Belletristik

Die Grenzen zwischen den Bürgern

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Der spanische Schriftsteller Javier Cercas © picture alliance / dpa / Fondazione Musica Per Roma
Von Katharina Döbler · 01.05.2014
Javier Cercas gehört zu den bemerkenswertesten Autoren in Spanien, sein Werk wird in mehr als 20 Sprachen übersetzt. Jetzt ist das neueste Werk von Cercas erschienen, ein Roman, der so tut, als sei er dokumentarisch.
Im Original heißt der Roman "Las Leyes de la Frontera" - die Gesetze der Grenze. Tatsächlich sind Grenzen ein zentrales Motiv im Werk von Javier Cercas: Grenzen der Moral, die einer mitten im Krieg plötzlich erkennt, wie in dem Roman "Soldaten von Salamis"; Grenzen zwischen Parteien, wie in seiner literarischen Dokumentation des faschistischen Putschversuchs in Spanien 1981 ("Anatomie eines Augenblicks").
Und nun, in seinem neuen Roman, der im Hajr 1978 beginnt, geht es um die sehr deutlichen sozialen Grenzen zwischen Wohnvierteln, zwischen den braven Bürgern, die auf der "richtigen" Seite des Flusses wohnen, und den Nachkommen von nichtsesshaften "Quinquis" im heruntergekommenen Rotlichtviertel, außerhalb von Gesellschaft und Legalität.
Javier Cercas war, ebenso wie seine Protagonisten, im Jahr 1978 gerade 16 Jahre alt. Die damalige Topografie der Stadt Gerona hat er für sein Buch genau vermessen. Und auch sonst hat er mit dokumentarischer Exaktheit gearbeitet und den Gestus einer Reportage bis ins Detail imitiert. Es ist also, umgekehrt wie sein letztes und viel gelobtes Buch, ein Roman, der so tut, als sei er dokumentarisch.
Ikone der anarchischen Subkultur
Der Geroneser Anwalt Ignacio Cañas spricht mit einem Sachbuchautor über seine Jugendfreundschaft mit dem berüchtigten Outlaw Antonio Gamallo, genannt "El Zarco". Für diese Figur diente dem Autor der authentische Quinqui "El Vaquilla" als Vorbild, der in den 1970er- und 1980er-Jahren Anführer einer jugendlichen Räuberbande war. Wegen zahlreicher Ausbrüche, Schießereien mit der Polizei und vor allem wegen eines Buches, das er über sein Leben als spanischer Robin Hood schrieb, wurde er zur Ikone der anarchischen Subkultur jener Zeit.
Wieder einmal spielt Javier Cercas hier also ein Stück Zeitgeschichte durch. Cañas, so wird aus seinem eigenen Bericht und Erzählungen eines Polizisten und eines Gefängnisdirektors deutlich, wurde durch seine bürgerliche Familie vor dem Gefängnis und einer kriminellen Karriere bewahrt. Aber ganz kann er sich von der Vergangenheit nicht lösen: Nach zwanzig Jahren taucht plötzlich Teresa bei ihm auf, die einst El Zarcos Gefährtin war. Sie wird seine Geliebte und gewinnt ihn als Anwalt für den seit langem inhaftierten Zarco, schließlich zieht sie die Fäden einer Medienkampagne für dessen Freiheit.
So interessant Cercas' Einblicke in die sozialen Strukturen seiner Stadt gelegentlich sind und so satirisch seine Medienanalyse ausfällt: Dieser Roman bleibt weit hinter dem Format der "Anatomie eines Augenblicks" zurück. Die pseudo-dokumentarische Struktur verbindet sich nur schlecht mit der allzu romanüblichen Figurenkonstellation und fördert nicht viel mehr zutage als das ohnehin Erwartete.

Javier Cercas: Outlaws
Aus dem Spanischen von Peter Kultzen
S.Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2014
512 Seiten, 24,99 Euro

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