den Bogen seiner Lebensführung überspannt hatte: Er lebte nicht nur in wilder Ehe mit Cosima, Baronin von Bülow zusammen, sondern hatte sich auch übergebührlich in die bayerische Politik eingemischt.
Dennoch: Die (freilich ambivalente) Freundschaft mit seinem Mäzen, König Ludwig II. von Bayern, war unverbrüchlich; enthusiastische Briefe offenbaren die zweckdienliche Theatralik dieser Beziehung. Ludwig stattete Wagner immerhin mit soviel Geld aus, dass er sich am Vierwaldstätter See ein großbürgerliches Haus nach seinen Wünschen einrichten konnte und in Saus und Braus lebte.
Besonders pikant sind im aktuellen Jahrgang die Briefe an die Wiener Putzmacherin Bertha Goldwag, in denen sich Wagners skurriler Textilfetischismus offenbart. Die an seinen Musikverleger Schott in Mainz belegen andererseits des Komponisten präzise Vorstellungen von genauen Partituren. Und schließlich ist immerhin ein Viertel aller (erhaltenen) Briefe an Cosima, die ein Jahr später mitsamt ihren Kindern endgültig zu Wagner ziehen wird, in diesem Band zu lesen. Sie offenbaren Wagners immenses Selbstdar¬stellungs- und Mitteilungsbedürfnis einem ihm bedingungslos ergebenen Menschen gegen¬über. Auch des Künstlers Schreiben an seinen Arzt Dr. Standhardtner in Wien sind aufschlussreich; der Komponist Wagner litt ja fast sein ganzes Leben an diversen Haut- und Unterleibsbeschwerden.
Kurzum: auch und gerade in diesem Band lernt an einen in vieler Hinsicht "anderen" als den üblichen Wagner, wie ihn die meisten Biografen darstellen, kennen. Diese Briefe Wagners, die übrigens bestens kommentiert sind (fast die Hälfte der knapp 700 Seiten bieten sehr detaillierte lebens- und zeitgeschichtliche Erklärungen jedes einzelnen Schreibens) korrigieren so manches Klischee der Wagnerbiografik und zeigen einen sehr viel facettenreicheren Menschen als die üblichen Darstellungen.
Leider ist die Gesamtausgabe erst im Jahre 1867 angekommen. Ob wir es noch erleben werden, das Sterbejahr 1883? Und dann tauchen gewiss noch weitere Blätter Wagners, eines der fleißigsten Briefeschreiber überhaupt, im Antiquariatshandel oder in Archiven auf. Vermutlich werden also auch noch Ergänzungsbände folgen. Wenn sie alle so amüsant werden wie dieser!
Besprochen von Dieter David Scholz
Margret Jestremski (Hrsg.): Richard Wagner. Sämtliche Briefe des Jahres 1867
Breitkopf & Härtel, Wiesbaden 2011
672 Seiten, 51 Euro