Bad Hersfelder Festspiele

Sponsorenfreundliche Spielerei

Matthieu Carriere als Emir (l.) und Heinz Hoenig als Kamal bei der Fotoprobe einer Szene des Stücks "Komödie der Irrungen" nach Shakespeare am 3. Juni 2015 in der Stiftsruine in Bad Hersfeld.
Promis auf der Bad Hersfelder Theaterbühne: Matthieu Carriere als Emir (l.) und Heinz Hoenig als Kamal bei der Fotoprobe einer Szene des Stücks "Komödie der Irrungen" © picture alliance / dpa / Uwe Zucchi
Von Alexander Kohlmann · 06.06.2015
Mit prominentem Ensemble eröffnete Intendant Dieter Wedel die Bad Hersfelder Festspiele. Seine Inszenierung von Shakespeares Verwechslungsgeschichte "Komödie der Irrungen" geriet allerdings allzu harmlos - und wirft Fragen nach der Neuausrichtung des Festivals auf.
Nein, es ist keine Revolution, die der neue Intendant Dieter Wedel mit "Komödie der Irrungen" bei den Bad Hersfelder Festspielen angezettelt hat. Der Abend erscheint viel eher wie eine Fingerübung in der Stiftsruine. Die tut niemandem weh, fordert aber auch niemanden heraus. Über weite Strecken plätschert das bunte Verwechslungsspiel so vor sich hin, bis es für einen Moment doch ernst wird.
Maskierte und mit Maschinengewehren bewaffnete Krieger zerren einen verurteilten Dieb auf die Mitte der Bühne. Dann lässt der Henker die Axt sausen und die Hand ist ab. Mit einem Stummel, aus dem das Blut per Pumpe spritzt, hüpft der Delinquent über die Bühne, bevor die ersten Zuschauer lachen. Denn dass das alles nur ein Spiel ist, hat Regisseur Dieter Wedel schon in der ersten Szene klar gemacht.
Eine Zirkustruppe stürmt zu Beginn seiner Inszenierung von Shakespeares "Komödie der Irrungen" die Stiftsruine. Clowns und Gewichtsheber, Messerwerfer und jede Menge leicht bekleideter Frauen. Und ein dicker Zirkusdirektor (Robert Joseph Bartl), der das Publikum mit einem Song begrüßt und vorbereitet, jetzt wird Shakespeare gespielt. Und zwar nicht irgendeiner.
Direktor Wedel hat sich mit Shakespeares Frühwerk ein Textfragment ausgesucht, in dem der spätere Meister noch seine Form sucht. Es ist eine bizarre Verwechslungsgeschichte um gleich zwei Zwillingspaare, die beide als Kind getrennt werden. Auf der Suche nach ihren verschollenen Brüdern geraten sie in immer neue komische Situationen.
Frauen begehren die Suchenden, die sie nie gesehen haben – und die mit ihrer Zuneigung in Wahrheit den Zwilling meinen. "Wer bin ich", ist die über allen stehende Frage, wenn doch andere mich für einen ganz anderen halten. "Sommernachtstraum", "Was Ihr wollt", "Wie es euch gefällt" – die großen späteren Komödien, sie sind in dem Text alle schon vorhanden. Alleine es fehlt dem späteren Meister noch der besondere Dreh, die über den klassischen Verwechslungsplott hinausweisende Idee, die seine späteren Stücke so zeitlos faszinierend macht.
Ungebrochener Realismus
Wedel meistert den arg konstruierten Text vor allem im ersten Teil des Abends überraschend kurzweilig. Auf der Suche nach ihren verschollenen Gegenübern geraten die ziemlich gegensätzlichen Schauspieler Christian Schmidt und Lars Rudolph in ein imaginäres Ephesus. Der dicke Zirkusdirektor sagt uns immer wieder an, wo wir gerade sind. Die Mauern der Stiftsruine gehen durchaus als eine versunkene Wüstenstadt durch, über der ein riesiger Papp-Mond in immer neuen Farben leuchtet – von pink bis orange ist alles dabei.
Mathieu Carrière gibt den Emir als Diktator eines Wüstenstaates mit Sonnenbrille und Militäruniform. Am Schreibtisch sitzend unterschreibt er schon mal ein Todesurteil, recht gern. Tücher werden auf und abgehangen, zwei sehr schöne, aber trotzdem etwas gesichtslos bleibende Frauen (Teresa Rizos und Cosma Shiva Hagen). Shakespeares "Komödie der Irrungen" gibt leider nicht die komplexen Rollen her, in denen das starbespickte Ensemble wirklich glänzen könnte.
So verzweifeln die beiden Damen an ihren Männern, die sie mal kennen, mal nicht, mal lieben, mal wieder nicht. Zwei widersprüchliche Kerle, die die unterschiedlichsten Facetten in einer Persönlichkeit zu vereinen scheinen sind das, ein Phänomen, das natürlich aus der Realität vollkommen unbekannt ist.
Schmidt und Rudolph spielen jeweils beide Zwillinge, der eine als melancholisch sinnender gut aussehender Mann im weißen Anzug und der andere als ein versponnener Wuschelkopf. So geht das Spiel eine ganze Weile in ungebrochenen Realismus zügig voran. Doch spätestens nach anderthalb Stunden hat wirklich jeder verstanden, wohin die Reise geht. Und die Schwächen von Wedels übergestülpten Zirkus-Konzept treten immer deutlicher zu Tage. Denn jenseits der Verwandlung der Vorlage in einen Manegen-Schwank, weiß der Regisseur nicht viel mit dem Stoff anzufangen, lässt auch nach der Pause munter weiter Frauen auftreten, die ihre Männer nicht wieder erkennen, treibt das kurzweilige Verwechslungsspiel solange voran, bis es wirklich langweilt.
Und die bange Frage aufkommen lässt, warum eine neue Intendanz mit dieser neckischen, zerdehnten Spielerei beginnen muss. Fasst scheint es, als nehme Wedel mit Shakespeares Fingerübung erst einmal Maß in der Stiftsruine, um dann im kommenden Jahr richtig loszulegen. Eine andere Begründung könnte sein, dass Abende wie dieser gewiss niemanden weh tun, keinen Sponsoren verschrecken und dieses Theater auf dem kleinsten gemeinsamen Nenner schon Teil der vom Bad Hersfelder Bürgermeister immer wieder geforderten Neuausrichtung der Festspiele sind.
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