Spargelbauern

Bangen um Erntehelfer und Folienabdeckung

10:29 Minuten
Umweltschützer Wolfgang Christ von der Bürgerinitiative Landschaft ohne Folie
Umweltschützer Wolfgang Christ kritisiert die Abdeckungen auf den Feldern: Wegen der Spargelfolien sollen seinen Aussagen zufolge schon 21 Brutvögel-Arten verschwunden sein. © Deutschlandradio / Michael Frantzen
Von Michael Frantzen · 15.03.2021
Audio herunterladen
2020 war für den deutschen Spargel ein schlechtes Jahr – fast ein Fünftel weniger Ernte. Auch in diesem Jahr herrscht große Unsicherheit: Kommen die Erntehelfer trotz Corona? Zudem gehen Umweltaktivisten gegen die Folien-Abdeckungen vor.
Es ist Freitagmittag, und die Laune von Marc Hoffmann ist gar nicht mal die schlechteste. Vorhin ist der Juniorchef vom "Spargelhof Diedersdorf" mit seiner froschgrünen Simson, dem DDR-Kult-Moped, über die Feldwege vor den Toren Berlins gebrettert, um zu schauen, wie die Erntehelfer vorankommen mit den Vorbereitungen für die Spargelernte. Ende des Monats soll es losgehen.
"Wir planen ganz normal und warten ab. Es kann sich ja täglich etwas ändern in der Politik. Das lernt man ja. Wir versuchen alles einzuhalten und arbeiten wie immer. Und hoffen, dass wir Spargel verkaufen dürfen. Und vielleicht auch unsere Gastro öffnen."

Saisonarbeitskräfte kamen nicht ins Land

Auf 100 Hektar bauen die Hoffmanns Spargel an, das macht im Jahr 600 Tonnen. Das meiste geht an Berliner Supermärkte und Restaurants. Der Rest landet auf den Tellern des hauseigenen Gasthofs. Normalerweise.
Der 40-jährige Blondschopf verzieht das Gesicht, denn letztes Jahr war es definitiv nicht normal: Viele seiner polnischen und rumänischen Saisonarbeitskräfte kamen erst gar nicht ins Land – coronabedingt. Die Gastronomie blieb geschlossen, Ernte und Umsatz brachen ein. Um wie viel? Der gebürtige Westfale schüttelt den Kopf: Betriebsgeheimnis.
"Spargel- oder allgemein Gemüsebauern müssen halt flexibel sein. Wenn das Wetter schön wird, kommt der Spargel zwei, drei Tage eher, dann muss ich in der Lage sein flexibel zu reagieren. Und genau das ist jetzt. Wir passen uns da an", sagt Hoffmann. "Ich möchte nicht Politiker in der Situation gerade sein. Es ist schon ein bisschen erschreckend, wie langsam unser Land entscheidet."

Der gelernte Gartenbau-Ingenieur regt sich auf, nur um hinzufügen, er gehe weiter davon aus, dass die Grenzen offenbleiben, seine 130 Erntehelfer spätestens Ostern auf den Feldern sein würden. "Wir testen in Rumänien oder Polen, bevor die abreisen. Wenn sie angekommen sind, werden sie hier sofort getestet. Und nach fünf Tagen sowieso noch mal. Ja. Und dann macht man regelmäßige Tests. Temperaturkontrolle. Gesundheitsbefragung. Corona-Schnelltests. Das, was man machen kann, versuchen wir umzusetzen. Aber eine hundertprozentige Garantie gibt es nie."
"Wir werden ab dem 27. März die Hoftore wieder öffnen."

Prinzip Hoffnung: Darauf setzen sie auch 40 Kilometer südwestlich in Beelitz, dem Spargel-Hotspot Deutschlands. Jürgen Jakobs ist mit seinen 600 Hektar einer der größten Spargelbauern hier und ähnlich wie Marc Hoffmann Zweckoptimist. "Hoffen, dass wir da wirklich Ende März ins Geschäft kommen. Weil: Noch mal so ein Jahr wie 2020 – das wird dann sehr schwierig. Wenn das normal läuft, machen wir allein in der Gastronomie 1,5 Millionen Euro Umsatz. Aber: 2020 waren es halt nur 750.000."
750.000 Euro. Kein Einzelfall: Statt 22.000 Tonnen wie 2019 fuhren die Spargelbauern zwischen Havel und Spree 2020 nur 19.000 Tonnen ein. Dieses Jahr kann es eigentlich nur besser werden. Muss es besser werden.
Saisonarbeitskräfte auf dem Spargelhof Jakobs
Ohne ausländische Erntehelfer geht es nicht: Saisonarbeiter auf dem Spargelhof Jakobs© Deutschlandradio / Michael Frantzen

Naurus wünscht sich, dass es losgeht

Seit fünf Jahren arbeitet Naurus Tabascha jetzt schon als Kellner auf dem Spargelhof. Und eigentlich, meint der junge Syrer, draußen auf dem frisch geharkten Hof: Eigentlich könne ihn so leicht nichts mehr erschüttern. Nach seiner Flucht aus Syrien, der Odyssee durch halb Europa. Doch dann kam Corona. Der erste Lockdown, der zweite, Kurzarbeit. Die Ungewissheit."Aber jetzt arbeiten wir wieder. Räumen wir auf", sagt er. "Ich hoffe, dass wir im April wieder arbeiten. Ist besser."
Wenn er nicht gerade Spargel serviert, telefoniert der 31-Jährige so oft es geht mit seinen Eltern in der Nähe von Damaskus. Um zu hören, wie sie zurechtkommen. In Zeiten wie diesen.
"In Syrien haben wir keine Corona-Tests. Ist schwierig. Und viele Leute sterben. Und sie wissen nicht, ob von Corona oder von irgendwas. Aber: Wir haben viele Leute, die Corona haben und sie sind gestorben."
Naurus schaut auf seine Armbanduhr. Er muss los, zurück zur Arbeit, Tische wischen. Mit den polnischen und rumänischen Erntehelfern habe er wenig zu tun, meint er. Die sprächen ja kaum Deutsch oder Englisch. Unterhalten habe er sich nur mit ein paar deutschen Helfern, aber die seien längst über alle Berge.
Deutsche Erntehelfer, damit hat Naraus' Chef so seine Erfahrungen gemacht. Durchwachsene. Sie war ja eigentlich gut gemeint, die Initiative von Bundeslandwirtschaftsministerin Klöckner letztes Jahr: über ein Erntehelfer-Portal Leute dazu zu bewegen, auf den Feldern auszuhelfen, um die fehlenden ausländischen Saisonarbeitskräfte zu ersetzen.
Knapp 30 standen irgendwann bei Jürgen Jakobs auf der Matte. "Da war sogar ein Flugzeugpilot dabei, ja. Weil er nichts zu fliegen hatte. Die meisten stellen sich das dann doch wie eine leichte Gartenarbeit vor. Gehen dann da mal raus, ziehen die Stiefel an. Der Spargelanbau ist natürlich eine relativ anstrengende Tätigkeit, erst recht, wenn sie mehrere Stunden am Tag verrichtet wird. Und das heißt, nahezu 50 Prozent der Zeit in gebückter Haltung zu verbringen: Das geht einmal auf den Rücken, das geht auf die Knochen. Das ist eine Konditionsfrage. Nicht jeder Joggingläufer ist auch ein Marathonläufer."

Definitiv unter die Rubrik "Marathonläufer" fällt Loschek Kaselski. Seit 20 Jahren erntet der Pole, was das Zeug hält. Hat sich mit der Zeit vom Erntehelfer – aktueller Stundenlohn knapp zehn Euro – zur rechten Hand des Chefs hochgearbeitet.
"Arbeite ab Montag bis Freitag! Samstag nach Hause. Und Sonntag wieder da. Kein Problem aktuell, aktuell ist okay."
Die Grenzübergänge in Forst und Frankfurt an der Oder nach Polen: Sie sind offen – wieder offen. Der Mann aus der Nähe von Posen verzieht in seinem mit Aktenordnern übersäten Büro das Gesicht. Letztes Jahr war schlimm. Drei Monate saß er in Beelitz fest, weil die Grenze dicht war. Seine Frau, die Kinder bekam er nur im Netz zu sehen. Dagegen ist dieses Jahr ein Klacks. Selbst die Coronatests an der Grenze.

Die Sache mit den Folien

Rund 50 Erntehelfer arbeiten schon auf den Feldern der Jakobs rund um Beelitz, Anfang April sollen es 350 sein. Immer in kleinen Gruppen: zusammen wohnen, zusammenarbeiten. So lautet das Prinzip – sicher ist sicher.
Der gebürtige Rheinländer ist aufs Feld gegangen. Von Spargel: keine Spur. Stattdessen: weiße Folien soweit das Auge reicht. "Dieser windgeschützte Raum unterhalb der Folie – der wärmt sich halt extrem stark auf. Wir können dann gleich mal die Hand drunter halten. Und dann stellen wir fest, dass wir hier bei vielleicht fünf Grad stehen, aber darunter vielleicht 20 Grad sind."
Durch die Folie können die Spargelbauern früher ernten und so ihren Gewinn steigern. Jemand wie Jakobs findet das: eine Win-win-Situation. Der eine oder andere Umweltschützer: eine ökologische Katastrophe.
"Natürlich. Es gibt jetzt Naturschützer, die wollen in gesamten Schutzgebieten keine Folie mehr. Dann kann ich aber auch sagen: Dann nehmen sie bitte auch die Straßen da draußen oder was auch immer. Also das halte ich jetzt für totalen Humbug."
Totaler Humbug? Da denkt Umweltschützer Wolfgang Christ ganz anders:
"Da kann nichts brüten. Unter der Folie ist es lebensfeindlich, wo nur die Knoblauchkröte existieren kann. Und wenn so riesengroße Felder dann besetzt wurden: Dann wird ditt kritisch hier bei uns."
Bei uns: Das ist – tief im Westen – einmal die Havel entlang, der Flecken Roskow nördlich der Stadt Brandenburg. Eine Dorfstraße, links und rechts schmucke und weniger schmucke Backsteinhäuser. Und dahinter jede Menge Wasser. Und Felder. Viel mehr ist nicht.
In einem der schmuckeren Häuser wohnt Wolfgang Christ und freut sich diebisch. Vor ein paar Tagen hat er erfahren, dass die Stadt den Landwirt Heinrich Thiermann wegen fehlender Genehmigungen dazu verdonnert hat, mehr als 300 Hektar Spargelfläche im Landschaftsschutzgebiet "Westhavelland" umzupflügen und die Folien zu entfernen. So ganz kann der Mann von der Bürgerinitiative "Landschaft ohne Folie" sein Glück immer noch nicht fassen. Deshalb: rein in den Geländewagen und raus aufs Feld.

Plastik als Feind der Vögel

Christ erzählt im Auto: "So. Hier! Allet, watt se hier sehen, war allet Folienspargel. Hat er jetzt allet umjewidmet."
Der "Spargel-Baron". Zwangsweise.
"Guck mal! Wenn du da rüber kiekst: Dahinter geht's weiter. Is allet Vogelschutzgebiet."
Ein Vogelschutzgebiet ohne Vögel: eigentlich ein Unding. Und doch hat das Landesumweltamt Brandenburg in einem Gutachten festgestellt: Wegen der ganzen Folien und des Maisanbaus sind schon 21 Brutvögel-Arten verschwunden. Dass sie jemals wiederkehren, ist unwahrscheinlich. Aber zumindest das Plastik ist weg.
Doch so ganz stimmt das nicht. Der Ex-Schornsteinfeger zeigt aus dem Autofenster: Was da am Wegesrand in der Sonne schimmert, ist auch Plastik. "Sie finden überall Plastikfetzen. Weil die Sonne den Weichmacher im Plastik mürbe macht. Und überall! Im Wasser. Überall finden sie diese Sachen."
Ostern wird es bei ihm Spargel geben. Vom Demeter-Hof. Garantiert ohne Plastik.
Mehr zum Thema