Jugendkongress 2022
Beim Jugendkongress wird nicht nur über Politik gesprochen, sondern auch geflirtet, sich angefreundet und vernetzt. © Getty Images / iStockphoto / cienpies
Basar der Möglichkeiten
05:49 Minuten

Beim Jugendkongress des Zentralrates und der Zentralwohlfahrtsstelle treffen, vernetzen und verbandeln sich jüdische Menschen zwischen 18 und 35 Jahren. Jetzt fand er das erste Mal seit Beginn der Pandemie in Berlin statt.
Der 24-jährige Marat, der Informationstechnik in Mannheim studiert, hat schon an einigen „Jukos“, also Jugendkongressen, teilgenommen. Er ist sehr aktiv in der jüdischen Jugendarbeit, fährt regelmäßig auf Machanot, die jüdischen Jugendfreizeiten und zur Jewro, zur Jewrovision, dem großen jüdischen Songcontest.
„Ich kenne hier einfach super viele Leute von den ganzen Machanot, wo es einfach schön ist, sie wiederzusehen. Weil das so neben der Jewro eigentlich der einzige Ort ist, wo man wirklich Zeit findet, sich zu sehen, alte Geschichten auszupacken und neue Zeiten zu erleben.“
Noch nicht ganz wie vorher
Die Pandemie, sagt er, habe ihre Spuren hinterlassen. „Es ist supercool. Aber dadurch, dass so viele andere nicht da sind, fehlt trotzdem irgendwas. Es fühlt sich noch nicht so an wie früher. Ich glaube, es fehlt noch der letzte Funken.“
Und doch stand vielen der gut 300 Teilnehmenden des ersten Jugendkongresses seit Beginn der Pandemie die Erleichterung ins Gesicht geschrieben.
Der Jugendkongress stand unter dem Motto „Die Zukunft gehört uns!“ Bei den Workshops und Gesprächspanels mit Personen aus Politik, Medien und Wissenschaft ging es um harte Themen: um die Revolution im Iran, um Verschwörungsmythen, um den Klimawandel mit Luisa Neubauer von Fridays for Future, oder um die Haltung Israels im Ukraine-Krieg. Die Jüdische Studierendenunion hielt zudem ihre Vollversammlung ab. Eine Juko ist vor allem auch eine große Kontaktbörse. Es wird geflirtet, sich angefreundet und vernetzt.
„Der Jugendkongress ist die wichtigste Plattform, bei der sich die junge jüdische Generation miteinander vernetzen kann", sagt Aaron Schuster, der Leiter der Zentralwohlfahrtsstelle der Juden in Deutschland, kurz ZWST. Er erinnert sich gern an die Jukos, an denen er früher teilgenommen hat. Eine Juko sei ein absoluter Höhepunkt im Jahr.
Workshops und Updates
„Wir sind wahnsinnig glücklich, dass wir nach zweijähriger coronabedingter Pause wieder zusammenkommen können!", findet auch Alexandra. Sie ist Lehrerin an einem Gymnasium in Düsseldorf.
„Und da ist das immer eine sehr schöne Gelegenheit, sich hier wiederzutreffen, gemeinsam die Workshops zu besuchen, sich auszutauschen, sich einfach mal auf den neuesten Stand zu bringen.“
Einen Tag zum Kaschern des Hotels
Vor dem Jugendkongress konnten die Teilnehmenden auswählen, ob sie koscher leben oder nicht. Das betrifft die Speisen, aber auch Veranstaltungen während des Schabbats, dem jüdischen Ruhetag. Die 34-jährige Ekaterina ist das erste Mal dabei. Die Verwaltungsangestellte aus Dortmund lebt mit ihrer Familie observant, hält sich an den Schabbat und die jüdischen Speisegesetze.
„Ich bin sehr glücklich, dass ich das hier tatsächlich auch ausleben konnte, dass ich mir weder beim Essen noch beim Schabbathalten Gedanken machen musste. Da bin ich sehr dankbar für.“
Um die Küche des Hotels koscher zu machen, wurde eigens ein Team aus Israel eingeflogen. Gut einen Tag hat es gedauert, alles entsprechend den jüdischen Speisevorschriften herzurichten.
Schlaflose Nächte
Viel Schlaf steht für niemanden auf dem Programm. Auch Ari und Louis aus Hamburg haben das gemerkt. Sie studieren Jura und engagieren sich im Regionalverband Nord der Jüdischen Studierendenunion.
„Die Events waren super. Es packt einen, wenn man zusammensteht und zusammen singt und man spürt tief in einem drin etwas, was man sonst im Alltag eigentlich nicht spürt.“
Blick in die Zukunft
Für viele junge Erwachsene sind die Gemeinden mit ihren traditionellen Strukturen nicht die erste Anlaufstelle, sagt Aaron Schuster, der Direktor der ZWST:
„Ohne die junge Generation hat die Jüdische Gemeinschaft in Deutschland keine Zukunft. Deswegen brauchen wir auch eine stärkere Involvierung der jungen Generation auch gerade in gemeindepolitische Entscheidungsprozesse. Das muss deutlich partizipativer gestaltet werden.“
Keine Exotisierung
Mit sechs Jahren hat Anna, Lehramtsstudentin aus Bochum, das Jugendzentrum besucht. Später hat sie ehrenamtlich jüdische Kindergruppen geleitet. Sie freut sich über den Austausch mit Leuten, die dieselben Dinge bewegen.
„Es ist auch mal nett, nicht erklären zu müssen, dass ich jetzt zu einem Schabbatgottesdienst gehe und da mal nicht mein Handy parat habe. Und eben nicht sofort antworten kann. Es ist wirklich nett, einfach mal Sachen nicht erklären zu müssen.“
Keine Existenz infrage stellen lassen
Laura Cazes von der ZWST kennt die alltäglichen Nöte junger Jüdinnen und Juden:
„Es ist eine sehr einsame Erfahrung, als jüdischer Mensch in Deutschland aufzuwachsen. Und sie ist auch eine aufgeladene, denn in dem Moment, in dem in einem Raum klar ist, ich bin jüdisch, stellen sich ganz viele Fragen. Es wird auch die Existenz einer jüdischen Person sehr stark aufgeladen. Das ist etwas, was auch ein Gegenangebot braucht, um das Gefühl zu haben, jüdisch zu sein, ist nicht nur das Plakat von außen.“
Schließlich wurde zusammen gefeiert. Bei der großen Party am Samstagabend mit der Noya Showband wurde ausgelassen gesungen, getanzt und getrunken. Egal, ob er oder sie orthodox oder ganz weltlich war, und auch der Flirtfaktor kam nicht zu kurz.
„Wir sind nicht so viele, und es ist generell schwierig, einen Partner zu finden, aber wenn man tatsächlich möchte, dass das ein jüdischer Partner ist, dann, denke ich, ist so eine Veranstaltung gar nicht mal so verkehrt.“