Traditionsbetriebe

Braugasthöfe vor dem Aus

06:35 Minuten
Raum im Brauereimuseum Fürstenwalde, mit Gewölbedecke und einem Tisch mit Stühlen in der Bildmitte.
Auf Gäste wird man im Brauereimuseum Fürstenwalde vermutlich noch eine ganze Weile warten müssen. © imago images / Tagesspiegel / Kitty Kleist-Heinrich
Von Peter Kaiser und Tobias Krone |
Audio herunterladen
Das Bierbrauen gehört seit Jahrhunderten zur deutschen Kultur. Doch durch Corona stehen nun ausgerechnet traditionsreiche Häuser vor dem Aus. In Fürstenwalde fehlt der Absatz - und in Nürnberg gibt es keine Corona-Hilfen.
Am Markt, Ecke Rathausstraße, steht in Fürstenwalde-Mitte das über 500 Jahre alte Rathaus. Auch wenn heute hier nur noch Trauungen und ein paar Sitzungen stattfinden, im Rathaus-Center gegenüber wird die Stadtpolitik gemacht. So lohnt es sich unbedingt, die breite Rathaustür zu öffnen und die wenigen Schritte hinunter in den mittelalterlichen Ratskeller zu gehen.
Denn dort ist sowohl die Brauerei "Fürstenwalder Rathausbräu" als auch das Brauereimuseum der Stadt - mit Bierbrauerschürzen, Bierfässern, historischen Krügen, Malzgerät, interaktiven Museums-Elementen und einem Imagefilm, in dem viel von Fürstenwalde und dem Bierbrauen hier berichtet wird.

Gäste mit eigenen Flaschen

"Nur", sagt Bernd Norkeweit, einer der drei Brauerei-Mitarbeiter, "Corona macht auch dem Museum zu schaffen. Wir haben geschlossen, wir haben keine Besucher, und das Einzige, was wir machen können, ist Flaschenabfüllen für die Besucher hier in Fürstenwalde."
Die kommen mit braunen Ein-Liter-Flaschen mit Bügelverschluss, die in der Brauerei gespült und dann neu befüllt werden. Heutzutage ist das eine eher altertümliche Art, sich mit frischem Bier zu versorgen, doch gerade daher nicht ohne Reiz.
In normalen Zeiten verlassen jährlich 60.000 Liter Bier die Brauerei, doch nun sind alle Gaststätten und Kneipen geschlossen. Immerhin, sagt Bernd Norkeweit, kommt durch die Besucher zur Zeit etwas Geld herein. Zudem habe man sich der aktuellen Situation angepasst:
"Im Januar haben wir jetzt einmal das Pils gebraut. Wir werden im Februar das Krüger-Kersten brauen – was wir sonst alle zwei Wochen gemacht haben, ist jetzt einmal im Monat."
Doch es tue weh, denn immerhin wird in Fürstenwalde seit 500 Jahren so erfolgreich Bier gebraut, dass, so Norkeweit, "wir zweitgrößte Braustadt waren im Mittelalter. 1810 gab es dann die Industrialisierung der Brauereien."
Damit fiel das sogenannte Krugsverlagsrecht weg, also der garantierte Bierabsatz in vorher bestimmten Gastwirtschaften. Ein neuer Konkurrenzkampf entbrannte. Nicht nur in Fürstenwalde und Umgebung, sondern in ganz Preußen damals.
Nach der Reform blieben von 104 Häusern, in denen in Fürstenwalde Bier gebraut wurde, noch 12 Brauereien zurück. Eine davon war die "Berliner Brauerei-Gesellschaft Tivoli", die hier eine Zweigniederlassung hatte. In der begann im Jahr 1873 der 25-jährige Japaner Nakagawa Seibe eine Brauerlehre. In Japan gründete er später die "Sapporo-Brauerei", die bis heute Bier braut.

Ein deutsch-japanisches Bierjubiläum

In Fürstenwalde träumt man davon, die engen Bande zu Japan wieder aufleben zu lassen – etwa mit einem gemeinsam gebrauten Jubiläumsbier. Schließlich sei es das kleine Städtchen Fürstenwalde gewesen, das das Bier nach Japan gebracht habe, erklärt der Rostocker Marc Leihe, ein professioneller Sushi-Meister, der sich in seinem beliebten Blog "MAKEMAKI" mit japanischer Kochkunst und Biertradition beschäftigt.
Bier, sagt Marc Leihe, habe in Japan inzwischen Sake, den auch warm getrunkenen Reiswein, als beliebtestes alkoholisches Getränk abgelöst: "Alkohol, und vor allem Bier, haben in der japanischen Gesellschaft einen hohen Stellenwert. So ist es beispielsweise üblich, dass Arbeitskollegen regelmäßig nach der Arbeit gemeinsam etwas trinken gehen. Bier trinkt man vor allem in japanischen Kneipen."
Im September 1876 eröffnete der frisch ausgelernte Bierbrauermeister Nakagawa die Sapporo-Brauerei feierlich auf Hokkaido, der nördlichsten Hauptinsel Japans. Dieses Datum, sagt auch Bernd Norkeweit, wäre ein feiner Anlass für ein 145-jähriges deutsch-japanisches Bierjubiläum.
"Doch", bedauert Bernd Norkeweit, "wir haben uns bemüht, in Kontakt zu treten. Aber die Traditionspflege in Japan ist ein bisschen anders. Es gab Einladungen für den Bürgermeister, für den Museumsleiter, und dann hat man in Japan doch umgeplant, und hat gesagt, wir machen das zu einem runderen, größeren Erlebnis, und machen das ein bisschen später. "

In Fürstenwalde herrscht Optimismus

Nun muss der Braugang mit dem deutsch-japanischen Traditionsbier in der Achse Hokkaido/Fürstenwalde noch etwas warten. Das Coronavirus ist immer noch kontinentalübergreifend. Darum bleibt in Fürstenwalde derzeit nur das Neubefüllen der Besucherflaschen.
"Nichts geht hier aus", sagt Norkeweit: "Es gibt zwei, drei Besucher, die holen sich Fässer, weil sie zu Hause eine Zapfanlage haben, aber gaststättenmäßig geht hier nichts raus. Das Einzige, was hier rausgeht, sind immer die Flaschen. "
Bier, heißt es, geht immer. Getreu diesem Motto haben sich die drei Brauer des Fürstenwalder Rathausbräus schon an die Arbeit für die Zeit nach Corona gemacht:
"Dieses Jahr wollen wir Braukurse anbieten. Wir haben dieses Jahr zum Beispiel durch den Torwächter auch ein Starkbier gehabt. Wir wollen im nächsten Jahr ein Jubiläumsbier machen für Fürstenwalde." Und so wird es hoffentlich bald wieder in Fürstenwalde "Prost" heißen - oder sogar "Kanpai" auf Japanisch.

Keine Coronahilfen für Löwenbräu

Auch die Stimmung im Gasthof zum Löwenbräu ist schon einmal besser gewesen. "Aktuell ist es schon alles eng, also nicht lustig", beschreibt Geschäftsführer Hans-Günther Wirth die Lage des Familienbetriebs in der Nähe von Nürnberg.
Er betreibt einen Gasthof mit angeschlossener Brauerei. Und das wird ihm nun mit den November- und Dezemberhilfen zum Verhängnis: Der Gasthof bekommt nämlich keine. Weil er ein Mischbetrieb ist. Jeder Betrieb, der mehr als 80 Prozent mit einer vom Lockdown betroffenen Tätigkeit verdient, bekommt die Hilfen. Doch die Braugasthöfe fallen anteilig knapp darunter:
"Das heißt, das Verhältnis ist so 77 zu 23, und deswegen werden wir von diesen Hilfen komplett ausgegrenzt. Und das ist nicht ganz fair, weil die Brauerei mit vier Mitarbeitern nicht die Gastronomie mit 25 bis 30 Mitarbeitern abdecken kann."

Vom Brauereigeschäft allein können Betriebe nicht leben

So geht es gegenwärtig vielen Braugasthöfen. Zwar läuft der Bierverkauf der Brauerfamilie Wirth wie vielerorts in Lockdownzeiten gut und benötigt nach eigenen Angaben weder Kurzarbeitergeld noch Lockdownhilfen, aber die Haupteinnahmequelle, der Gasthof, liegt eben brach:
"Das kann man eigentlich nicht getrennt sehen. Irgendwie wird die Brauerei immer querfinanziert von der Gastronomie, weil die Spanne in der Brauerei sehr viel geringer ist als in der Gastronomie. Vor allem bei solch kleinen Betrieben," sagt Hans-Günther Wirth.
Die Grünen-Bundestagsabgeordnete Lisa Badum aus Bamberg sorgt sich um die Kleinbrauereien in ihrem fränkischen Wahlkreis: "Wir reden hier bei den Brauereigaststätten über Betriebe, die teilweise seit Jahrhunderten bei uns in der Region existieren und Steuern zahlen. Es sind mittelständische Familienbetriebe, es sind Mittelpunkte sozialen Lebens in den Dörfern, in den Ortschaften, in den Städten. Und jetzt geht es einmal darum, dass sie genauso wie andere Gaststätten die November- und Dezemberhilfen ausgezahlt bekommen. Und ich habe kein Verständnis dafür, dass seit zwei Monaten nichts passiert."
Denn anderswo fließen ja die November- und Dezemberhilfen längst. Bäckereien mit angeschlossenem Café-Betrieb zum Beispiel bekommen sie problemlos. Denn sie sind formal gastronomische Betriebe – und keine Mischbetriebe. Auch Brauereigasthöfe, die hauptsächlich andere Lokale und Feste mit Fassbier beliefern, bekommen die Hilfen. Denn auch sie gelten als betroffen. Doch wer wie die Familie Wirth ein bisschen zu viel Bier in Flaschen verkauft, hat nun Pech.

Finanz- und Wirtschaftsministerium sorgen für Hoffnung

Warum gibt es überhaupt diese 80-Prozent-Klausel bei den November- und Dezemberhilfen? Macht sie Sinn? Ja, findet der CSU-Landtagsabgeordnete Michael Hofmann. Zum Beispiel bei anderen Mischbetrieben: "Das macht durchaus Sinn, weil natürlich die Frage ist: Ein großes Kaufhaus, das nebenher auch noch das Schnitzel mit Pommes anbietet – muss das jetzt unbedingt in diese Förderung mit reinfallen? Da sage ich ganz klar nein."
Ein Ikea-Restaurant oder eine Tankstelle seien schließlich weniger gefährdet als ein Traditionsgasthof. Inzwischen fordern Politiker aus der Region und die Branche ein Zusatz-Kriterium einzuführen, um den Brauereigasthöfen doch noch die Hilfen zu ermöglichen: Wer selbst hergestellte Lebensmittel verkauft – wie selbst gebrautes Bier oder selbst gebrannten Schnaps – soll wie Gastronomiebetriebe ohne Brauerei behandelt werden. Und: Es könnte sich noch was tun. Am Freitag vor zwei Wochen traf sich Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier mit CSU-Bundestagspolitikern und mit dem CSU-Landtagsabgeordneten Michael Hofmann, wie dieser berichtet: "Herr Altmaier war demgegenüber sehr aufgeschlossen und hat sich auch gut informiert gezeigt."
Im Ministerium selbst will man sich dazu nicht äußern. Doch auch Finanzminister Olaf Scholz hat erklärt, er wolle an einer Lösung für die Brauereigasthöfe mitarbeiten. In Frankens verwaisten Bierstuben ist noch Hoffnung.
Mehr zum Thema