Abgeordnete fliegen nach Incirlik

"Die Diplomatie hat eine Brücke gebaut"

Militärflugzeuge stehen auf dem Flugplatz der Militärbasis Incirlik in der Türkei.
Deutsche Verteidigungspolitiker dürfen den NATO-Stützpunkt Incirlik in der Türkei nun doch besuchen. © TARIK TINAZAY / AFP
04.10.2016
Die Armenien-Resolution sorgte für Ärger in der Türkei: Deutscher Abgeordnete durften den Luftwaffenstützpunkt Incirlik nicht mehr besuchen. Nun dürfen sie doch fliegen - ein Erfolg der Diplomatie, sagt der Verteidigungspolitiker Rainer Arnold (SPD).
Groß war die Entrüstung der Türkei nach der Armenien-Resolution des Bundestags, in der die massenhafte Ermordung von Ameniern vor hundert Jahren im Osmanischen Reich als "Völkermord" bezeichnet wird - ein Begriff, den die Türkei als Rechtsnachfolger entschieden ablehnt. Als Konsequenz verbot die Türkei deutschen Abgeordneten die Bundeswehr-Soldaten im türkischen Incirlik zu besuchen. Erst nach der Klarstellung der Bundesregierung, dass der Parlamentsbeschluss rechtlich nicht bindend ist, erteilte Ankara die Einreiseerlaubnis.
Für die türkische Entscheidung seien vermutlich mehrere Aspekte ausschlaggebend, sagt der verteidigungspolitische Sprecher der SPD-Fraktion Rainer Arnold im Deutschlandradio Kultur. Zum einen habe die Bundesregierung der Türkei mit ihrer Klarstellung eine diplomatische Brücke gebaut. Zum anderen hätten auch andere Länder bereits Armenien-Resolutionen verabschiedet "und es hat dann immer ein bisschen Zeit gedauert, bis die Türken wieder Normalität haben einkehren lassen".
Vielleicht sehe man in der Türkei auch zunehmend, welche Erfordernisse der Kampf gegen den Terror mit sich bringe, so der Verteidigungspolitiker. Dieser mache es "zwingend, dass wir gut kooperieren und kein Land alleine wird mit der Herausforderung eben fertig".
Der Besuch in Incirlik sei nicht nur wichtig, um sich ein Bild von den Arbeitsbedingungen der Soldaten zu machen, betonte Arnold. Es gehe auch darum, zu zeigen, "dass wir zu den Türken auch stehen. Sie sind in einer schwierigen Situation - ein versuchter Putsch, ein Krieg an der Grenze seit fünf Jahren und Terror im Inneren durch PKK und fundamentale Islamisten. Ich glauben, wir müssen da schon auch sensibel sein und dies wahrnehmen."
Umgekehrt müsse die Türkei jedoch auch zuhören, "wenn wir daran erinnern, der Kampf gegen den Terror muss in der Demokratie mit der Verhältnismässigkeit der Mittel geführt werden - und Einschränkung der Pressefreiheit, Einschränkung der Meinungsfreit, all diese Dinge finden unsere Kritik."

Das Interview im Wortlaut:
Korbinian Frenzel: Heute beginnt eine Reise, die eigentlich schon Anfang Juni hätte stattfinden sollen: Bundestagsabgeordnete in der Türkei zum Besuch am Luftwaffenstützpunkt Incirlik, zu Besuch bei den dort 250 stationierten Bundeswehrsoldaten – eigentlich. Kurz vorher aber hatte der Bundestag fast einstimmig die Verbrechen gegen die Armenier vor 100 Jahren als Völkermord bezeichnet und die damit angeklagte türkische Seite so sehr verärgert, dass die Regierung in Ankara den Abgeordneten die Einreise verweigerte – damals. Heute also doch, eine Delegation des Bundestages fliegt in die Türkei. Eine Reise, bei der auch Rainer Arnold dabei sein wird, SPD-Abgeordneter und verteidigungspolitischer Sprecher seiner Fraktion. Kurz vor seiner Abreise habe ich mit ihm gesprochen und ihn zuerst das gefragt: Warum dürfen Sie jetzt diese Reise machen? Verdanken Sie das allein der Einsicht auf türkischer Seite, vielleicht etwas zu weit gegangen zu sein?
Rainer Arnold: Ich glaube, es sind mehrere Aspekte. Natürlich hat die Diplomatie eine Brücke gebaut, indem die Bundesregierung noch mal erklärt hat, eine Resolution, das ist halt eine Resolution und kein Gesetz. Das Zweite ist, auch andere Parlamente hatten schon Armenienresolutionen verabschiedet, und das hat dann immer ein bisschen Zeit gedauert, bis die Türken wieder Normalität einkehren haben lassen. Beides kommt vermutlich zusammen im Augenblick, und vielleicht sieht man in der Türkei auch zunehmend den Kampf gegen den Terror, der macht es zwingend, dass wir gut kooperieren, kein Land alleine wird mit der Herausforderung eben fertig.
Frenzel: Sie sagen diplomatisch eine Brücke gebaut. Das sind natürlich recht zurückhaltende Worte. Andere haben gesagt, die Bundesregierung hat da dem Bundestag auch eine kleine Ohrfeige verpasst, indem sie der Regierung in Ankara signalisiert hatten, nehmt das mal nicht so ernst. So lesen Sie das aber nicht.
Arnold: Nein, das sehen manche in der deutschen Politik aus der Opposition so. Man sollte den Text einfach lesen, was die Bundesregierung erklärt hat, und da wird klar, die Resolution ist kein Gesetz, sondern eine Resolution zeigt den Willen des Parlamentes und bindet auch eine Regierung, nicht im gesetzlichen Sinn, das ist eine Binsenweisheit, und wenn das der Türkei hilft, über die Brücke zu gehen, dann sage ich mal, soll es mir recht sein. Diplomatie ist einfach grau in grau, und da gibt es nicht schwarz und weiß.

"Auch zeigen, dass wir zu den Türken stehen"

Frenzel: Was erwarten Sie denn von den Gesprächen zunächst in Ankara, dann am Mittwoch am Luftwaffenstützpunkt in Incirlik?
Arnold: Also zunächst in Incirlik ist es uns natürlich wichtig, dass wir unsere Soldaten besuchen können, dass wir uns selbst ein Bild machen, wie sind die Lebens- und Arbeitsbedingungen der deutschen Soldaten dort, wie notwendig sind die Baumaßnahmen, die jetzt in Planung sind, aber auch uns mit den Inhalten der Aufklärungsbilder, die die Deutschen an die Allianz liefern, beschäftigen, mit den Notwendigkeiten der Tankpflege und viele mehr.
In Ankara kommt es da auf zwei Seiten an: Ich glaube, wir müssen schon zeigen, dass wir zu den Türken auch stehen. Sie sind in einer schwierigen Situation: ein versuchter Putsch, ein Krieg an der Grenze seit fünf Jahren und Terror im Inneren durch PKK und durch fundamentale Islamisten. Ich glaube, da müssen wir schon auch sensibel sein und dies wahrnehmen, und umgekehrt muss die Türkei schon zuhören, wenn wir daran erinnern, der Kampf gegen den Terror muss in der Demokratie mit einer Verhältnismäßigkeit der Mittel geführt werden, und Einschränkungen der Pressefreiheit, Einschränkungen der Menschenrechte und all diese Dinge sind in unserer Kritik. Wir sind in der NATO in einem gemeinsamen Bündnis, und da muss man diese Kritik auch äußern können.
Frenzel: Haben Sie denn das Gefühl, da möchte jemand zuhören diesen Worte, das, was Sie gerade gesagt haben?
Arnold: Ich glaube, das ist einfach klug, wenn ich diese Frage nach der Reise beantworte. Ich gebe die Hoffnung nicht auf. Wir kommen ja zusammen, um zu reden, und die Alternative wäre Schweigen, und das ist nie gut.
Frenzel: Ist die Türkei noch Partner genug jenseits der Armenien-Frage? Sie haben die Stichpunkte genannt: der Putschversuch und die politischen Folgen, Erdogan und seine Versuche, eben auf politische Gegner entsprechend zu reagieren. Ist die Türkei noch Partner genug?
Arnold: Also wir wünschen uns natürlich eine Partnerschaft, die auf mehr gemeinsamen Werten basiert. Hier gibt es sichtbar Defizite bei der Regierung Erdogan. Auf der anderen Seite, dieses Land ist wichtig, und wir sind für die Türkei umgekehrt allerdings auch wichtig insbesondere im wirtschaftlichen Bereich. Das müssen beide Seiten erkennen und müssen offene Ohren haben und im Dialog bleiben. Wir haben in der Welt viele schwierige Partner, und trotzdem gibt es nichts Besseres als Reden.
Frenzel: Wie gehen wir klug mit so einem wichtigen Partnerland um, als das Sie die Türkei ja bezeichnen? Ich komme noch mal zurück auf die Armenienresolution: Wenn wir insgesamt gerade sehr klug abwägen müssen, wenn wir wissen, dass die Stimmung ohnehin angespannt ist, warum musste der Bundestag in einer solchen Situation dann mit dem Begriff Völkermord aufwarten?
Arnold: Also ich glaube, es wäre kein gutes Zeichen, wenn der Deutsche Bundestag sich von Herrn Erdogan und seiner Partei vorschreiben lassen würde, wann wir solche Resolutionen fassen. Wir haben jahrelang drüber diskutiert, und es war im Bundestag ein zäher Prozess, und wir sprechen ja auch die deutsche Verantwortung in dieser Resolution. Die Deutschen haben ja auch Schuld auf sich geladen im Umgang mit Armenien, mit armenischen Menschen, und all dies wird in dieser Resolution formuliert. Haben andere Länder übrigens vor uns auch so gemacht. Die Türken haben dann immer ein bisschen Zeit gebraucht, um wieder Normalität einkehren zu lassen.

Arbeitsklima in Incirlik ist weiterhin gut

Frenzel: Gab es nach diesem Streit um die Resolution, auch um Ihre Reise, die im Juni erst nicht möglich war, eine Verschlechterung des Klimas für die Soldaten vor Ort? Haben Sie da Berichte bekommen?
Arnold: Nach allem, was wir hören, und wir fragen ja regelmäßig nach, hat sich das Arbeitsklima auf der militärischen Ebene zwischen den türkischen Soldaten und den deutschen überhaupt nicht verändert. Es wird uns im Gegenteil als gut und pragmatisch geschildert. Es ist halt so, die türkischen Soldaten haben keine großen eigenen Entscheidungsspielräume. Alle Dinge, die geklärt werden müssen, gehen dort einen mühsamen bürokratischen Weg nach oben, aber das Klima auf der Arbeitsebene soll, wie wir gehört haben, positiv sein. Darum wollen wir uns ja auch kümmern und möchten das vor Ort im Detail nachfragen.
Frenzel: Das heißt, Sie haben aber auch nicht die Rückmeldung bekommen von den deutschen Soldaten da vor Ort, kommt besser nicht, das vergiftet nur die Stimmung?
Arnold: Nein, haben wir überhaupt nicht gehört, und solche Besuche haben ja zwei Funktionen: dass wir hören und sehen, wie sind die Bedingungen, die Lebens- und Arbeitsbedingungen der Soldaten, was leistet das Mandat im Kampf gegen den Terror, und umgekehrt wollen wir auch unsere Wertschätzung gegenüber den Soldaten durch unsere Besuche zeigen. Deshalb nehme ich wahr – und ich besuche fast alle Auslandseinsätze der Bundeswehr einmal im Jahr –, dass die Soldaten schon sehr froh sind, dass wir als Parlamentarier kommen, fragen, zuhören.
Frenzel: Sagt Rainer Arnold, verteidigungspolitischer Sprecher der SPD im Bundestag. Das Thema: die Reise einer Bundestagsdelegation in die Türkei. Herr Arnold, vielen Dank für das Interview!
Arnold: Danke auch! Schönen Tag noch!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.