Lithium steckt in Batteriespeichern, den Akkus von Handys und Notebooks und in Bohrgeräten. Den größten Bedarf aber gibt es jetzt für Batterien elektrischer Autos.
LNG- und Lithium-Gigant Australien
Exporte im Wert von jährlich 35 Milliarden Euro, darunter fast jeder Kubikmeter australisches LNG, wird nach Asien verschifft. Vor allem – wie hier – nach China, aber auch nach Japan und Südkorea. © imago images /Xinhua
Down Unders neuer Rohstoffboom
21:56 Minuten
Erst haben Kohle und Eisenerz Australiens Wirtschaft mehr als 20 Jahre lang boomen lassen. Jetzt steht die Welt Schlange für Flüssiggas und Lithium. Aber wer profitiert eigentlich von der starken Nachfrage?
“Greenbushes also has a diverse farming background dating back to the 1800s. Today farming includes dairy, sheep and cattle, crops, trees and vineyards.”
Die quäkende Lautsprecherstimme im kleinen, aber feinen Heimatmuseum von Greenbushes mag noch so viel von Ackerbau und Viehzucht erzählen. Den 370 Einwohnerort im südlichsten Zipfel Westaustraliens gibt es nur wegen der nahen Mine.
Nach Perth sind es zweieinhalb Autostunden, am Grubeneingang ist man in ein paar Minuten. Im Heimatmuseum von Greenbushes aber, vorbei an Gesteinsproben, Helmen mit Unter-Tagelampen und rostigen Schubkarren, braucht es dafür nur ein paar Schritte.
“Attention Greenbushes operations: all persons clear of the blast zone.”
Seit 1888 werden hier Bodenschätze abgebaut
Es ist dunkel, muffig und beengt. Wie im Schacht. Die Greenbushes-Mine operiert längst im Tagebau. In einem nachgebauten Stollen im Heimatmuseum aber kann jeder, an interaktiven Schaukästen, selbst erleben, was für ein schmutziges Geschäft der Bergbau dort einmal war.
“Is all clear? Yeah, all clear. Fire. All clear. In five seconds. Five, four, three, two, one. Explosion."
Ohne die Mine würde es den Ort Greenbushes nicht geben – und umgekehrt. Schon seit 1888 werden hier Bodenschätze abgebaut. Erst waren es Zinn- und Tantalerze, bis, vor gut 40 Jahren, große Lithiumerzvorkommen entdeckt wurden. Heute deckt die Talison-Mine in Greenbushes ein Drittel des Weltbedarfs an Lithium. Nicht durch das Abschöpfen lithiumhaltiger Krusten verdunsteter, salzhaltiger Seen wie in Südamerika, sondern durch den konventionellen Abbau harten Gesteins.
“Wir bauen das Lithiumerz ab, indem wir danach bohren oder das Gestein aufsprengen. Die Brocken werden dann in einer Brechanlage zerkleinert und in eine Verarbeitungsanlage neben der Mine gebracht. Dort wird dann das Lithium durch chemische und metallurgische Prozesse vom Abraum getrennt.“
Pat Scallan ist ein alter Hase, das Urgestein der Talison-Mine in Greenbushes. 25 Jahre war er dort Manager, seit Kurzem ist er im Ruhestand. Die Mine ist Sperrgebiet, aus Sicherheitsgründen. Deshalb haben die chinesisch-US-amerikanischen Eigentümer Pat Scallan an den Rand einer ausgebeuteten Lithiumgrube geschickt. Außerhalb des Zauns.
Ein Nischenrohstoff wird zum Bodenschatz
Gelbweste, weißer Grubenhelm und rußschwarze Sonnenbrille: Scallan trägt seine alte Uniform. Er war schon in Greenbushes, als Lithium nur als Ersatz für Blei und später als Beigabe für Laborglas und Porzellan verwendet wurde. Bis eine weltweite Technologierevolution aus einem Nischenrohstoff einen echten Bodenschatz machte.
“Lithium hat die Eigenschaft, dass es nicht splittert, wenn es sich bei Hitze zusammenzieht und ausdehnt. Deshalb ist es ideal für Herde mit Glaskeramikfeldern."
Ohne Lithium – keine modernen Batterien. Von Knopfzellen bis zu Lithium-Ionen-Energiepacks für Elektrofahrzeuge. Zehn Kilogramm Lithium sind nötig, um eine wiederaufladbare Batterie für ein elektrisches Auto herzustellen.
Im Gegensatz zu Kohle und Eisenerz wird das in Greenbushes gewonnene Lithiumerz nicht in unbehandelter Gesteinsform verschifft. Es wird in zwei hafennahen Fabriken zu Lithium-Hydroxid und Lithium-Karbonat verarbeitet. Beides ist leichter zu transportieren und erzielt auf dem Batteriemarkt einen höheren Preis.
Rob Ellis berät Bergbauunternehmen in Australien in Management- und Strategiefragen. „Die Spielregeln haben sich geändert“, glaubt Ellis. Bodenschätze, wie bisher, einfach nur auszugraben und sie lediglich als Rohstoff zu exportieren, sei bei Lithium verschenktes Geld.
“Wir müssen das Bearbeiten von Rohstoffen als wichtiges Glied in der Wertschöpfungskette nutzen. Gerade wenn wir dadurch, wie bei Lithium, ein höherwertiges Produkt für Batterien anbieten können. Australien hat lange Erfahrung im Bergbau und ist weltführend beim Einsatz von Batterien. Nicht nur in Privathäusern und Gemeinden, auch bei Großbatteriespeichern – so wie sie, in Partnerschaft mit Elon Musk, in Südaustralien installiert wurden.“
Lithiumbedarf wird um 4000 Prozent steigen
Die Internationale Energieagentur sagt voraus, dass der weltweite Bedarf an Lithium in den kommenden 20 Jahren um 4000 Prozent steigen wird. Bei den australischen Schürfern herrscht Goldgräberstimmung, Explorationsbohrungen sind auf einem Allzeithoch.
2015 gab es in Westaustralien nur eine einzige Lithiummine. Heute sind es neun. Und: Auch Greenbushes vergrößert. Den Ausbau der Mine abzusegnen war Pat Scallons letzte Amtshandlung als Manager.
“Die gestiegene Nachfrage ist eine direkte Folge der Politik der EU, den USA, Chinas und anderer Länder künftig auf elektrische Autos zu setzen. Wir erhöhen unsere Fördermenge von jährlich 600.000 Tonnen auf 1,2 Millionen Tonnen. In vier Jahren werden wir das noch einmal auf 2,3 Millionen Tonnen verdoppeln.“
Jedes Mal wenn in der Blackwood Road von Greenbushes ein voll beladener Sattelschlepper von der Mine an der Tankstelle vorbeidonnert, vibriert das ganze Kassenhäuschen. Von den Zigarettenschachteln hinter der Theke bis zu den Colaflaschen im Kühlregal.
"Das wird uns allen einen Schub geben"
Trotzdem freut sich Julie May, die Besitzerin, dass es bald noch mehr Laster werden. Denn: Wird die Lithiummine vergrößert, dann wächst auch Greenbushes.
“Mit dem Ort wird es bergauf gehen. Es werden mehr Leute in die Kneipe kommen und hoffentlich unser Footballteam verstärken. Läden, die derzeit leer stehen, werden wieder öffnen, weil es sich wieder lohnt. Das wird uns allen einen Schub geben.“
Nicht nur in Greenbushes, nicht nur in Westaustralien: Im ganzen Land erleben vormals stillgelegte Minen und fast verlassene Bergbauorte ein Comeback. Bestehende Gruben werden ausgebaut, die Laufzeiten verlängert.
Kohle und Eisenerz haben Australiens Wirtschaft über 20 Jahre lang boomen lassen. Jetzt steht die Welt Schlange für Lithium, Kobalt, Zink, Kupfer, Graphit, Mangan- und Tantalerze oder Wolfram.
„Wir nennen diese Bodenschätze ´kritische Rohstoffe`, erklärt Geologin Alison Britt. Sie seien kritisch für Australiens Wohlstand und die Klimaziele der Regierung.
„Es mag ironisch klingen, aber: Um den Planeten zu retten, brauchen wir noch mehr Minen. Darin fördern wir, was für die Technologien einer umweltfreundlicheren Energiegewinnung gebraucht wird. Es hört sich unlogisch und unvernünftig an, aber die Tatsache ist: Nur mit mehr Bergbau retten wir die Erde.“
Nachhaltig Energie erzeugen
Spätestens im Jahr 2050 will Australien – wie viele andere Länder – Energie nur noch klimaneutral erzeugen. So nachhaltig und verantwortungsvoll wie möglich. Grün, aber mit weißer Weste. Das fängt ganz am Anfang der Lieferkette bereits an: beim Abbau der Rohstoffe.
Wir sind nicht der Wilde Westen.
Anders als in Afrika oder Südamerika gäbe es in der streng regulierten australischen Rohstoffindustrie weder Kinderarbeit noch fragwürdige Schürfmethoden.
“Die Kunden für Lithiumbatterien, Auto- und Flugzeughersteller, sind an einer ethischen Rohstoffbeschaffung interessiert. Australien hat strikte Umweltauflagen und sichere Arbeits- und Förderbedingungen. Die Nachfrage nach Batteriemineralen ist so groß und die weltweiten Veränderungen hin zu elektrischen Fahrzeugen und in der Energieversorgung so weitreichend, dass Australien enorm davon profitieren kann. Wenn wir unsere Trümpfe richtig ausspielen.“
Mit mehr als 300.000 Tonnen im Jahr ist Australien der weltgrößte Lieferant von Lithium. Dahinter liegen – mit großem Abstand – Chile und China. Auch weil die Australier geopolitisch im Vorteil sind.
Lithium-Großabnehmer wie die USA, Japan oder Länder in Europa machen lieber mit dem verlässlichen, demokratischen Australien Geschäfte, statt sich von dem, zwar selbst rohstoffreichen, aber wankelmütigen, kommunistischen China abhängig zu machen.
Einen ähnlichen Vertrauensvorschuss nutzt Australien, schon seit Jahrzehnten, bei einem anderen, für die Energiegewinnung essenziellen Rohstoff: bei Flüssigerdgas, kurz LNG.
Canberra, 2002: Der damalige Premier John Howard sprach vom größten Deal in Australiens Wirtschaftsgeschichte. Australisches Flüssigerdgas für China. Laufzeit: 30 Jahre, Wert des Abkommens: 17 Milliarden Euro. Bald einigte man sich auf einen weiteren LNG-Liefervertrag. Diesmal über 25 Milliarden Euro. Zum Dank schenkten die Chinesen dem Zoo von Adelaide zwei Pandabären.
Revolution auf dem Weltmarkt für Gas
Ken Henry aber hatte Katerstimmung. Der Ökonom, damals Staatssekretär im Finanzministerium, hatte das Kleingedruckte der LNG-Deals gelesen. „Es waren Knebelverträge“, erinnert sich Henry. China hatte sich das australische LNG bis ins Jahr 2032 zum festen Tiefstpreis von 2002 gesichert.
Wir haben damals sehenden Auges eine einmalige Gelegenheit verspielt und uns in eine sehr schwierige Situation gebracht. Der Preis für LNG ist seitdem explodiert, wir haben Milliarden leichtfertig verloren. Australien sollte eigentlich eine Energieweltmacht sein, aber wir haben 25 Jahre lang alles getan, dass wir das nicht werden.
Flüssigerdgas hat den Weltmarkt für Gas revolutioniert. Früher konnte der flüchtige Rohstoff nur über Pipelines transportiert werden, heute ist es möglich, Erdgas per Schiff zu verfrachten. Gekühlt auf minus 162 Grad Celsius.
Am Bestimmungsort wird dann die Flüssigkeit in speziellen Terminals wieder in Gas verwandelt. Nur so ist es möglich, den Rohstoff von australischen Gasfeldern vor der West- und Nordostküste nach China, Japan und Südkorea zu exportieren.
Die Investitionssummen für LNG-Produktionsstätten und -Terminals sind enorm, deshalb werden meist langfristige Lieferabkommen verhandelt. 80 Prozent der australischen LNG-Volumen sind vertraglich gebunden. Mit den restlichen 20 Prozent werden am Spotmarkt riesige Gewinne gemacht.
Australien ohne Kontrolle über seine Gasreserven?
Mark Ogge ist Politikwissenschaftler beim „Australia Institute“, einer unabhängigen Denkfabrik in Canberra. Das Thema „LNG in Australien“ ist für ihn ein Paradebeispiel verpasster Möglichkeiten. Denn die Regierung hätte beim Ausbeuten der riesigen einheimischen Reserven den Fuß vom Gas genommen.
Die LNG-Exporteure in Australien verbrauchen mehr Gas, um ihre Ausfuhrmengen zu verflüssigen und ihre Terminals zu betreiben, als die gesamte australische Fertigungsindustrie. Dann wurde auch noch der Gas- an den Ölpreis gekoppelt. Damit haben jede globale Krise und jeder internationale Konflikt massive Auswirkungen. So wie wir das gerade beim Krieg in der Ukraine erleben.
Anti-Putin-Demonstration in der City von Sydney. Überall in Australien gab es Proteste gegen die Invasion der Ukraine. Die australische Regierung lieferte Militärgerät nach Kiew, beschloss Handelssanktionen gegen russische Staatsunternehmen und einen Ausfuhrstop von Luxusgütern.
Ersetzt australisches LNG russisches Gas?
Außerdem stehe man bereit, so hieß es in Canberra, Ländern, die jetzt kein russisches Gas mehr erhielten, mit australischen LNG-Lieferungen auszuhelfen. „Dieses Versprechen war reine Effekthascherei“, glaubt Politikwissenschaftler Mark Ogge. Denn die Kontrolle über die eigenen Gasreserven habe Australien längst an ausländische Energiekonzerne abgetreten und verloren.
“Es ist ein grundsätzliches Problem, wie sehr die Gasindustrie die australische Regierung in ihrer Tasche hat. Das fängt bei Parteispenden an und reicht bis zu Versorgungsjobs für frühere Politiker.
Diese globalen Energiekonzerne machen, was sie wollen, nicht was die Regierung möchte. Das ist ein Fiasko, für das keine schnelle Lösung in Sicht ist.“
95 Prozent der Gasförderunternehmen in Australien sind in internationaler Hand. Damit gehen auch die Gewinne ins Ausland. In den letzten sieben Jahren haben die LNG-Konzerne mit australischem Gas mehr als 100 Milliarden Euro eingenommen. Dank großzügiger Abgabenerleichterungen aber, mussten sie nicht einen Cent Einkommenssteuer bezahlen.
"Unser Gas wird praktisch verschenkt"
„Unser Gas wird praktisch verschenkt“, ärgert sich Ken Henry. Für den früheren Finanzstaatssekretär gibt es nur eine Lösung: Die außerordentlichen Profite der LNG-Exporteure müssten in Australien mit einer Sondersteuer abgeschöpft werden.
“Wir brauchen eine Übergewinnsteuer für Gas. Nur so drücken wir den Preis für australische Konsumenten unter das Weltniveau und sichern die Versorgung von Privatkunden und Unternehmen. Zusätzlich kämen so beträchtliche Mehreinnahmen für den Staatshaushalt zusammen.“
Obwohl es direkt vor ihrer Haustür gefördert wird, können sich australische Verbraucher nicht auf eine Grundversorgung mit Gas verlassen. Nur Westaustralien hat gesetzlich geregelt, dass mindestens 15 Prozent der dort geförderten Menge jederzeit einheimischen Konsumenten zur Verfügung stehen müssen.
Im übrigen Land aber ist Gas oft knapp – und vor allem teuer. Australiens Industrie und Haushalte müssen den Weltmarktpreis für Gas bezahlen. Ein Preis, der seit der Ukrainekrise steigt und steigt. Für Hausfrau Nikki Carle in Sydney haben sich die Kosten für Gas binnen eines Jahres vervierfacht.
“Mir ist immer kalt im Winter, also haben wir die Gasheizung an. Die Preise für Gas sind aber so gestiegen, dass wir dafür auf andere Dinge verzichten müssen. Andere verdienen sich dumm und dämlich und wir Verbraucher zahlen drauf.“
Australien war der weltgrößte Exporteur für Flüssiggas. Bis Wladimir Putins Truppen in der Ukraine einmarschierten und die USA ihre LNG-Lieferungen nach Europa drastisch erhöhten. Industrienationen in aller Welt wollen mehr Gas, das Erschließen neuer Quellen aber dauert Jahre.
"LNG hat eine vielversprechende Zukunft"
Das größte geplante Projekt in Australien ist das Scarborough-Gasfeld vor der Westküste. Elf Trillionen Kubikmeter Gas sollen dort liegen. Der Energieriese Woodside will das Gas ab 2026 mit schwimmenden Plattformen auf hoher See fördern und über eine 430 Kilometer lange Pipeline an Land bringen.
Naturschützer wollen das Projekt stoppen. Seit aber Russland als Lieferant boykottiert wird, und Gasgroßabnehmer wie Deutschland händeringend nach Alternativen suchen, hat Woodside wieder Oberwasser. In einer Videobotschaft versicherte Geschäftsführerin Meg O’Neill die Aktionäre, dass sie ihr Geld gut angelegt hätten.
“LNG wird, weltweit, in den kommenden Jahrzehnten eine extrem wichtige Energiequelle sein. Länder, die ihren Schadstoffausstoß reduzieren wollen, können das, indem sie weniger Kohle und mehr Gas nutzen. LNG hat daher eine vielversprechende Zukunft als eine der Antworten auf die Herausforderungen der Klimakrise.“
Wer wird am Ende die Zeche zahlen?
Trotzdem werden Milliarden investiert. Wie Ende der 90er-Jahre. Damals waren es Kohle und Eisenerz, heute sollen Lithium und Gas für den nächsten Rohstoffboom in Australien sorgen. „Die Party ist in vollem Gange“, meint die Melbourner Umweltökonomin Beth Kaddie. Sie fragt sich nur, wer am Ende die Zeche zahlen wird.
“Unsere Regierung hat praktisch den roten Teppich ausgerollt. Man kann die Begeisterung und die Erwartung förmlich spüren: ‚Jetzt werden wir reich!‘ Wir haben schon oft Boom und Pleiten erlebt. Zum Schluss werden, wie immer, nur die reich, die das Geld einstecken und sich danach aus dem Staub machen. Wir müssen dann hinterher wieder den Dreck wegräumen.“