Außenminister

Was vermag Diplomatie?

Der US-Außenminister John Kerry, der dänische Außenminister Kristian Jensen und Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier unterhalten sich auf der Afghanistan-Geberkonferenz in Brüssel (v.l.).
Der US-Außenminister John Kerry, der dänische Außenminister Kristian Jensen und Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier unterhalten sich auf der Afghanistan-Geberkonferenz in Brüssel (v.l.). © pa/dpa/EPA/Hoslet
Von Sylke Tempel · 04.11.2016
Bundesaußenminister Steinmeier ist unermüdlich für den Frieden unterwegs, in Syrien, in der Ukraine. Was aber kann Diplomatie erreichen, wenn die Gegner nicht einlenken wollen? Beschwichtigt sie nur unser Gewissen oder hat sie Mittel, die wir nicht wahrnehmen?
Man müsste einmal die Stunden zählen, die allein amerikanische, russische und ukrainische, deutsche, französische und polnische Staatsoberhäupter für Friedensverhandlungen zur Ukraine oder Syrien aufgebracht haben. Es wären schon Tausende. Und doch: In Syrien werden täglich Hunderte Zivilisten getötet, in der Ukraine geht das Kämpfen ebenfalls weiter, dem mühsam ausgehandelten Minsker Abkommen zum Trotz. Kann denn Diplomatie gar nichts mehr erreichen?
Das wäre ein niederschmetternder Befund. Immerhin könnte man ja für die Ukraine behaupten, dass das Minsker Abkommen zwar nicht richtig funktioniert, dass es ohne Abkommen aber wohl noch düsterer aussähe.

Diplomatie bedeutet nicht unerschütterliche Gesprächsbereitschaft

Diplomatie vermag etwas. Aber Diplomatie besteht eben nicht, wie man in Deutschland zu glauben scheint, in der unerschütterlichen Bereitschaft zum Gespräch, denn wo gesprochen wird, werde nicht geschossen. Der syrische Bürgerkrieg beweist: An Gesprächen fehlt es nicht, und dennoch wird weiter bombardiert.
Diplomatie kann also kein Selbstzweck sein. Und sie funktioniert nur, wenn sie sich ein klares und möglichst auch erreichbares Ziel vor Augen setzt. Und wenn sie über die richtigen Mittel verfügt. Diplomatie braucht Macht, die sich aus der geschickten und der Situation angepassten Nutzung, wirtschaftlicher, politischer, kultureller, aber auch militärischer Ressourcen schöpft.

Musterbeispiel gelungener Diplomatie: das Iran-Abkommen

Das Iran-Abkommen ist ein Beispiel für gelungene Diplomatie: Ziel war es, eine militärische Nutzung der Atomkraft durch Teheran zu verhindern. Das Mittel, auf das sich neben den USA auch die Europäer einigen konnten, waren Sanktionen. Sie haben Teheran dazu gebracht, sich endlich auf konstruktive Verhandlungen eingelassen.
Dazu kommt: Auch ein Mittelverzicht kann manchmal zum Erfolg führen: Europa und die USA als Hauptverhandler versicherten den Iranern glaubhaft, dass sie keinen gewaltsamen Regime-Change im Sinn hatten. Das schuf Vertrauen.
In Syrien ist genau das Gegenteil der Fall: Der Verzicht auf militärische Mittel wie die Errichtung einer Flugverbotszone oder die Unterstützung moderater Rebellen gleich zu Beginn des Bürgerkriegs war zwar nach den Interventionen in Libyen und Irak nachvollziehbar. Aber damit machte der Westen die eigene Diplomatie zum zahnlosen Tiger.
Die moderateren Rebellen wurden weitgehend zerrieben oder mussten sich Islamisten anschließen, um zu überleben. Und es gibt keinerlei Druckmittel mehr, Assad und Putin zu einem Ende der Bombardierungen zu bewegen. Sicher, es ließen sich die Sanktionen gegen Russland verschärfen, die aber kurzfristig meist keine Wirkung zeigen, Nur muss es jetzt und nicht irgendwann um einen Waffenstillstand, humanitäre Versorgung von Zivilisten und die Rettung von Menschenleben gehen.

Wichtig ist ein kultureller Faktor

Und was ist mit der Ukraine? Militärische Mittel hätten die Situation mit größter Wahrscheinlichkeit niemals zugunsten der frei gewählten ukrainischen Regierung verändert. Aber hier sind wirtschaftliche, politische und kulturelle Machtmittel wirksam. Wirtschaftliche Sanktionen gegen Russland haben gewiss nicht zu einem Rückzug der von Russland unterstützten Separatisten geführt. Aber sie haben Moskau davon abgehalten, weiter zu eskalieren. Umgekehrt wird nur Wirtschaftshilfe und politischer Druck in Richtung Reformen und Korruptionsbekämpfung der Ukraine zur Stabilität verhelfen.
Der größte Treiber ist dabei ein kultureller Faktor, den wir selbst oft nicht mehr zur Kenntnis nehmen: Die Attraktivität der westlichen modernen Demokratie und der europäischen Integration. Das trieb Hunderttausende Ukrainer auf den Majdan. Und das ist für viele von ihnen immer noch ein sehr kräftiges Zugpferd.
Der Vorteil westlicher Diplomatie ist es, dass sie etwas anzubieten hat, weil sie für gewisse Werte steht. Dass man dafür auch mal die Daumenschrauben anlegen muss, sollte sich eigentlich von selbst verstehen.

Sylke Tempel, Jahrgang 1963, studierte Politologie, Geschichte und Judaistik, bevor sie für verschiedene Zeitungen als Korrespondentin aus dem Nahen Osten berichtete. Derzeit ist sie Chefredakteurin der Zeitschrift "Internationale Politik" in Berlin, die von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik herausgegeben wird. Zuletzt hat sie zwei Bücher geschrieben: "Israel – eine durch ein altes neues Land" (2008) und "Freya von Moltke. Ein Leben. Ein Jahrhundert" (2010), beide im Rowohlt Verlag erschienen.

© Marco Limberg
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