Beckett und Deutschland
Samuel Beckett (1906 - 1989) las und sprach Deutsch und konnte Hölderlin sogar auswendig zitieren. Der Drehbuchautor Goggo Gensch hat sich ausführlich mit dem Schriftsteller beschäftigt. Seine Beckett-Biografie "Beckett - Lippen schweigen" ist in zwei Akten im SWR zu sehen.
Gensch: Also das erste Mal in Deutschland war er schon Anfang der 30er Jahre. Er war dort verliebt in seine Cousine Peggy Sinclair, die in Kassel gelebt hat, und hat die dort immer wieder besucht. Dann hat er 1937/38 eine halbjährige Deutschlandreise unternommen, die lange unbekannt war. Das hat man in Tagebüchern, die in Reading lagen, jetzt herausgefunden, wo er in Hamburg, Berlin, Leipzig, Dresden unter anderem war. Und dort hat ihn vor allem, war er in Museen, also die Kunst hat ihn dort sehr interessiert. Er war ein großer Freund von Caspar David Friedrich, hat sich aber auch viele andere Bilder zeigen lassen, auch zum Teil die, die schon im Keller waren, weil sie als entartet galten. Und er hat die deutsche Sprache sehr geliebt. Und da hat er den früheren Intendanten des Süddeutschen Rundfunks sehr beeindruckt, indem er nämlich Hölderlin auswendig zitiert hat. Er hat auch Deutsch verstanden, gesprochen, in Deutsch gelesen, hat wohl Grillparzer auch gelesen, Goethe. Und die deutsche Kultur hat ihn sehr interessiert. Auch Beethoven und Schubert als Komponisten waren eigentlich Zeit seines Lebens die Musiker, die ihm am nächsten waren.
Kassel: Sie haben diese Tagebücher, diese Aufzeichnungen erwähnt, die erst relativ spät entdeckt wurden über die Aufenthalte, also die erste Reise - Aufenthalte gab es später auch noch - aber die erste Reise von Samuel Beckett durch Deutschland. Sie haben auch gesagt, es war in den späten 30er Jahren, 1937. Und jetzt reden Sie über die Kunst, die deutschen Künstler, die Beckett beeinflusst haben. Hat er damals bei seiner Reise vom Nationalsozialismus, von der politischen Situation in Deutschland, gar nichts mitbekommen?
Gensch: Er hat davon etwas mitbekommen. Er hat es sehr sarkastisch in seinen Tagebüchern immer notiert. Da finden sich dann so Sätze wie "alle Klowärter sagen Heil Hitler" oder "diese Berliner Schreihälse". Er hat wohl eine Rundfunkübertragung gehört von Goebbels und Hitler. Und hat es sehr wohl registriert. Er ist ja dann auch, nachdem er zurück ist, in Paris relativ schnell der Résistance beigetreten nach der Besetzung Frankreichs durch Deutschland und war dort auch sehr aktiv. Also er hat dann auch ganz klar Position bezogen.
Kassel: Sie haben schon am Anfang unseres Gesprächs erwähnt, dass Sie ja mit vielen Menschen, eben unter anderem in Deutschland, gesprochen haben, die ihn kannten, die mit ihm zusammen gearbeitet haben. Er war, wenn die Journalisten ankamen und irgendetwas wissen wollten, ja gerne verschlossen und hat wirklich nur nach extremer Bedrohung auch mal ein Interview gegeben, und am Ende eigentlich gar nicht mehr. Wie war denn sein Umgang mit Kollegen, mit Schauspielern zum Beispiel, mit vielleicht im Rundfunk auch mal Redakteuren, mit Regisseuren. War das wirklich eine intensive Begegnung oder war er da auch schweigsam?
Gensch: Nein, da war er überhaupt nicht schweigsam. Also ich habe ihn selber mal erleben dürfen als Aufnahmeleiter noch 1981. Und er hat dort ganz intensive Gespräche geführt mit denen, war gegenüber Redakteuren, also dem damaligen Fernsehspielchef des Süddeutschen Rundfunks, dem Reinhard Müller-Freienfels gegenüber, das war eine richtige Freundschaft. Das war allerdings auch immer so ein behüteter Raum. Also seine Bedingungen waren: Keine Journalisten! Es durfte niemand erfahren von der Presse, dass er jetzt wieder in Stuttgart ist und ein Stück inszeniert. Und der Süddeutsche Rundfunk hat ihm diesen Ort gewährt, und dann hat er sich frei und unbefangen gefühlt und war dort, es sind richtige Freundschaften entstanden, auch mit dem Kameramann Jim Lewis damals und so.
Kassel: Wir haben ja darüber geredet, dass Beckett sehr ungern Interviews gegeben hat und ein sehr scheuer Mensch war. Angeblich war es so, 1969, als er den Literaturnobelpreis bekommen hat. Da war er gerade in Indonesien. Seine Frau erreichte dort der Anruf, die hat es dann weitergegeben und hat gesagt: Oh Gott, das Schlimmstmögliche ist passiert! Jetzt ist es völlig vorbei mit der Anonymität! Und die beiden haben es angeblich als ärgerlich empfunden, dass er den Nobelpreis bekommen hat. War das wirklich so, oder hat er sich nicht heimlich doch gefreut. Denn das ist ja nun wirklich ein bedeutender Preis.
Gensch: Er hat sich sicherlich innerlich gefreut. Aber er hat gewusst, dass es mit der Ruhe vorbei ist. Also seine Frau hat angeblich, wie mir mehrere Leute gesagt haben, darauf geantwortet mit "quelle catastrophe!". Er hat ein Interview gegeben schwedischen Journalisten, weil der Nobelpreis ja in Schweden verliehen wird. Und sein Verleger Jérôme Lindon aus Frankreich war auch nicht sehr glücklich drüber, dass Beckett sich so jeder Public Relations verweigert. Aber er blieb da konsequent und hat auch seinen Verleger hingeschickt zur Verleihung. Mit dem Geld hat er dann sehr vielen Schriftstellerkollegen geholfen, denen es wirtschaftlich nicht so gut ging, und auch dem Trinity College eine Spende gemacht. Und das war für ihn eine Möglichkeit, dort auch Gutes zu tun.
Kassel: Sie haben in diesem Gespräch jetzt schon erwähnt, welches denn das Lieblingsstück des Beckett Biographen Knowlson ist. Jetzt frage ich aber natürlich auch Sie, darf ja gerne auch ein Roman sein - seine Romane werden immer so gerne vergessen - oder eines der Theaterstücke. Sie persönlich, welches hat Sie denn am meisten beeindruckt?
Gensch: Also von den Romanen hat mich am meisten beeindruckt "Murphy". Das ist sein erster Roman. 1936 hat er den geschrieben. Das ist auch der humorvollste Roman von ihm, über einen Menschen, der sich freiwillig an den Schaukelstuhl fesselt, um dort die Seeligkeit zu finden. Es endet auch tragisch. Aber der humorvolle Beckett kommt da auch sehr raus. Und der wird ja auch immer so ein bisschen vergessen.
Kassel: Herzlichen Dank! Goggo Gensch war das, der Autor der filmischen Biographie "Beckett - Lippen schweigen" im Gespräch im Deutschlandradio Kultur. Der erste Akt, es heißt in diesem Fall nicht Teil, der erste Akt dieser Biographie ist heute Abend um 22 Uhr 35 zu sehen und der zweite Akt dann morgen um 22 Uhr 40 jeweils im SWR Fernsehen.
Kassel: Sie haben diese Tagebücher, diese Aufzeichnungen erwähnt, die erst relativ spät entdeckt wurden über die Aufenthalte, also die erste Reise - Aufenthalte gab es später auch noch - aber die erste Reise von Samuel Beckett durch Deutschland. Sie haben auch gesagt, es war in den späten 30er Jahren, 1937. Und jetzt reden Sie über die Kunst, die deutschen Künstler, die Beckett beeinflusst haben. Hat er damals bei seiner Reise vom Nationalsozialismus, von der politischen Situation in Deutschland, gar nichts mitbekommen?
Gensch: Er hat davon etwas mitbekommen. Er hat es sehr sarkastisch in seinen Tagebüchern immer notiert. Da finden sich dann so Sätze wie "alle Klowärter sagen Heil Hitler" oder "diese Berliner Schreihälse". Er hat wohl eine Rundfunkübertragung gehört von Goebbels und Hitler. Und hat es sehr wohl registriert. Er ist ja dann auch, nachdem er zurück ist, in Paris relativ schnell der Résistance beigetreten nach der Besetzung Frankreichs durch Deutschland und war dort auch sehr aktiv. Also er hat dann auch ganz klar Position bezogen.
Kassel: Sie haben schon am Anfang unseres Gesprächs erwähnt, dass Sie ja mit vielen Menschen, eben unter anderem in Deutschland, gesprochen haben, die ihn kannten, die mit ihm zusammen gearbeitet haben. Er war, wenn die Journalisten ankamen und irgendetwas wissen wollten, ja gerne verschlossen und hat wirklich nur nach extremer Bedrohung auch mal ein Interview gegeben, und am Ende eigentlich gar nicht mehr. Wie war denn sein Umgang mit Kollegen, mit Schauspielern zum Beispiel, mit vielleicht im Rundfunk auch mal Redakteuren, mit Regisseuren. War das wirklich eine intensive Begegnung oder war er da auch schweigsam?
Gensch: Nein, da war er überhaupt nicht schweigsam. Also ich habe ihn selber mal erleben dürfen als Aufnahmeleiter noch 1981. Und er hat dort ganz intensive Gespräche geführt mit denen, war gegenüber Redakteuren, also dem damaligen Fernsehspielchef des Süddeutschen Rundfunks, dem Reinhard Müller-Freienfels gegenüber, das war eine richtige Freundschaft. Das war allerdings auch immer so ein behüteter Raum. Also seine Bedingungen waren: Keine Journalisten! Es durfte niemand erfahren von der Presse, dass er jetzt wieder in Stuttgart ist und ein Stück inszeniert. Und der Süddeutsche Rundfunk hat ihm diesen Ort gewährt, und dann hat er sich frei und unbefangen gefühlt und war dort, es sind richtige Freundschaften entstanden, auch mit dem Kameramann Jim Lewis damals und so.
Kassel: Wir haben ja darüber geredet, dass Beckett sehr ungern Interviews gegeben hat und ein sehr scheuer Mensch war. Angeblich war es so, 1969, als er den Literaturnobelpreis bekommen hat. Da war er gerade in Indonesien. Seine Frau erreichte dort der Anruf, die hat es dann weitergegeben und hat gesagt: Oh Gott, das Schlimmstmögliche ist passiert! Jetzt ist es völlig vorbei mit der Anonymität! Und die beiden haben es angeblich als ärgerlich empfunden, dass er den Nobelpreis bekommen hat. War das wirklich so, oder hat er sich nicht heimlich doch gefreut. Denn das ist ja nun wirklich ein bedeutender Preis.
Gensch: Er hat sich sicherlich innerlich gefreut. Aber er hat gewusst, dass es mit der Ruhe vorbei ist. Also seine Frau hat angeblich, wie mir mehrere Leute gesagt haben, darauf geantwortet mit "quelle catastrophe!". Er hat ein Interview gegeben schwedischen Journalisten, weil der Nobelpreis ja in Schweden verliehen wird. Und sein Verleger Jérôme Lindon aus Frankreich war auch nicht sehr glücklich drüber, dass Beckett sich so jeder Public Relations verweigert. Aber er blieb da konsequent und hat auch seinen Verleger hingeschickt zur Verleihung. Mit dem Geld hat er dann sehr vielen Schriftstellerkollegen geholfen, denen es wirtschaftlich nicht so gut ging, und auch dem Trinity College eine Spende gemacht. Und das war für ihn eine Möglichkeit, dort auch Gutes zu tun.
Kassel: Sie haben in diesem Gespräch jetzt schon erwähnt, welches denn das Lieblingsstück des Beckett Biographen Knowlson ist. Jetzt frage ich aber natürlich auch Sie, darf ja gerne auch ein Roman sein - seine Romane werden immer so gerne vergessen - oder eines der Theaterstücke. Sie persönlich, welches hat Sie denn am meisten beeindruckt?
Gensch: Also von den Romanen hat mich am meisten beeindruckt "Murphy". Das ist sein erster Roman. 1936 hat er den geschrieben. Das ist auch der humorvollste Roman von ihm, über einen Menschen, der sich freiwillig an den Schaukelstuhl fesselt, um dort die Seeligkeit zu finden. Es endet auch tragisch. Aber der humorvolle Beckett kommt da auch sehr raus. Und der wird ja auch immer so ein bisschen vergessen.
Kassel: Herzlichen Dank! Goggo Gensch war das, der Autor der filmischen Biographie "Beckett - Lippen schweigen" im Gespräch im Deutschlandradio Kultur. Der erste Akt, es heißt in diesem Fall nicht Teil, der erste Akt dieser Biographie ist heute Abend um 22 Uhr 35 zu sehen und der zweite Akt dann morgen um 22 Uhr 40 jeweils im SWR Fernsehen.