Leben in der Roten Zone

Von Udo Schmidt · 25.10.2012
Der Merapi auf der indonesischen Insel Java ist einer der gefährlichsten Vulkane der Welt. Bei einem Ausbruch vor knapp zwei Jahren kamen hunderte Menschen ums Leben. Doch für die Anwohner bleibt der Merapi ein heiliger Berg.
Der Merapi ist eben keiner dieser schönen, harmlosen Vulkane, auch wenn er einen klassischen Kegel aufweisen kann: Der Merapi kann den Tod bringen. Und die Menschen, die in seiner Nähe wohnen, wissen das. Die Touristen wissen es auch. Es sind weniger die Vulkan-Freaks – jene, die einen Natur-Schlot der Welt nach dem anderen bereisen – es sind meist Indonesienkenner, die eher mit einem Tempel-Vulkan-Strand-Programm unterwegs sind. Wie etwa Marten Loeffen aus den Niederlanden:

"Wir schauen uns Tempel an, den Strand natürlich auch, und zwei Vulkane: Nach dem Merapi geht es noch zum Bromo."

Die meisten Touristen wissen, wen sie mit dem Merapi vor sich haben. Robin Kayser kommt auch aus Holland:

"Wir sind wegen des Ausbruchs 2010 hier. Wir wollen sehen, was aus der Gegend geworden ist. Der Merapi ist schließlich einer der gefährlichsten Vulkane der Welt. Deswegen mache ich hier Fotos von dem rostigen Auto. Später wollen wir dann noch eine Jeep-Tour machen."

Das rostige Auto steht vor den Überresten des Hauses des früheren Merapi-Wächters Mbah Maridjan, der selber, trotz seiner Kenntnisse und spirituellen Verbundenheit mit dem Vulkan bei dem Ausbruch 2010 ums Leben kam. Mit dem Auto waren zwei Retter zu Maridjan gestartet. Zurück kamen sie nicht mehr.

Heru Suparwoko arbeitet im Observatorium, in Sichtweite des Vulkans. Seit 1992 bereits misst er dem Feuerberg den Puls. Heru Suparwoko steht vor dem etwas altertümlich anmutenden Seismografen und zeigt auf kleine Spitzen, die die Feder auf die Papierrolle gezeichnet hat. Immer mal wieder rüttelt es den Krater des Merapi. Große und damit gefährliche Ausbrüche kommen seltener, aber doch regelmäßig vor, sagt er:

"Alle zwei bis sieben Jahre ist der Merapi aktiv, im Schnitt, kann man sagen, alle vier Jahre."

Genau zwei Jahre sind jetzt seit dem letzten schweren Ausbruch vergangen. Schon im Juli 2010, also drei Monate vor dem Ausbruch, zeigten die Geräte im Büro von Suparwoko erste auffällige Erschütterungen an. Der Seismologe Suparwoko war gewarnt und gab diese Warnungen natürlich auch weiter. Am Morgen des 26.Oktober begannen die Evakuierungsmaßnahmen:

"Am 25. Oktober haben wir die Evakuierungen bereits vorbereitet. Als uns die Aufzeichnungen dann am 26. morgens gezeigt haben, dass es gefährlicher wird, haben wir die Rettungskräfte losgeschickt."

Viele Anwohner ließen sich schnell in Sicherheit bringen, etwa die Bäuerin Asmo Wyiono, die in einer der 23 Notunterkünfte Platz gefunden hat:

"Ich bin hier bereits seit gestern. Meine Nachbarn sind auch vor dem Merapi geflüchtet und ich habe mich ihnen angeschlossen."

Es ist immer noch der Moment vor dem Ausbruch. Viele denken, es wird schon alles gut gehen, wie der Bauer Samin:

"Es ist doch in Ordnung hier, es ist alles wie immer, und deswegen bleibe ich hier."

Am Ende aber ist gar nichts in Ordnung: Am 26. Oktober 2010 schleuderte der Merapi abends um sechs Uhr schließlich Asche und Geröll in den Himmel, ein zähes Lava-Geröll-Gemisch rann glühendheiß den Vulkanhang hinab. Die ersten 13 Todesopfer waren zu beklagen. Das Gebiet rund um den Merapi wurde evakuiert, Rettungssanitäter wie Sunar Hadi behandelten die Verletzten:

"Ich habe den Ausbruch selbst nicht sehen können, der Vulkankegel war von einer dicken Wolke umgeben, aber eine Sirene ging los. Ich glaube, wir haben so ziemlich alle Menschen direkt am Merapi evakuieren können."

In den kommenden Tagen wurde die Situation immer ernster. Der Ascheregen erreichte schließlich das 25 Kilometer entfernte Yogjakarta. Menschen wie die junge Mutter irrten durch die Stadt unter einer Aschedecke:
"Ich will in eine Gegend, die sicher ist. Ich weiß aber nicht genau, wohin. Andere Leute haben gesagt, ich solle hier lang gehen. Aber ich warte jetzt erst einmal."

Neue Häuser wurden denen angeboten, die weggezogen sind, mit einem Stück Land dazu. Aber wegziehen wollten nur wenige. Noch immer leben rund 500 Menschen im direkten Einzugsgebiet des Vulkans, mitten in der Roten Zone:

"Die Menschen leben schon sehr, sehr lange hier, sie wollen nicht weg. Sie leben gut vom Vulkan, aber ganz langsam können wir ihnen erklären, dass es besser für sie ist, die Region direkt am Vulkan zu verlassen."

Heute, zwei Jahre nach dem Ausbruch, ist die Katastrophe am Merapi nur für die zu erkennen, die ganz genau hinsehen. Wie für Vulkan-Touristen, die sich über den Ausbruch informieren wollen.

Pak Martono ist Ojek-Fahrer. Er transportiert diese Touristen vom Fuß des Vulkans in Richtung Krater, soweit es geht und soweit die Touristen eben wollen. Pak Martono ist 66 Jahre alt und lebt schon immer am Merapi. Drei Kunden täglich sind der Durchschnitt, sagt er, von jedem kassiert er so um die 20.000 Rupien, rund zwei Euro.

Der Job hat ihn jung gehalten. Beim Aufstieg zu Fuß ist er schnell unterwegs und hat dabei noch Luft, von den Ausbrüchen des Vulkans und ihren Folgen zu berichten.

"Meistens wollen die Touristen wissen, warum es 2010 so schlimm war und warum die Menschen hier nicht früher, gleich nach der ersten Warnung, geflüchtet sind. Ich erzähle dann, dass der Ausbruch 2006 nicht so gefährlich war und vor zwei Jahren alle hier dachten, es würde wieder glimpflich verlaufen."

Das tat es am Ende nicht. Bei knapp 400 Toten konnte niemand mehr von einem glimpflichen Verlauf sprechen.

Ein guter Ort, um den Ausbruch von 2010 nachempfinden zu können, ist das Haus, besser die Ruine, in der Ibu Wati steht. An den verbleibenden Wänden sind die Reste ihres Besitzes aufgestellt. An der Wand hängt eine angeschmolzene Uhr, so als wäre Salvatore Dali mal eben vorbei gekommen:

"Mein Sohn hatte die Idee, in meinem Haus alles, was den Ausbruch überstanden hat, zu sammeln, damit unsere Enkel sehen können, was passiert ist, bevor sie geboren wurden."

Und was wieder passieren könnte. Alle paar Jahre bricht der Merapi aus, sagt Heru Suparwoko im Merapi Observatorium:

"So ist eben die Naturgewalt: Der Vulkan entscheidet, wann er wieder ausbrechen will. Für mich ist es, als wenn man einer Frau zuschaut, die sich auf die Geburt ihres Kindes vorbereitet."

Die Touristen am Merapi schauen eher aus der Ferne zu, die wenigstens streben zum Kraterrand, der Aufstieg ist beschwerlich, und mit den Folgen der Ausbrüche können sich alle auch weiter unten in den erkalteten Lavafeldern auseinandersetzen. Der Reisende am Merapi ist eher bildungshungrig als katastrophenversessen.

Der Merapi, der Feuerberg, wird von den Menschen, die nahe am Vulkan leben und auch von ihm leben, verehrt. Er werde von Geistern bewacht, sagen die Menschen am Fuße des Vulkans. Mit jährlichen Zeremonien und Opfergaben versuchen sie, diese Geister zu beschwichtigen. Außerdem, so der feste Glaube auf Java, befinde sich im Inneren des Vulkans ein Königreich, dessen Herrscher die Menschen am Vulkan beschütze.

Pak Asih ist einer, der einen besonderen Draht zum Merapi hat. Er ist der Wächter des Vulkans, mit einer spirituellen Verbindung zum feuerspeienden Berg:

"Ich richte hier die Feiern zu Ehren des Merapi aus. Ich bereite die Opfer vor. In der Nacht versammeln sich dann ganz viele Menschen, die Batik-Tücher mit einem speziellen Muster mitbringen. Sie alle wollen etwas von der Stärke des Merapi mitnehmen."

Pak Asih ist in den 40-ern und noch nicht lange Merapi-Wächter. Im zivilen, nicht-spirituellen Leben arbeitet er als Verwaltungsangestellter an der Universität im nicht weit entfernten Yogjakarta. Vor fast zwei Jahren hat er das ehrenvolle Amt von seinem Vater übernommen. Mbah Maridjan starb am 26. Oktober 2010 während des Ausbruchs. Pak Asih erinnert sich:

"Der Ausbruch begann um sechs Uhr abends. Mein Vater bereitete gerade die rituellen Gebete vor. Es waren Gäste da. Alle sollten sich in Sicherheit bringen. Aber mein Vater wollte die Gebete zu Ende führen. Das hat zu lange gedauert."

Ibu Panut ist die älteste Tochter Maridjans. Sie war am Tag des Ausbruchs in der Nähe ihres Vaters. Oben am Kraterrand betrieb sie neben dem Merapi-Wächter-Haus einen kleinen Shop für Andenken und Bergsteiger-Artikel. Sie flüchtete, ihr Vater blieb.

Monate später eröffnete sie ihren Laden wieder. Dieses Mal etwas weiter vom Krater entfernt, dort wo die Touristen zu ihren Jeep-Touren durch die Lava-Felder starten. Dort verkauft sie, gleich neben einer Schranke über den einzigen Weg zum Krater, Süßigkeiten, Postkarten und Taschenlampen unter einem kleinen Vordach, das vor der Sonne schützt, nicht aber vor dem Vulkan.

Ibu Panut ist Tochter des früheren und Schwester des jetzigen Merapi-Wächters. Trotzdem hat sie ein sachliches Verhältnis zum Merapi:

"Für mich ist der Merapi nur ein Berg, ein Vulkan. Für die meisten hier in der Gegend rund um Jogjakarta bedeutet er jedoch mehr. Er hat eine mystische, traditionsbeladene Bedeutung. Das liegt auch daran, dass der Merapi-Wächter vom Sultan von Yogjakarta persönlich ernannt wird."

Mehr als 20.000 Menschen leben rund um den Vulkan. Noch immer wohnen, wie gesagt, 500 im engsten Kreis um den Berg, in dem Gebiet, dass nach Behördenmeinung nicht wieder besiedelt werden darf. Aber es lebt sich zu gut vom Merapi, außerdem verlässt ein Javaner, sagen sie, niemals seine Heimat. Soetrisno, Leiter des Post Merapi Eruption Rehabilitation Centers kennt das:

"Die 500 Menschen nah am Berg weigern sich zu gehen. Wir versuchen aber immer wieder, sie zu überzeugen, dass wir ihnen ein besseres und sichereres Leben bieten können."

Mit den neuen, kostenlosen Häusern beispielsweise werden die letzten Unbelehrbaren immer wieder gelockt, weg aus dem Einzugsgebiet des Merapi. Aber auch der neue Merapi-Wächter Pak Asih will bleiben:

"Wir haben unser Wohnhaus jetzt wegen der Warnungen etwas weiter entfernt vom Vulkan neu gebaut. Aber die Gegend hier ist schließlich unser Zuhause, wir kommen so oft wir können."

Pak Asih sitzt im gestreiften Hemd und mit roter Baseballkappe auf einer Bank am Rande des Wächterhauses, eine ganz und gar nicht beeindruckende Erscheinung. Ein junger Mann steht plötzlich vor Pak Asih, mit ernstem Gesicht, ganz offensichtlich auf der Suche nach Rat. Der Merapi-Wächter ist auf Java, in Sichtweite des Vulkans, eine Institution. Äußerlichkeiten spielen da keine Rolle.

Und auch Pak David, der, der das Oasis Disaster Center leitet und sich allein deswegen sehr sachlich und vernünftig mit dem Vulkan befasst, sieht einen spirituellen Bezug zum Merapi:

"Wir leben hier schon buchstäblich in Harmonie mit der Katastrophe, alle hier kennen das Risiko und die Gefahr, alle müssen sich nur gut darauf vorbereiten. Ansonsten ist das hier gerade durch den Merapi eine grüne und reiche Gegend."

Auch der Seismologe Suparwoko weiß um die Bedeutung des Feuerberges für die Menschen rund um den Vulkan:

"Damals, vor dem Ausbruch, waren die Menschen natürlich ausreichend gewarnt, aber alle glauben eben an den Geist des Merapi und dass er ihnen schon nicht schaden wird und daher sind die bis zum letzten Moment geblieben."

Der Geist des Merapi, er weht über den grünen Hügel rund um den Vulkan. Und wenn die Sicht gerade einmal klar ist und der nahezu perfekte Kegel des Feuerberges am Horizont auszumachen ist und wenn kein Ausbruch droht – dann ist dieser Geist auf jeden Fall ein guter.
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