Dirigentenwahl Berliner Philharmoniker

Klandestine Kandidatenkür

Chefdirigent Sir Simon Rattle bei einer Probe mit den Berliner Philharmonikern.
Wer wird sein Nachfolger? Chefdirigent Sir Simon Rattle bei einer Probe mit den Berliner Philharmonikern. © picture alliance / dpa / Jakub Kaminski
Von Maria Ossowski · 11.05.2015
Seinen eigenen Chef zu wählen, dieses Privileg haben nur Universitätsangehörige und die Berliner Philharmoniker. Die 124 festangestellten Musiker treffen sich an einem geheimen Ort, um einen Nachfolger für Simon Rattle zu küren. Dabei ist unklar, ob der Favorit überhaupt kommen kann.
In 133 Jahren, seit 1882 und der Gründung des Orchesters, gab es elf Päpste der katholischen Kirche, aber nur sechs Chefdirigenten der Berliner Philharmoniker. Die Musiker in Berlin haben seltener gewählt als die Kardinäle in Rom. Und deshalb ist die Spannung nicht nur vergleichbar, sondern für Klassikfans ungleich höher.
Ob sich nun die Musikwelt radikal verändert, wie kürzlich in der "Zeit" zu lesen war, bleibt abzuwarten, aber warten, das gilt für uns alle heute. Warten, nicht auf weißen Rauch, die Philharmonie hat mal gebrannt, da wäre Rauch ein schlechtes Omen, sondern auf den Namen, den der Vorstand verkünden wird.
Nur: Wo erwarten wir die Verkündung, bitte? Nicht vor der Philharmonie, das wäre zu simpel, nein, es ist alles ganz streng geheim. Die Pressesprecherin Elisabeth Hilsdorf:
"Was ich Ihnen zusichern kann: Das wird in Berlin sein. Wir würden dann einen Zeitpunkt festlegen, zu dem wir uns treffen, das kann natürlich sein, dass dann nur ich rauskomme und sage: 'Tut mir leid, wir verschieben das nochmal um 2 Stunden', aber wir gehen jetzt erstmal hoffnungsfroh davon aus, dass wir das so hinkriegen werden. Ich bitte nochmal um Verständnis, was den Ort betrifft, es geht da auch durchaus darum, den Ort zu schützen, dass wir das so kurzfristig erst bekannt geben."
Der Intendant muss draußen bleiben
Die 124 wahlberechtigten Musiker müssen ihre Handys abgeben. Der Intendant Martin Hoffmann muss draußen bleiben, der einzige zugelassene Nichtmusiker ist ein Anwalt und Notar, der die Wahl beobachtet.
Es hat bereits viele Vorgespräche unter den Musikern gegeben, eine Shortlist der Kandidaten der engsten Wahl dürfte existieren, nur kennt sie niemand. Und angeblich hat auch niemand vorher die in Frage kommenden Kandidaten gefragt, ob sie bereit wären, diesen schönsten und härtesten Job der Klassikwelt anzunehmen.
Das ist vor einem Vierteljahrhundert passiert, als schließlich Abbado gewählt wurde. Der Bratschist und Philharmonikervorstand Ulrich Knörzer:
"Wir sind heute überzeugt, dass das eigentlich ein Fehler war. Aus zwei Gründen: Weil einerseits die in Frage kommenden Personen nicht wirklich wissen, was sie dazu sagen sollen, Sie verstehen, was ich meine. Man ist einerseits geehrt über die Frage, andererseits weiß man ja nicht, ist es nur eine Anfrage oder ist es eine Möglichkeit, oder wie darf ich das jetzt nehmen?"
Lorin Maazel soll sich nie so richtig von dem Schock erholt und jahrelang gegrollt haben.
Selbst zu wählen, das ist einerseits wunderbar direkt und allein der Fachkompetenz des Neuen verpflichtet, andererseits aber auch eine Riesenverantwortung. Denn es geht um eine deutliche Mehrheit. Wie deutlich sie ist, absolut oder zwei Drittel oder drei Viertel, das wird nie jemand erfahren, ebenso wenig, wer die Nummer zwei oder Nummer drei ist, denn dieses Wissen bleibt allein beim Vorstand und dem Notar.
Der Gewählte muss die Lager einen
Allerdings muss der Gewählte damit leben, dass eine nicht geringe Zahl dieser höchst selbstbewussten Ausnahmemusiker gegen ihn war. Das Orchester ist in Lager gespalten. Und diese Lager muss er einen, er muss integrieren und versöhnen.
Alle Kandidaten der engeren Auswahl sind an Verträge gebunden, denn Spitzendirigenten haben nun mal Spitzenjobs. Mariss Jansons beim Bayrischen Rundfunk hat grade verlängert, Gustavo Dudamel ist in Los Angeles, Andris Nelsons in Boston, Daniel Barenboim an der Berliner Staatsoper verpflichtet.
Der Berliner Christian Thielemann, momentan in Dresden Chef der Staatskapelle, stünde sicher zur Verfügung. Er ist ein heißer Kandidat wie die genannten anderen, aber nicht überall beliebt. Haben diese möglichen Favoriten Ausstiegsklauseln in ihren Verträgen, frei nach dem Motto: Wenn Berlin ruft, dürfen sie gehen? Niemand weiß das, und auch das macht den heutigen Tag so unglaublich spannend.
Jedenfalls ruft der Vorstand zuerst den Kandidaten an, um zu fragen, ob er die Wahl annimmt. Dann gibt er die ersehnte Pressemeldung raus und tritt schließlich, wo auch immer, vor die Weltpresse, um diesen einen Namen zu verkünden, der vielleicht nicht alles verändern, aber sicher musikalische Sternstunden Versprechen wird.
Mehr zum Thema