Berliner Kunstbibliothek

Blick in die Schatzkammer

Eine Ausgabe des Künstlerbuchs "Jazz" von Henri Matisse, aufgenommen bei einer Auktion von Sotheby's in London am 13. März 2014.
Im ausgehenden 19. Jahrhundert entstanden: "Jazz von Henri Matisse. © picture alliance / dpa / Facundo Arrizabalaga
Von Susanne von Schenck · 15.06.2015
Die Kunstbibliothek in Berlin ist eine der größten der Welt. Zu den Beständen gehören Handzeichnungen, Ornamentstiche, Plakat- und Reklame-Kunst und Fotografie. Auf der Buchhandel- und Antiquariatsmesse "Liber Berlin" gab es die seltene Gelegenheit, einige davon anzuschauen.
30 Jahre hat der französische Dichter Stephane Mallarmé an der komplexen Herausgabe seines Gedichtes "Un coup de dés" – ein Würfelwurf, gearbeitet. Und doch hat er dessen Druck nicht mehr erlebt: 1898 starb er, und erst 1914 wagte der Pariser Verlag Gallimard eine Publikation. "Poème", Gedicht, steht auf dem Umschlag.
Michael Lailach: "Mallarmé ist jemand, der minutiös festgelegt hat, wie die Typografie, wie das Buch auszusehen hat, weil die Erscheinungsweise des Buches ganz wesentlich den Sinn des Buches bestimmt."
"Un coup de dés" ist eines der ersten typographischen Gedichte der französischen Literatur, und das großformatige schmale Buch gehört zu den Schätzen der Berliner Kunstbibliothek. Michael Lailach, dort für Buch- und Medienkunst zuständig, blättert darin: auf zehn Doppelseiten sind freie Verse in unterschiedlichen Schriftgrößen und Typen angeordnet – zu lesen wie eine Partitur.
20.000 Kunst- und Künstlerbücher
1969, gut ein halbes Jahrhundert nach der Gallimard Edition – und ebenfalls in der Kunstbibliothek zu bestaunen –, veröffentlicht der Lyriker und Künstler Marcel Broodthaers seine Bearbeitung des Mallarmé Gedichtes. Statt "Poème" steht nun "Image", Bild, auf dem ansonsten gleich gestalteten Umschlag. Der belgische Künstler ersetzt Mallarmés Worte durch schwarze Balken und verstärkt das Partiturhafte des Werkes.
"Das Ganze gedruckt auf Transparentpapier, so dass es sich durchschlägt, so dass nur noch die typografische Anordnung übrigbleibt und das Ganze tatsächlich zu einem reinen Bild wird."
Die Sammlung der Berliner Kunstbibliothek umfasst gut 20.000 Kunst- und Künstlerbücher von der Mitte des 15. Jahrhunderts bis in die Gegenwart. Michael Lailach hat einige der kostbaren Werke auf einem großen Tisch ausgebreitet. Darunter ein in Leder gebundenes großes Buch. Es stammt von dem – so würde man ihn heute nennen – Reiseautor Bernhard von Breidenbach. Im ausgehenden 15. Jahrhundert wanderte er ins Heilige Land und hielt seine Eindrücke fest. Nach seiner Rückkehr wurde seine "Reise nach Jerusalem" dann kunstvoll gedruckt, ergänzt um herausklappbare Stadtansichten und exotisch anmutende Zeichnungen eines unbekannten Künstlers, der ihn begleitet hatte.
"Bei diesen Büchern würde man eher von Buchkunst sprechen, von illustrierten Büchern. Was man schon sieht, hier gibt es verschiedene Personen – vom Drucker, vom Holzschneider, vom Zeichner, vom Autor –, die an diesem Buch beteiligt waren."
Künstlerbuch als eigenes Genre
Anders hingegen die Künstlerbücher, die meist nur einen Urheber haben. Sie entstehen im ausgehenden 19. Jahrhundert: neben Mallarmé zum Beispiel auch "Jazz" von Henri Matisse. Vor allem aber gibt die Konzeptkunst Mitte der 1960er-Jahre dem Künstlerbuch einen Schub und etabliert es als eigenständiges Genre. Künstler wie Ed Ruscha, Daniel Spoerri oder Dieter Roth arbeiten experimentell mit Büchern.
"Dieter Roth hat sehr viele Bücher gemacht. Das ist natürlich ein Star des Künstlerbuchs."
Sagt Michael Lailach und öffnet einen kleinen Karton. Auf weichen Lederseiten hat der Künstler Farben dick aufgetragen, kleine Objekte angeordnet sowie Sauermilch und Käse über die Fläche verteilt – das erinnert an seine "Schimmelbilder".
"Wir haben hier sehr ausgefallene Materialien, hier auf dieser Tierhaut sehen Sie, wie mit diesem Buch gearbeitet wurde. Vor 60 Jahren sah es anders aus, das ist intendiert bei Dieter Roth, dass auch das über die Jahre sich verändert und andere Formen annimmt."
Henri van de Veldes prachtvolle Gestaltung von Nietzsches Werk "Also sprach Zarathustra", ein expressionistisches Kinderbuch von Oskar Kokoschka oder die kantig-wuchtigen Holzschnitte Ernst Ludwig Kirchners zum Gedichtband "umbra vitae" von Georg Heym – auch solche Werke gehören zu den Schätzen der Berliner Kunstbibliothek. Die Gelegenheit, diese zu sehen, gibt es für Laien nicht so oft.
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