Berlinale-Juror Lars Eidinger

"Ehrfurcht und Respekt vor der Aufgabe"

Ein Porträt des Schauspielers Lars Eidinger
Der Schauspieler Lars Eidinger © picture alliance / dpa / Uwe Zucchi
Lars Eidinger im Gespräch mit Nana Brink · 11.02.2016
Sie wird sich dieses Jahr wieder auf die Gewinner der Bären einigen müssen: Die Berlinale-Jury. Prominentestes Mitglied ist ihre Präsidentin Meryl Streep. Auch dabei: der Schauspieler Lars Eidinger, der sich auf die Gespräche mit Streep freut.
Der Schauspieler Lars Eidinger freut sich auf seine Rolle als Juror bei der Berlinale. Dem Deutschlandradio Kultur sagte er, er habe nach der Anfrage erst einmal überlegt, ob er das überhaupt könne. Nun freue er sich aber auf den Austausch mit seinen Mit-Juroren – und selbst die Präsidentin Meryl Streep habe nach eigenen Worten noch nie in einer Jury gesessen.
"Es macht sehr viel Spaß, einen Film zu schauen und danach darüber zu reden", betonte er. Zugleich habe er Ehrfurcht und Respekt vor der Aufgabe und der Verantwortung, die man als Juror trage. Die Jury sei eine "sehr gute Gruppe mit einer sehr guten Dynamik", so der Schauspieler. Sie habe sich darauf geeinigt, möglichst unbefangen und frei in die Filme zu gehen, berichtete Eidinger.

Das Gespräch im Wortlaut:
Nana Brink: Es geht los! Heute eröffnet die Berlinale ihre Pforten, die ersten Filme laufen, knapp 400 Filme zeigt die Berlinale ja bis zum 21. Februar. Im Wettbewerb um die Bären konkurrieren 18 Filme um die Trophäen, darunter Regie-Arbeiten aus Tunesien, den USA, Frankreich, Großbritannien, Kanada und Deutschland.
In der siebenköpfigen Jury sitzt neben der Jury-Präsidentin Meryl Streep der Schauspieler Clive Owen, die italienische Darstellerin Alba Rohrwacher, die französische Fotografin Brigitte Lacombe, der britische Filmkritiker Nick James, die polnische Filmemacherin Malgorzata Szumowska und der Berliner Film- und Theaterschauspieler Lars Eidinger, bekannt aus Maren Ades' Beziehungsdrama "Alle anderen", seine Hamlet-Inkarnation unter der Regie von Thomas Ostermeier und natürlich durch seine Rollen im "Tatort". Herr Eidinger, ich grüße Sie!
Lars Eidinger: Ja, hallo!
Brink: Haben Sie Ihre Präsidentin schon getroffen, Meryl Streep?
Eidinger: Ich habe sie schon getroffen, ja, so ein erstes Kennenlernen. Und Meryl Streep ist ja wirklich jemand, auf den sich alle einigen können, obwohl sie gar nicht so gefällig ist. Aber man trifft keinen, der sagt, Meryl Streep finde ich doof, mit der kann ich nichts anfangen. Und wenn man sie dann kennenlernt, wird man darin nur bestätigt. Also, diese Frau kann man tatsächlich nur lieben!
Brink: Sie sind ja zum ersten Mal in der Jury. Mit welcher Erwartung gehen Sie darein? Sie sitzen ja jetzt sozusagen auf der anderen Seite der Barrikade, wenn ich das mal so formulieren darf! Früher wurde über Sie geurteilt, 2009 zum Beispiel über den Film "Alle anderen", das Drama war ja auf der Berlinale vertreten, gewann den großen Preis der Jury. Jetzt also die andere Seite. Wie geht es Ihnen damit?
Alle Kinogänger sind im Grunde auch Hobbykritiker
Eidinger: Wenn man die Anfrage kriegt, ja, als ich die Anfrage bekommen habe, denkt man erst mal, ob man das überhaupt kann. Also, selbst Meryl Streep hat noch nie einer Jury gesessen, hat sie gesagt. Aber auf der anderen Seite, ich beschäftige mich ja tagein, tagaus mit nichts anderem als mit Film, mit Regisseuren, mit Redakteuren, mit Schauspielern. Insofern bin ich da natürlich schon Fachmann genug, um das zuzutrauen.
Trotzdem hat man natürlich so ein bisschen Ehrfurcht oder Respekt vor dieser Aufgabe und auch vor dieser Verantwortung, die man da trägt. Ich freue mich eigentlich eher so auf den Austausch. Also, ich meine, jeder von uns ist ja genau wie beim Fußball, wo alle als Hobbytrainer vor der Mattscheibe sitzen, es ist ja beim Film so, dass alle im Grunde Hobbykritiker sind. Also, jeder von uns geht ja aus einem Film und tauscht sich darüber aus. Also, wahrscheinlich mal tiefgründiger und mal oberflächiger, aber im Grunde macht es einfach sehr viel Spaß, einen Film zu schauen und danach darüber zu reden.
Brink: Haben Sie sich Kriterien überlegt im Vorfeld?
Eidinger: Nein, tatsächlich, darauf haben wir uns auch geeinigt als Jury, dass wir möglichst unbefangen reingehen und uns auch gar nicht vorher so viel durchlesen. Es gibt Broschüren, wo dann schon ein bisschen was drinsteht und so. Wir haben uns eigentlich verständigt, dass es schön ist, völlig frei reinzugehen.
Brink: Kann man das? Oder können Sie das?
Eidinger: Ich kann das, ja. Das ist ja auch was, was ich immer erlebe, wenn ich jetzt selber spiele. Dann denken die Leute oft, man hat dann so einen Tunnelblick. Das Gegenteil ist ja der Fall, man nimmt ja sehr viel gleichzeitig wahr, das eine schließt ja das andere nicht aus. Das ist ja auch in gewisser Weise die Faszination dieses Berufs.
"Ich gucke Filme nicht nur mit analytischer Distanz"
Ich habe in dem Moment, wenn ich spiele, ein Bewusstsein für mich selbst, ich habe ein Bewusstsein für den Zuschauer, für meine Partner. Und gleichzeitig kann ich noch darüber nachdenken, dass ich meine Tochter am nächsten Tag morgens zur Schule bringen muss.
Das finde ich eigentlich eher das Interessante an dem Beruf, dass es so ein komplexes Bewusstsein ist. Und so ist es bei mir beim Filmegucken auch. Natürlich gucke ich mir an, wie jemand spielt, aber trotzdem kann der mich emotional mitnehmen. Ich gucke nicht aus einer Distanz drauf oder analytisch, oder sagen wir: nicht nur. Sondern es findet alles gleichzeitig statt.
Brink: Weil Sie gesagt haben, Sie haben jetzt keine fixen, keine festen Kriterien im Kopf, sondern Sie wollen da reingehen und dann diesen Film auf sich wirken zu lassen, was muss der mitbringen für Sie, um ein guter Film zu sein?
Eidinger: Ja, ich habe neulich ein ganz tolles Zitat gelesen von Julian Schnabel, der gesagt hat, meine Bilder muss man nicht verstehen, die muss man fühlen. Und da geht es nicht um meine Gefühle, sondern um die Gefühle des Betrachters, und ein Kunstwerk ist so lange tot, bis jemand draufschaut. So geht es mir eigentlich mit Filmen auch. Ich finde, das kann man eigentlich auf alle Künste übertragen.
Die Jury der 66. Berlinale (l-r): Lars Eidinger, Jury-Vorsitzende Meryl Streep und Clive Owen.
Alle in der Jury: Lars Eidinger mit Meryl Streep und Clive Owen© picture alliance / dpa / Jens Kalaene
Also, ich will, auch wenn das jetzt so nach einem Allgemeinplatz klingt, aber ich will in erster Linie berührt werden und ich will mich wiederfinden in dem Film. Also, das ist ja immer so eine Situation, wenn man damit nichts anfangen kann, wenn man es so von sich weghält, wenn der Film nichts mit einem macht, dann merkt man, es bedeutet einem irgendwie nichts.
Teilweise ist es aber auch so für mich, dass man das Fremde sucht, also was man vielleicht ... worüber man noch nicht nachgedacht hat, was man noch nicht erlebt hat, was man noch nicht gefühlt hat. Oder man will gefordert werden oder überrascht werden.
Ich merke nur: Je weniger ich mit einer Erwartungshaltung reingehe, desto besser ist es. Also, ich versuche mittlerweile auch vorher, wenn ich so ins Kino gehe, einfach nichts zu lesen oder ... Das, finde ich, ist irgendwie so ein bisschen hinderlich, wenn man Filme gucken will.
Brink: Ist es denn unlauter, wenn ich Sie jetzt frage, was ist denn so ein Film, der Sie total berührt hat, gefangen genommen hat?
Jury-Mitglieder müssen gewisse Regeln beachten
Eidinger: Ja, es ist so interessant zu fragen, ist das jetzt unlauter. Weil, wir haben schon auch mit ziemlich ... Also, ich will jetzt nicht sagen strenge Einweisungen, aber es gibt natürlich gewisse Regeln, die man als Jury-Mitglied beachten muss, also dass man da jetzt nicht auf irgendwelche Filmpartys geht von Produktionsfirmen, die im Wettbewerb sind, oder dass man jetzt nicht leichtfertig in einem Interview sagt, heute Morgen habe ich mich total gelangweilt oder bin eingeschlafen oder so. Also, da muss man schon vorsichtig sein.
Brink: Was war denn in der Vergangenheit so ein Film, der Sie einfach gefangen genommen hat?
Eidinger: Ja, das war ganz interessant, beim Kennenlernen haben wir am Tisch über "The Revenant" gesprochen und das fand ich schon auch spannend zu sehen, wie unterschiedlich die Leute auf den Film reagieren. Mich hat der total beeindruckt. Also, eigentlich auch wie lange kein Film mehr, sodass ich dachte ... Das ist ganz selten bei mir so, ist auch kein Kriterium, dass ich noch mal rein wollte, ich wollte es einfach noch mal erleben.
Dieser Bär, dieser Kampf mit dem Bär, das ist unglaublich. Also, das ist schon so ein Punkt, wo man das Gefühl hat, jetzt sind die Effekte an einem Punkt, wo man seinen Augen nicht mehr trauen kann, das hat mich schon sehr beeindruckt. Aber ich bin auch ein Riesen-Leonardo-DiCaprio-Fan, ich würde mir alles angucken, wo der mitspielt, und ich finde den einfach ganz großartig und ich bin schon einfach froh, mir zwei Stunden diesen Schauspieler angucken zu dürfen.
Brink: Apropos zwei Stunden: Hat man manchmal so ein bisschen Manschetten, wenn man sieht, da gibt es zum Beispiel einen philippinischen Wettbewerbsfilm von Lav Diaz, der geht über acht Stunden, genauer gesagt: über 482 Minuten?
Es ist ein Privileg, sich besonders langen Filmen auszusetzen
Eidinger: Nein, im Gegenteil. Bei mir ist es so, ich empfinde es als ein totales Privileg und als einen Luxus, sich dem auszusetzen. Also, ich habe mich gestern wieder gewundert, als ich abgeholt wurde, hat hinter uns jemand gehupt, da denke ich immer so, was macht der mit diesen zwei Minuten, die er jetzt vermeintlich einsparen will?
Also, ich bin immer froh, wenn ich dazu gezwungen – klingt jetzt negativ, meine ich aber nicht so – werde, so was auszuhalten. Das ist doch interessant! Das letzte Erlebnis, was ich mit Zeit hatte, war letztes Jahr, glaube ich, Robert Wilson mit "Einstein on the Beach" hat gastiert in Berlin im Haus der Festspiele, und das ging fünf Stunden ohne Pause.
Das finde ich einfach irre, ich kann da drin sitzen und es wird dann ab einem gewissen Punkt zum Teil meditativ. Ich finde, man fängt dann auch anders an zu schauen, man geht durch verschiedene Phasen des Guckens. Und meinetwegen wird man dann auch mal kurz schläfrig, das finde ich aber auch nicht so schlimm! Also, ich freue mich da total drauf! Ich habe noch keinen Film gesehen, der acht Stunden dauert.
Brink: Letztes Jahr hatten Sie ja bei einer Pressekonferenz auf der Berlinale zum Wettbewerbsfilm "Sworn Virgin" ganz lustige Haarspangen im Haar. Bekommen wir die auch wieder zu sehen dieses Jahr?
Nasenring und Arschgeweih statt Haarspange
Eidinger: Nein, aber ich weiß nicht ... Tatsächlich trage ich diese Haarspangen auch privat, es war jetzt nicht so, dass ich dachte, wow, jetzt denke ich mir mal was ganz Ausgeflipptes für die Berlinale aus und lande damit in jeder Zeitung! Ich war dann tatsächlich ein bisschen eher überrascht, wie viel – in Anführungszeichen – Aufsehen diese Haarspange erregt hat. Mir gefällt das einfach.
Also, ich habe manchmal ... Manchmal ist es auch so ein praktisches Ding, mein Pony fällt manchmal so ins Gesicht, das gefällt mir dann auf Fotos nicht und dann fixiere ich die halt mit einer Haarspange. Und ich mache das zu Hause, wenn ich meine Tochter ins Bett bringe und lese der noch was vor, dann nehme ich ihre Haarspange raus und mache die bei mir rein. So und abends beim Zähneputzen sehe ich die dann und dann gefalle ich mir. Und deswegen habe ich die reingemacht. Aber ehrlich gesagt, es ist jetzt eher eine Reaktion, dass ich denke, so, wenn ich jetzt wieder mit dieser Haarspange ankommen würde, das wäre ein bisschen doof. Nein, die verkneife ich mir dieses Jahr.
Brink: Vielen Dank ...
Eidinger: Ich habe mir dieses Jahr einen Nasenring stechen lassen und ein Arschgeweih auf die Stirn tätowieren lassen. Das ist jetzt neu dieses Jahr.
Brink: Vielen Dank, Lars Eidinger, schönen Dank für das Gespräch!
Eidinger: Ja, gerne!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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