Plakat als Kulturgut

Von Carsten Probst · 25.06.2009
Die Kunstbibliothek Berlin zeigt in einer Ausstellung die 100 besten Plakate des Jahres 2008 aus dem deutschsprachigen Raum. Mit der Schau "100 Beste Plakate 08", die nach Berlin in Essen, Dornbirn, Luzern und Wien zu sehen sein wird, soll die gestalterische Qualität im zeitgenössischen Plakat gefördert werden.
Kinga Lipowicz: "Wir, die Studierenden des Fachbereichs Design Potsdam, wünschen uns von den Kreativen mehr Bewusstsein und mehr Haltung und Verantwortung in der Gestaltung. Deshalb fordern wir: Mehr Haltung in der Gestaltung! Die prämierten Plakate haben diese Haltung bewiesen, sie überzeugen durch narrative Vielschichtigkeit und beweisen ein weites Gestaltungsspektrum. Im Vordergrund steht natürlich die Sensibilisierung für das Plakat als Kulturgut und die kritische Auseinandersetzung mit derzeitigen Gestaltungskonzepten."

Die Studierenden der Fachhochschule Potsdam haben die 100 prämierten Plakate auf Protesttafeln montiert, so dass es aussieht, als sollten sie gleich auf eine Demonstration getragen werden - zu einer Demonstration für eine neue, jedenfalls bessere Plakatkultur, die nach ziemlich einhelliger Meinung der hier versammelten Designer und Grafiker akut vom Aussterben bedroht ist. Nicht, weil es zu wenig Platz gäbe. Doch von den hier ausgestellten, ausgezeichneten Arbeiten hat man vermutlich nur selten einmal eine durch Zufall in den Straßen gesehen. Anita Kühnel, die Leiterin der Sammlung Grafikdesign in der Berliner Kunstbibliothek, sieht daher die Auswahl von herausragender Plakatkunst mittlerweile fast schon als eine Geheimwissenschaft. Anita Kühnel:

"Im Grunde sind die größten Innovationen im Bereich Plakat immer schon in den letzten Jahren im Kulturplakat gewesen. Sie sind nur heute in der Straße nicht mehr so wahrnehmbar, weil die Kultur kein Geld hat und Klebeflächen in der Regel nicht mehr bezahlen kann, jedenfalls nicht in dem Umfang, in dem es nötig wäre, also dass dann tatsächlich gute Gestaltung auch im Stadtraum wahrnehmbar wäre."

So kommt es, dass ein größerer Teil der 100 besten Plakate 2008 Theater, Konzerte oder Ausstellungen ankündigt. Rein kommerzielle Lösungen sind klar in der Minderzahl. Auffallend ist auch, dass typografische Experimente überwiegen, während das in der kommerziellen Werbung beliebte Fotoplakat eher selten auftaucht. Filmplakate gibt es hier übrigens gar nicht mehr zu sehen, sie sind den Juroren längst zu einfallslos geworden.

Manche der prämierten Arbeiten werden in dieser Ausstellung wohl zum ersten Mal überhaupt einer größeren Öffentlichkeit vorgestellt - zum Beispiel ein Plakat zum aktuellen Thema Waffenrecht von Markus Rückelt, Student von Grafikdesign an der Universität der Künste Berlin. Er hat ein paar Äste und Zweige in Pistolenform fotografiert, wie sie kleine Jungen und vielleicht auch Mädchen ab und zu als Waffenattrappen verwenden. Aus einer der Holzpistolen kommt der Satz geschossen: "…und Papa hat die in echt." Auftraggeber dieser Arbeit war das Greenpeace Magazin, doch solchen zugleich eingängigen und intelligenten Entwürfen wäre eine größere Verbreitung durchaus zu wünschen.

Regelrechte Plakat-Kunst kommt von Lorenz Klingbiel und Oliver Dignal von der Hochschule für Gestaltung in Offenbach. Unter dem Titel "Size Matters" (Größe entscheidet) haben sie eine fünfteilige Plakatserie entwickelt, auf der sie berühmte Fotografien von Katastrophen in Pappe und Farben nachstellen: Eine Luftaufnahme vom ICE-Unglück in Eschede, die Flugschau-Katastrophe von Ramstein – das Plakat als Kritik und Ironie von Werbestrategien, die menschliches Leid sexy genug finden, um es als Blickfang zu verwenden, bekommt hier einen ganz eigenen Rang.

Gleichwohl haben diese Entwürfe die Räume der Hochschule vermutlich bisher noch nie verlassen. Ein Schicksal, wie es – freilich aus ganz anderen Gründen - die Arbeiten von Plakatkünstlern aus der einstigen DDR zuweilen ähnlich erlebt haben. In einer bemerkenswerten Ergänzungsschau zu den 100 besten Plakaten 2008 wird dieses Jahr aus Anlass des 20. Jahrestages der Wiedervereinigung eine kleine Auswahl von DDR-Plakatkunst gezeigt, die vor allem die alten westlichen Vorurteile gegenüber diesem Medium unter dem Realsozialismus bekämpfen will. Kuratorin Sylke Wunderlich zieht beim innovativen Charakter von Kulturplakaten gewisse Parallelen zur heutigen Situation:

"Die Auswahl der Plakate selbst waren Qualitätskriterien und waren vor allen Dingen: Was macht das Plakat in der DDR aus? Denn wenn man das Plakat in der DDR betrachten konnte, dann kristallisiert sich eben nicht das heraus, dass es immer wieder nur Propagandaplakate gewesen sind, sondern da war es auch schon das kulturelle Plakat, was innovative Gestaltungslösungen an den Tag legte."

In den einstigen DDR-Designzentren Burg Giebichenstein in Halle, Berlin-Weißensee oder Leipzig wurden zunächst sehr unterschiedliche Einflüsse verarbeitet, unter anderem des Bauhauses und der 30er-Jahre. Später kamen Motive aus dem westlichen Pop-Design hinzu. Ein einheitliches sozialistisches Design gab es jedenfalls nicht, und auch die Propaganda reflektierte durchaus Moden und Sehgewohnheiten der Zeit. Heute repräsentieren diese Arbeiten wie Zeitzeugen in komprimierter Form den einstigen DDR-Alltag. Theater, Konzerte, Ausstellungsankündigungen fungierten als Medien alternativer Botschaften, einer besonderen Hintergründigkeit der Zeichen und Gestaltungen, die sich heute freilich wohl nur für jene nachvollziehen lässt, die die DDR selbst erlebt haben.

Service:
100 beste Plakate 08
Kunstbibliothek Berlin
26. Juni - 19. Juli 2009