Beatles und KI

Revolution der Popmusik oder Wiederauferstehung von Toten?

05:32 Minuten
Foto der Beatles von 01/06/67:  Paul McCartney, George Harrison, Ringo Starr und John Lennon in einem Plattenstudio in London.
Die Fab Four 1967 in London: Der Song "Now And Then" lässt auch die beiden verstorbenen Beatles John Lennon und George Harrison noch einmal aufleben. © picture alliance / empics / PA
02.11.2023
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Mehr als 50 Jahre nach Trennung der Beatles erscheint ein neuer Song der Band: In "Now and Then" sind die Fab Four durch den Einsatz künstlicher Intelligenz wieder vereint. Eröffnet die KI neue kreative Möglichkeiten oder entwertet sie den Künstler?
Der Einsatz von künstlicher Intelligenz (KI) in der Musik führt immer wieder zu Kontroversen. Zuletzt sorgte ein Song, der angeblich von Drake und The Weeknd stammte, für Aufsehen: Tatsächlich waren die Stimmen der beiden Superstars mit Hilfe von KI zu einem neuen Song gemischt worden. Das gefiel weder den Künstlern noch der Plattenfirma, die versuchte, den Song schnell wieder aus dem Netz zu löschen.
Beim neuen Beatles-Song "Now and Then" liegt der Fall etwas anders. Die Künstler selbst haben die KI eingesetzt. Aber nicht jeder ist begeistert von der Idee, den toten John Lennon wiederaufleben zu lassen.

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Letzter Beatles-Song dank KI - mit Zombie-John

Ein Kommentar von Adalbert Siniawski
"Wenn es nach mir ginge, wäre Paul McCartney der einzige, der sie nutzen darf", scherzte Rockstar Alice Cooper über die Experimente des ehemaligen Beatle mit künstlicher Intelligenz. Um mit vollem Ernst hinzuzufügen: Gefährlich sei, dass man bald nicht mehr glauben könne, was man hört oder sieht.
Um mit Cooper zu sprechen: Wer kann schon mit Sicherheit sagen, dass bei "Now And Then" wirklich ausschließlich die originale Stimme von John Lennon erklingt, und nicht auch die einer KI-Kopie?

Künstlerische Arbeit wird degradiert

Ethische und rechtliche Fragen, die stellten sich schon Mitte der 90er-Jahre, als Lennons Ex-Kollegen die zwei anderen Titel auf seiner Demo-Kassette, "Free as a Bird" und "Real Love", mit der damals verfügbaren Technik zu gemeinsamen, neuen Beatles-Songs mischen konnten.
"Für Paul" hatte John zu Lebzeiten auf die Kassette angeblich geschrieben. Nachlassverwalterin Yoko Ono hat sie McCartney nach Lennons Tod weitergegeben. Doch ein Demo-Band ist nicht mehr als eine akustische Skizze, unfertig im Sound, ohne klares Verwendungsziel und im Zweifel dafür da, wieder verworfen zu werden. Die KI macht es nun leichter, solche Aufnahmen zu verwenden. Doch wenn Dritte mit einer fremden Stimme experimentieren, wenn eine Stimme im nächsten Schritt sogar ganz gefaked wird - wo bleibt dann das Persönlichkeits- und Urheberrecht? Nach der Welle der illegalen Musik-Downloads, nach Debatten um Centbeträge aus dem Musik-Streaming wird mit KI künstlerische Arbeit ein weiteres Mal degradiert. Und überhaupt: Hätte John Lennon einer Beatles-Reunion zugestimmt?

Wenn mit KI Tote zum Leben erweckt werden

Sicher, mehr als 50 Jahre nach Auflösung der Fab Four feiern viele Fans das Erscheinen von "Now And Then" als Sensation. Doch es gibt auch Beatles-Fans wie mich, die sagen: Jegliches hat seine Zeit - auch Karrieren von Bands und Musikern. Stattdessen macht Paul McCartney jenseits der 80 mit krächzender Stimme weiter und damit jede Menge Geld. Durch den Einsatz von KI-Technik konnte er 2022 auf seiner US-Tour den alten Titel "I've Got a Feeling" sogar im Duett mit seinem 1980 verstorbenen Partner auf der Bühne singen. So machen Paul McCartney und seine Co-Produzenten John Lennon zum Zombie. Und dieser Fall wird nicht der einzige bleiben, wo mit KI Tote zum Leben erweckt werden - das wird der zu Recht besorgte Alice Cooper sicher noch erleben. Gruselig.

Beatles revolutionieren mal wieder die Popmusik

Ein Kommentar von Lars-Hendrik Beger
Darf man wirklich mit einer KI die Beatles wieder zusammenführen, den toten John Lennon durch einen Algorithmus zum Leben erwecken? Vielleicht muss man sogar. Man überlege sich nur, welche Schätze für immer im kulturellen Sediment versteinert wären, hätte man sie aus Zurückhaltung gegenüber den Toten nicht veröffentlicht: Werke eines Franz Kafka, Briefe von Thomas Mann oder Tagebücher der Anne Frank. Auch in der Musik sind solche postumen Veröffentlichungen längst gängige Praxis. Nicht immer sind solche Erzeugnisse gelungen, selten werfen sie ein neues Licht auf die Künstler:innen oder ihr Gesamtwerk. Und dennoch offenbaren sie verborgene Facetten jener Personen, die die kulturellen Identitäten ganzer Generationen prägten.

Beatles gehen auch dieses Mal neue Wege

Der vermeintliche Tabubruch in diesem Fall liegt jedoch nicht nur in der Veröffentlichung eines alten Demobandes, sondern seiner Restauration durch KI. Dabei ist es kaum überraschend, dass ausgerechnet die Beatles einen Song mit KI restaurieren. Schließlich waren es so oft die Beatles, die als erste Band Neues probiert und damit den Pop revolutioniert haben. Gut denkbar, dass sie auch dieses Mal neue Wege betreten, auf denen ihnen andere Bands folgen werden. Wer weiß, welche Demos einer Janis Joplin, eines David Bowie oder Prince noch so in den Archiven schlummern.
Den Labels und Hinterbliebenen, in diesem Fall Paul McCartney und Ringo Starr, unmoralischen Geschäftssinn vorzuwerfen, greift dabei zu kurz - auch, wenn der Gedanke naheliegend ist. Gleichzeitig zeigt die aktuelle Entwicklung in der Musikbranche, dass rein wirtschaftlich nicht die Musik im Vordergrund steht - sondern lediglich die Marke dahinter. Geld lässt sich fast nur noch mit den Lizenzkatalogen alter Legenden à la Bob Dylan, Neil Young oder, na klar, den Beatles verdienen. Fangeschenke wie “Now and Then” entsprechen keineswegs diesem Muster. Sie stellen die Liebe zur Sache in den Vordergrund und geben Fans die Gelegenheit, in ein altes Gefühl wieder einzutauchen: ihre Lieblinge auf ein Neues zu entdecken.

Deutschlandradio, gue
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