Ausstellung: "Sublim. Das Schaudern der Welt"

Der schöne Schrecken der Natur

Eine Riesenwelle trifft auf die spanische Küste bei San Sebastian.
Eine Riesenwelle trifft auf die spanische Küste bei San Sebastian. © picture alliance / dpa / Javier Etxezarreta
Von Jürgen König · 10.02.2016
Die Natur ist oft Projektionsfläche für menschliche Sehnsüchte. Zugleich erschrickt uns ihre gewaltige Kraft und Unvorhersehbarkeit. Diese ambivalente Faszination nannte der Philosoph Edmund Burke "das Sublime". Was das ist, zeigt eine Ausstellung im Centre Pompidou in Metz.
Vom "Sublimen", vom "Erhabenen" sprachen zuerst Ästhetiker und Philosophen des 18. Jahrhunderts – und meinten damit jenes auch uns Heutigen sehr vertraute Gefühl, durch heftige Naturereignisse gleichermaßen beeindruckt wie verängstigt zu werden. Kuratorin Hélène Guenin:
"Mitte des 18. Jahrhunderts, in der Zeit der großen Entdeckungsreisen, als die Menschen auf einmal völlig neue Landschaften erleben konnten, entwickelten sie ein Gefühl zwischen Schrecken und Faszination angesichts der grandiosen Natur, ein Gefühl der eigenen Kleinheit auch angesichts der entfesselten Naturkräfte.
Heute jagt eine Katastrophe die andere - auf unseren Bildschirmen, im Internet, man spricht viel über den Klimawechsel, die Veränderungen der Umwelt, es gibt Verängstigung, gleichzeitig sind z. B. Katastrophenfilme extrem beliebt. Was mich in der Ausstellung interessiert, ist, zu zeigen, wie sich dieses heutige Gefühl unserer Gesellschaft während der letzten 250 Jahre herausgebildet hat. Diese Entwicklung nehmen wir wie einen roten Faden."
Die tropischen Inseln mit ihren Palmen, exotischen Blumen und nie gesehenen Tieren werden bald zum Inbegriff des "Sublimen", die bizarren Eiswüsten von Nord- und Südpol, die Niagara-Fälle, die Alpengipfel, der Vesuv, der stürmische Ozean, die tosenden Wellen spektakulärer Küsten: Was noch heute die Postkartenständer der Touristenorte füllt, brachten zunächst die Maler auf die Leinwand, Vulkanmaler, Marinemaler – die sich gar nicht satt sehen können an sturmzerwehten, sich überschlagenden Wellen, an glutroten Lavaströmen und meterhohem Funkenflug am nächtlichen Himmel.

Eine schaurig-schöne Lust

Zu Beginn wird aller Schrecken noch dramatisch ästhetisiert, eine schaurig-schöne Lust dominiert, das 19. Jahrhundert kennt den in sich ruhenden Naturbetrachter, erst im 20. Jahrhundert wird aus der Vorstellung einer unheilvollen, aber anziehenden Natur allmählich die einer unsichtbaren, schleichenden Katastrophe.
Immer weniger der Naturgewalt ausgesetzt, tut der Mensch immer öfter der Natur Gewalt an – was vor allem die Fotografie und das Kino aufgreifen: Landschaften, vom Bergbau verwüstet, von der Großchemie zerstört, Ölteppiche, die brennend Terrassen herunterlaufen, weite Hügel aus Dreck und Schlamm und Müll und Menschen, die darin suchend herumwaten, in Bangladesh, das amerikanische Atomtestgelände in der menschen- und lebensleeren Nevada-Wüste.
Barbara und Michael Leisgen zeigen 1982 eine Frau in Pink, damals eine Modefarbe: auf dem Bauch liegend, treibt sie tot in totem Gewässer.
Barbara Leisgen: "Das ist in Belgien entstanden neben einer Aluminiumfabrik, wo das Wasser abgelassen wurde. Und ich habe mich auch nur sehr kurz da reingelegt." Michael Leisgen: "Luft anhalten und raus."

Zuschauer und Zerstörer

Es gibt keine Naturkatastrophen mehr, sondern nur noch zivilisatorische Katastrophen, zitiert die Ausstellung den Philosophen Jean-Luc Nancy. Der Zuschauer ist kein reiner Bewunderer mehr, er weiß, dass er Schuld trägt an der Verschandelung, der Zerstörung von Natur.
Immer verheerendere Tsunamis, Wirbelstürme, Erdbeben verstärken das Gefühl, ohnmächtig zu sein und jetzt ist diese Ohnmacht gegenüber der "schaurig-schönen Lust" das eindeutig stärkere Gefühl. Wenn es indes die Schaulust und mit ihr das Gefühl für das Sublime immer auch gegeben hat. Kuratorin Hélène Guenin:
"Ich glaube, es gibt eine Kontinuität des Sublimen, das ja immer beim Zuschauer entsteht. Und wir bleiben ja nun mal, ob wir wollen oder nicht, immer Zuschauer. 2011, als die Bilder von Fukushima kamen und vom Tsunami, der die japanische Küste verwüstet hat, mit Tonnen von Schlamm und Müll, Möbel, ganze Häuser, von den Wellen zerstört – ich bin, glaube ich, ein Zuschauer wie alle anderen –und ich habe da auch hingesehen, habe diese Tragödie gesehen, aber gleichzeitig eben auch: die Macht dieser Bilder und diese unglaubliche Kraft der Natur."
Ein intensiver Rundgang, eine großartige Ausstellung und zuletzt nicht wenige Besucher, die über das Sublime, das Erhabene sich unterhalten - wann hat man derlei zuletzt erlebt?

"Sublim. Das Schaudern der Welt"
Ausstellung im Centre Pompidou Metz
11. Februar bis 5. September 2016

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