Berliner Philharmoniker

Musiker sind keine Parlamentarier

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Die Berliner Philharmonie von außen © dpa picture alliance/ Britta Pedersen
Von Olaf Wilhelmer · 12.05.2015
Die Berliner Philharmoniker müssen sich weiter nach einem neuen Chefdirigenten umschauen. In einer Sitzung von Wagner'scher Dimension konnten sie sich nicht einigen. Gut, dass man sich nicht zu einem vorschnellen Vertragsabschluss habe drängen lassen, kommentiert Musikredakteur Olaf Wilhelmer.
Nein, Jürgen Klopp ist nicht geworden. Und keine Herzogin Kate kam, um den künftigen Chefdirigenten der Berliner Philharmoniker auf dem Arm die Stufen herunterzutragen. Vom gestrigen Wahltag bleiben zunächst mal die substanzlosen und zugleich amüsanten Twitter-Kommentare im Gedächtnis haften. Ansonsten haben die elf langen Stunden hinter den verschlossenen Türen der Jesus-Christus-Kirche in Berlin-Dahlem eines überdeutlich gezeigt: Es ist sehr schwer, einen Nachfolger für Sir Simon Rattle zu finden. Und vielleicht wird dieser 11. Mai 2015 als der Tag in die philharmonische Geschichte eingehen, an dem das Orchester zu bereuen beginnt, dass es seinen musikalisch und konzeptionell starken Chef nicht behalten wollte.
Immerhin, ein besseres Ergebnis als die Vertagung der Wahl ist kaum vorstellbar. Die Berliner Philharmoniker haben sich nicht dazu verleiten lassen, den stundenlang antichambrierenden Journalisten eine personelle Sensation anzupreisen. Sie haben sich nicht voreilig von dem Geraune um Christian Thielemann als dem angeblichen Bannerträger philharmonischer Tradition beirren lassen. Sie haben sich nicht von den langfristig planenden Künstleragenturen zu einem vorschnellen Vertragsabschluss drängen lassen. Sie haben in beeindruckender Ehrlichkeit gesagt, dass sie es im Moment auch nicht besser wissen als die Sterndeuter und Wahrsager in den Feuilletons.
Ein Jahr mehr Zeit
Es gibt etliche sehr gute Orchester, aber nur wenige von ihnen musizieren vom ersten bis zum letzten Pult so engagiert wie die Berliner Philharmoniker. Es ist anzunehmen, dass die 123 versammelten Musiker gestern mit gleicher Leidenschaft auch über ihren künftigen Chefdirigenten diskutiert und dabei eben keine breite Mehrheit für einen Kandidaten gefunden haben. Zwar wählen die Berliner Philharmoniker demokratisch, doch sind die Musiker keine Parlamentarier, die notfalls auch mit einer Stimme Vorsprung ans Werk gehen. Und dem künftigen Chefdirigenten ist nicht damit gedient, wenn er vor einem Orchester steht, dessen Streicher ihn befürworten und dessen Bläser ihn ablehnen.
Die Philharmoniker haben sich nun bis zu einem Jahr Zeit gegeben, um einen Nachfolger für den bis 2018 amtierenden Simon Rattle zu finden. In der kommenden Saison werden sie wie-der etliche Gastdirigenten auf Herz und Nieren überprüfen können. Die Konstellation freilich wird sich nicht mehr ändern: Die Berliner Philharmoniker spielen seit Jahren vor allem unter auffallend alten oder auffallend jungen Gastdirigenten. Die mittlere Generation, die jetzt eigentlich am Zuge wäre, dirigiert in London, New York und Cleveland, aber eben nicht in Berlin. So dürfte auch die zweite Auflage der Wahl entweder einen Altmeister als Übergangslösung oder einen unüblich jungen Chefdirigenten hervorbringen. Oder eben Christian Thielemann, der zwar das richtige Alter hat, der aber in seinem kaum reflektierten Traditionalismus Orchester und Publikum spalten dürfte und der aus bislang allen Leitungsfunktionen im Streit geschieden ist. In ihrer 133 Jahre währenden Erfolgsgeschichte haben die Berliner Philharmoniker stets nach vorne geschaut und innovative Chefdirigenten verpflichtet. Diesen Mut sollten sie möglichst bald auch für die anstehende Entscheidung aufbringen.
Die Abstimmung der Philharmoniker auf Twitter:

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