Bad Hersfelder Festspiele

Große Bühne in der Provinz

Die Stiftsruine von Bad Hersfeld ist jedes Jahr Kulisse für die Theaterfestspiele.
Die Stiftsruine von Bad Hersfeld ist jedes Jahr Kulisse für die Theaterfestspiele. © Deutschlandradio - Ludger Fittkau
Von Ludger Fittkau · 19.06.2017
Seit 1951 ziehen die Bad Hersfelder Festspiele Theaterfreunde aus ganz Deutschland an. Große Schauspielernamen und Intendanten wie zur Zeit Dieter Wedel sorgen für volles Haus. Für Schauspieler und Techniker ist die Riesenbühne eine interessante Herausforderung.
Dietmar Wolf, der diesjährige technische Direktor der Festspiele Bad Hersfeld und der Komparse Michael Adam gehen voran durch dunkle Gänge in den Katakomben der Stiftsruine- dem Festspielort:
"Willkommen im Heiligtum! Wir gewähren das ja nicht vielen vor unserer Premiere, hier reinzuschauen und einen kleinen Blick hinter die Kulissen zu schauen, aber gerade für Deutschlandradio - einen meiner Lieblingssender -, freue ich mich natürlich, Sie auch mal (fängt an zu flüstern…) hinter die Türen führen zu dürfen."
Michael Adam: "Hinter und unter. Hier gibt es Zugänge und geheime Aufgänge und alles Mögliche. Das müssen die Schauspieler schon lernen und plötzlich taucht einer mitten in der Bühne auf. Und das Volk weiß nicht woher, aber hinten ist dann klar, wie es geschehen ist."

Riesige Bühne

Michael Adam ist als Komparse ein Teil des Volkes beim diesjährigen Bühnenstück "Der Anschlag" – ein Stück von Dieter Wedel über Luther. Gleichzeitig ist er Stadtführer in Bad Hersfeld und kennt auch die riesigen Dimensionen der Stiftsruine, die sich immer im Sommer zur Theaterbühne verwandelt:
"Der Triumphbogen ist 22,5 Meter hoch. Das ist phantastisch. Und diese Tiefe hier -55 Meter – in der Tiefe des Querschiffes. Und wenn wir gleich um die Ecke schauen, die Apsis allein ist so groß wie so manche Bühne in Deutschland.
Dietmar Wolf: "Ich glaube, die Deutsche Staatsoper oder die Bayerische Staatsoper in München können sich verstecken hinter der Bühnengröße. Ich glaube, wir haben hier 1800 Quadratmeter Bühnenfläche allein. Ich glaube, das einzige Opernhaus in Europa, das wäre die Bastille, die so ein bisschen die Proportionen hat dieses Hauses."
Mit dabei bei der Bühnenbesichtigung ist auch Hans-Jürgen Dietz. Er ist seit 1951 regelmäßig in kleinen Rollen beim Sommertheater in der Hersfelder Stiftsruine dabei – also praktisch von dem Moment an, seit es die Festspiele in der osthessischen 30.000-Einwohner-Stadt regelmäßig gibt. Hans-Jürgen Dietz ist das personifizierte Theater-Gedächtnis von Bad Hersfeld:
"Ich war mit dem Gründungsintendanten verwandt. Seine Frau, die 20 Jahre älter war als ich, war meine Cousine. Und so haben die dann anfangs auch bei uns gewohnt. Und so habe ich dann vieles mitbekommen und dabei ist es geblieben bis zum heutigen Tag."

Die Bevölkerung spielt mit

Das Treffen mit Hans-Jürgen Dietz und den anderen Gesprächspartnern findet neben der Bühnenbesichtigung in einem kleinen Biergarten statt, der sich unmittelbar neben der Stiftsruine befindet:
"Für diejenigen, die mit den Festspielen verbunden sind, ist das hier das Wohnzimmer im Sommer." (lacht).
Michael Adam: "Hier sitzen die, lernen ihre Texte, trinken dazu merkfördernde Getränke, führen Gespräche mit den flanierenden Gästen, es ist so ein familiäres Miteinander und umeinander, das macht auch so ein bisschen das besondere Flair des Hinterhofs auf, wo man sich trifft."
Hans-Jürgen Dietz: "Wir sind zwar hier nicht in Oberammergau, wo das ganze Volk mitspielt, aber man muss auch sagen, dass hier von Anfang an die Hersfelder Bevölkerung mitspielt, zur Statisterie gehört und das bis zum heutigen Tag. Und nachweißlich auch am Erfolg vieler großer Inszenierungen beteiligt war."
Und deswegen ganz selbstverständlich auch in der Open-Air-Kantine präsent ist. Hans-Jürgen Dietz blättert in einer Festspielchronik, die er selbst herausgegeben hat, und zeigt auf das Foto eines Dirigenten aus der Gründungszeit des Festivals nach dem Zweiten Weltkrieg:
"Und dieser Dirigent, der gehört dann auch mit zur Festspielgründung, das ist jener Hans Pietsch, von dem heute noch übrig ist die Festspielfanfare."
Michael Adam: "1951, besser gesagt nach dem Zweiten Weltkrieg, war eine große Sehnsucht im Volk weg von dieser unsäglichen Geschichte und vor allem weg von Militär, Krieg und Gewalt. Und die Ruine hatte seit 1869, seit die preußische Offizierskaserne in das Stiftsgebiet gezimmert worden war, als Truppenübungsplatz gedient. Hier haben die preußischen Offiziere ihren Schritt gelernt. Links, zwo drei vier – Brust raus, Bauch rein. Kinn an die Binde. Und nach den fürchterlichen beiden Kriegen war es das Sehnen: Wir müssen mit dieser soldatischen Tradition in dieser wundervollen Kirche brechen und müssen was anderes da rein machen. Und da kamen natürlich die Festspiele gerade recht. Kunst und Kultur – das ist sozusagen Pflugscharen aus Schwertern."
"…und das zweite Jahr war dann schon so, dass man gesagt hat: Machen wir den Jedermann. Und dann haben sie den Attila Hörbiger als Jedermann, die Lil Dagover, Paula Wessely, Ernst Deutsch 'der Tod'…"
Die Stiftsruine von Bad Hersfeld ist jedes Jahr Kulisse für die Theaterfestspiele.
Die Stiftsruine von Bad Hersfeld ist jedes Jahr Kulisse für die Theaterfestspiele.© Deutschlandradio - Ludger Fittkau
Wochenschau: "In der Hersfelder Stiftsruine inszenierte Johannes Klein Hofmannsthals 'Jedermann' mit Attlila Hörbiger, Paula Wessely, Maria Holst. Lil Dagover, Ernst Deutsch und Hannsgeorg Laubenthal. Bundesminister Jakob Kaiser und Bundespräsident Professor Theodor Heuss nahmen an der Eröffnung teil."
Hans-Jürgen Dietz: "Also – mit Lieschen Müller und Fritz Schulze hätte er keinen 'Jedermann' aufführen können, beziehungsweise hätte er aufführen können, aber es wäre niemand gekommen. Also – hier in Hersfeld mussten immer Namen sein. Und die Intendanten, die das gemacht haben, die das verstanden haben, die hatten Glück. Wir hatten aber auch ein paar, die meinten, die Schauspieler sind alle gut, die müssen keinen großen Namen haben und dann ist er eben baden gegangen."

Besucherzahlen gingen zurück

Bürgermeister Fehling: "Wenn wir uns die Zahlen anschauen, dann ist es schon so, dass die Zahlen sukzessive in den letzten Jahren abgenommen haben. Da mag es eine ganze Reihe von Gründen geben, da will ich auch nicht sagen, das ist der entscheidende Punkt. Aber uns war klar – uns, den politischen Verantwortlichen und auch mir persönlich war klar, dass wir da etwas ändern müssen."
Thomas Fehling, der heutige Bürgermeister von Bad Hersfeld: "Der Zuschuss, den wir vom Land und insbesondere vom Bund bekommen, muss natürlich auch dadurch gerechtfertigt sein, dass es eine überregionale Bedeutung hat, dass es nicht nur ein lokales Theatergespiele ist."
Hans-Jürgen Dietz: "Wenn früher hier ein Stück gespielt wurde und ein bekannter Schauspieler hat die Hauptrolle gespielt, ich sage jetzt mal: Will Quadflieg, dann hat man gemerkt, dann war Hamburg in Hersfeld vertreten. Die Schauspieler, die haben die Leute nach Hersfeld gezogen. Und dann gab es viele Jahre, wo das nicht mehr der Fall war. Es ging sogar so weit, wir hatten früher Kritiker aus ganz Deutschland. In den späteren Jahren wurden nur die Kritiker geholt hier von den Zeitungen um Hersfeld rum. Fulda, noch ein bisschen Kassel, dann war Schluss.
Und dementsprechend war auch das Publikum, das nach Hersfeld kam, da ist wahrscheinlich Darmstadt das Weiteste gewesen. Heute, oder man muss sagen seit Wedel und das ist auch nachweisbar, dass wieder Publikum aus allen Ecken kommt."

Mit Dieter Wedel kam die Wende

Dieter Wedel ist seit 2015 Intendant der Festspiele Bad Hersfeld. Mit der US-Schauspielerin Helen Schneider stellte er im vergangenen Jahr sein Musical-Programm vor:
"Dieser außergewöhnliche Spielort, den wir hier bespielen, das ist eine der schönsten und magischsten Stätten die ich kenne. Und ich kenne ja einige, auch Open-Air-Spielorte. Wir haben versucht, möglichst bekannte Schauspieler und Sänger im Musical hier her zu bekommen. Das macht natürlich eine bundesweite Aufmerksamkeit."
Helen Schneider: "Show must go on…"
Wedel: "Ja, das ist richtig." (lacht)
"The show must go on" – das sieht Bürgermeister Thomas Fehling genauso. Die Festspiele sind insbesondere in den Sommermonaten der Wirtschafsfaktor Nummer Eins für die osthessische Stadt, die lange Zeit zum sogenannten "Zonenrandgebiet" gehörte:
"Wenn wir sehen, dass im Sommer eine Betriebsamkeit in der Stadt vorzufinden ist, dann wirkt sich das natürlich auf den Tourismus aus. Die Hotels waren jetzt in den letzten zwei Jahren wieder gut besucht, die Gastwirtschaften sind prall gefüllt und auch der Einzelhandel erfreut sich guter Umsätze, so dass das natürlich ein ganz wichtiger Faktor für uns ist."
Klar, sagt der Bürgermeister, für das Festival greife die Stadt auch tief in die Kasse. Aber:
"Andersrum sind wir davon überzeugt, dass es auch eine Menge Geld in die Stadt bringt. Konkret: Umsatz. Aber auch Wahrnehmung, Image. Wir haben eine Reputation als Stadt. Wenn man irgendwo hinkommt, wird man drauf angesprochen, da ist man schon ein bisschen stolz auf die Stadt."

Immer noch Zonenrandgebiet?

Der Berliner Maximilian Wigger ist Profi-Schauspieler und hat bereits vor 30 Jahren das erste Mal ein Engagement bei den Bad Hersfelder gehabt. Seit einigen Jahren lebt er mit seiner Familie in der Region und gehört in diesem Sommer wieder zum Ensemble:
"Da ich jetzt hier auch lebe und wohne: Ich glaube, dass das hier immer noch eine Art Zonen-Randgebiet ist. Gott sei Dank ist die Mauer weg, Gott sei Dank ist das alles weg, es hat sich ein bisschen vermischt miteinander. Es ist aber immer noch so, wenn ich als geborener Berliner und leidenschaftlicher Berliner nach Berlin fahre – ich habe immer noch, wenn ich über diese Brücke fahre, wo damals dieser italienische LKW-Fahrer erschossen wurde, weil er in die falsche Richtung wieder gelaufen ist, das habe ich immer noch im Kopf und sehe immer noch diese Türme und es bestätigt sich für mich diese Teilung.
Ich glaube zwar nicht von den Menschen her, die hier zu Besuch kommen, das hat sich schon erweitert, aber sobald die Festspiele vorbei sind, ist das hier wieder Zonenrandgebiet."
Auch finanziell sei - zumindest bezogen auf die Festspiele - die Region Bad Hersfeld in gewisser Weise weiterhin "Zonenrandgebiet", so Bürgermeister Thomas Fehling:
"Vor der Wende war die Unterstützung der Festspiele vom Land und vom Bund sicherlich auch ein gutes Teil Zonenrandförderung. Jetzt nach der Wende liegen wir mitten in Deutschland, haben da als Logistikstandort eine Reihe von Vorteilen, so dass die Bedeutung der Zonenrandförderung etwas abgenommen hat. Aber der Bund auch gesagt hat: Eigentlich könnten wir es zurückfahren, aber die Bedeutung, die die Festspiele für die Stadt, die Region und jetzt auch wieder bundesweit hat - der Verantwortung wollen wir uns nicht entziehen. Das Bild hat sich etwas gewandelt. Nach außen hin, vielleicht auch in der Argumentation, aber die Bedeutung für die Stadt ist nach wie vor dieselbe."
Klaus Figge ist der sogenannte "Kampf-Choreograph" der diesjährigen Festspiele. Er ist unter anderem für Fechtszenen verantwortlich und hat schon bei den Nibelungen-Festspielen in Worms für den aktuellen Hersfeld-Intendanten Dieter Wedel gearbeitet.

Technische Neuerungen erleichtern das Spiel

Aber auch Klaus Figge, der ursprünglich aus dem Ruhrgebiet kommt, kennt die Theatersommer in Bad Hersfeld schon sehr lange, spielte schon unter Volker Lechtenbrink Mitte der 90er-Jahre in der Stiftsruine und wohnte am Anfang im Sommer auch mal im sieben Kilometer entfernten Dorf Reilos:
"Beim ersten Mal habe ich es mal riskiert, weiter draußen zu wohnen und hatte ein Fahrrad und wollte ganz bewusst auch mit dem Fahrrad fahren. Und dann war es aber doch so spät abends, wenn man dann mit dem Fahrrad zurückfuhr, nach Reilos, dann kamen einem die Autos entgegen – und seitdem habe ich gesagt, nie mehr so weit raus, sondern ich bleibe hier in Bad Hersfeld und habe mich da auch immer sehr wohl gefühlt."
Beim Gespräch im Biergarten an der Stiftruine stellt Klaus Figge die technischen Neuerungen heraus, die es in den vergangenen Jahren in Bad Hersfeld gegeben hat. Etwa die Mikrofonanlage, mit der die Schauspieler inzwischen agieren:
"Natürlich ist das gut, wenn du Schauspieler hast, die die gesamte Bühne besprechen und bespielen können. Jetzt ist natürlich der Vorteil durch die ganzen Neuerungen – beim Musical gab es ja schon Mikrofone – ist es natürlich wesentlich besser geworden in den letzten Jahren."
Dietz: "In früheren Jahren hat man die Oberbühne grundsätzlich bespielt, das war phantastisch, auch für uns als Laienschauspieler, das war für uns toll, wenn man da oben runtergeht. Aber die Schauspieler, die hatten natürlich auch entsprechende Stimmen, dass sie unten gehört wurden. Da wurde natürlich viel wert drauf gelegt."
Ausschnitt "Jedermann" von 1952:
"Auf Erden schreitet so kein Mann."
"Nein, Jedermann."
"Ist so fröhlich Dein Mut, hast Deinen Schöpfer ganz vergessen?"
"Was fragst Du das zu dieser Stund?"
"Wer bists?"
"Was solls?"
Wigger: "Es ist aber auch eine andere Art der Inszenierung geworden. Also das Deklamieren, wie es früher ausgeübt wurde, ist ja nicht mehr in dieser Art vorhanden. Also muss man auch nachhelfen. Und da wir die Möglichkeiten haben, sollten wir es auch tun."

Ein Gefühl wie im Olympiastadion

Das gelte auch für das Ausnutzen des riesigen Theaterraumes, betont Schauspieler Maximilian Wigger, der sich an einen Gang von ganz hinten in der Stiftsruine nach vorne auf die Bühne erinnert. Ein Spot sei auf ihn gerichtet gewesen:
"Da denken Sie wirklich, Sie sind im Olympiastadion in Berlin und Keith Richards steht neben ihnen. Das ist gigantisch. Und das macht Spaß, und das entdeckt man und das benutzt man immer mehr."
Am 23. Juni wird die Festspielfanfare in der Stiftsruine für die Premiere des von Dieter Wedel geschriebenen Luther-Stücks "Der Anschlag" ertönen. Es ist im Lutherjahr für diesen Sommer bereits nahezu ausverkauft. Die Proben laufen auf Hochtouren.
Nun muss es noch mit dem Bühnenaufbau für die Inszenierung klappen, die dem Technischen Leiter Dietmar Wolf einige Wochen vor der Premiere noch schlaflose Nächte bereitete. Insbesondere die Mechanik, mit der die Bühne im Luther-Stück auch als schiefe Ebene eingesetzt werden soll:
"Immerhin ist das eine Fläche von 100 Quadratmetern, die wir hier ankippen können. Und ich hoffe, dass wir so am Donnerstag eine kleine Generalprobe für mich haben, und dass ich dann besser schlafen kann, wenn das klappt, was man sich so ausgedacht hat."
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