Flüssiggas-Terminals in Wilhelmshaven

Unabhängig von Russland, aber auf Kosten der Umwelt?

07:40 Minuten
Carsten Feist, Oberbürgermeister der Stadt Wilhelmshaven steht mit Schutzhelm vor industrieller Hafenkulisse.
Der Wilhelmshavener Oberbürgermeister Carsten Feist hofft, dass der Krieg gegen die Ukraine die Transformation im Energiesektor beschleunigt. © picture alliance / dpa / Sina Schuldt
Von Dietrich Mohaupt · 17.03.2022
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Um möglichst schnell von russischem Erdgas unabhängig zu werden, setzt Deutschland auf Flüssigerdgas. In Wilhelmshaven soll ein Terminal entstehen, doch Umweltschützer fürchten um Vögel und Biotope.
Ein Terminal für Flüssigerdgas könne wirtschaftlich sicher ein Gewinn für die Stadt Wilhelmshaven sein, sagt der parteilose Oberbürgermeister Carsten Feist. In seinen Worten schwingt auch ein bisschen Stolz mit, als er erklärt, es gehe dabei um eine nationale Aufgabe: „Die Stadt Wilhelmshaven geht hier in die Verantwortung für die Bundesrepublik Deutschland.“
Ganz schnell rauszukommen aus der Abhängigkeit von russischem Erdgas – kurzfristig werde das ohne Flüssigerdgas nicht funktionieren, betont Feist. Man müsse aber in allen Planungen schon den nächsten Schritt mitdenken, Stichwort „grüner Wasserstoff“. Man wolle hin zu emissionsfreien Technologien, zu CO2-neutralem Windstrom und Wasserstoff. „Wenn es irgendetwas Gutes an diesem wahnsinnigen Krieg gibt, den Putin da angezettelt hat, dann vielleicht die Hoffnung, dass der Prozess unserer Umsteuerung, unserer Transformation im Energiesektor dadurch beschleunigt wird.“
Noch ist am Deich bei Wilhelmshaven, der Stadt am Jadebusen, nichts von den geplanten Anlagen zum Import von Flüssigerdgas (Liquefied Natural Gas, LNG) per Schiff zu sehen. Am Ölterminal liegt gerade ein Tankschiff und entlädt Rohöl. Das Schiff hat schon einen Flüssiggasantrieb, auf einem großen Tank an Deck prangen unübersehbar die drei Buchstaben LNG. Hier soll schon sehr bald in einem ersten Schritt eine sogenannte Floating Unit, eine schwimmende Einheit entstehen, mit deren Hilfe das flüssige Erdgas wieder in den gasförmigen Zustand versetzt und an Land in das bestehende Leitungsnetz gepumpt werden kann.

"LNG ist für uns hochkritisch"

Für Ulf Berner, Sprecher der grünen Ratsfraktion in Wilhelmshaven, sagt, diese Nutzung von Flüssigerdgas könne nicht das Ziel sein. „LNG ist für uns hochkritisch, weil es ja auch um Frackinggas geht, das in seiner Gewinnung und Wirtschaftlichkeit unterirdisch ist. Da könnten wir auch Kohle verbrennen.“ Wenn die Bundespolitik ein Ausstiegsdatum beziehungsweise Umstiegsdatum auf Biogas, sozusagen Bio-LNG nenne, könne man „eventuell die Kröte schlucken“. Begeisterung klingt anders.
Ganz besonders hat sich der grüne Ratspolitiker daran gestört, wie Bundeskanzler Olaf Scholz die Stadt Wilhelmshaven in seiner Rede vor dem Bundestag Ende Februar als möglichen Standort ins Spiel gebracht hat. „Ich war ein bisschen entsetzt, dass ein Bundeskanzler quasi Wilhelmshaven ins Gespräch bringt, als wäre es schon ein Fakt.“ Denn: „Hier sind ja noch ein paar Beteiligungsprozesse und ganz normale Prozesse durchzulaufen, die ich auch gerne aufrechterhalten wollte.“ Das sei keine grundsätzliche Verweigerungshaltung, betont Ulf Berner. Aber auch unter dem Druck der aktuellen Situation müsse man sich an Verfahrensregeln halten, fordert er.

Sorge vor Druck auf Genehmigungsverfahren

Auch Rainer Büscher von der Bürgerinitiative Klima-Allianz NordSeeküste (KANS) meldet Bedenken gegen die Pläne an. Es gehe unter anderem um Vogelschutz und sehr seltene Unterwasser-Sandbiotope. „Wir haben hier ganz viele Vogelschutzgebiete an Land und auch im Watt. Und wir haben kleine Riffe mit kleinen wurmartigen Lebewesen.“ Das seien EU-Schutzgebiete, die nicht einfach so außer Kraft gesetzt werden könnten. Deshalb finde er es bedenklich, „dass Äußerungen gemacht werden: ‚Wir haben Wege, wir kriegen es hin‘“, sagt Berner. In dieser Kritik schwingt die Sorge mit, dass jetzt mit Hinweis auf den russischen Krieg gegen die Ukraine immenser Druck auf die Planungen und die Genehmigungsverfahren ausgeübt wird.
Tatsächlich lässt auch Niedersachsens Umwelt- und Energieminister Olaf Lies von der SPD keine Zweifel daran, dass es sehr schnell gehen müsse. Man müsse sich Verfahrenswege ansehen. „Wir können nicht sagen, wir haben morgen ein Versorgungsproblem und haben erst in fünf Jahren eine Lösung dafür. Deswegen werden wir tatsächlich sowohl die Frage der Beteiligung wie auch die rechtlichen Möglichkeiten einschränken müssen, weil es um die nationale Versorgungssicherheit geht.“

"Kohärenzflächen" als Ersatz?

Es werde aber keine Schnellschüsse auf Kosten der Umwelt geben, versichert der Minister. Mit den EU-Vogelschutzgebieten zum Beispiel werde man sehr sensibel umgehen. Es gehe nicht darum, einen rechtlichen Schutz aufzuheben. „Da geht es jetzt darum, sehr schnell über Kohärenzflächen ein attraktives Angebot zu schaffen, das einen Wert darstellt, der mindestens so gut ist wie der Wert, den wir haben.“ Es solle nicht etwas zerstören werden, ohne zu wissen, wie es weitergeht. „Und es wird auch bei den Genehmigungsverfahren nicht darum gehen, etwas zu machen, das niemals rechtlich genehmigt wird. Das kann nicht funktionieren“, so Lies.
Trotzdem könnte das schwimmende Terminal als erster Schritt eines Gesamtkonzepts bereits im Herbst 2023 in Betrieb gehen. Noch in diesem Monat sollen laut Minister Lies die notwendigen Entscheidungen getroffen werden, um einen Anfang zu machen bei dem Versuch, sich von russischem Erdgas unabhängig zu machen. Momentan importiere Deutschland etwa 50 Milliarden Kubikmeter Erdgas aus Russland, sagt Lies. „Wir können mit einer solchen Einrichtung ganz grob gerechnet vielleicht zehn Milliarden Kubikmeter importieren.“ Es fehlten also noch 40 Milliarden Kubikmeter Gas. Deshalb brauche es weitere Lösungen.

Terminals auch für "grünes Gas"

Bis 2026 sollen deshalb noch zwei weitere Terminalprojekte in Wilhelmshaven mit entsprechenden Anlagen an Land folgen, außerdem ist für Niedersachen noch ein Terminal in Stade an der Elbe im Gespräch. Für alle Projekte gelte, dass nicht einfach Erdgas aus Russland durch anderes Erdgas ersetzt werde, betont Minister Lies. „Green-gas-ready“ laute das Stichwort: „Wir ersetzen den einen Weg, Gas zu importieren, durch einen anderen Weg. Und der Weg, den wir jetzt schaffen, über die Terminals, ist ein Weg, der uns die Option eröffnet, über diesen gleichen Import morgen auch 'grünes Gas' zu importieren.“ Das bedeute nicht nur Unabhängigkeit von russischem Gas, sondern es werde auch eine Infrastruktur geschaffen, um wirklich Klimaschutz vorzubereiten, sagt Lies.
Wilhelmshaven als künftige Drehscheibe für LNG und später auch „grünes Gas“: Das sind verlockende Aussichten für Oberbürgermeister Carsten Feist. Seit den 1970er-Jahren sei Wilhelmshaven Drehscheibe für fossile Energien. Damit seien rund 1.000 Arbeitsplätze in der Stadt verbunden. Genaue Zahlen gebe es zwar nicht. Aber er habe dem Rat der Stadt gesagt, „dass wir durch die neuen Technologien – sei es Flüssiggas als Übergang oder dann eben nachher Windenergie und Wasserstoff – deutlich mehr Arbeitsplätze hier in der Stadt schaffen werden, als wir sie im Bereich der fossilen Energie jemals hatten.“

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