Aus den Feuilletons

Über ein Christentum, das zum Schwert greift

Von Arno Orzessek |
In der "Welt" reflektiert Thomas Schmid über "das hässliche Christentum", das, um die christliche Botschaft zu retten, dieselbe zerstöre. Hans Magnus Enzensberger hingegen bekennt in der "NZZ": Wer zweifelt, bewegt sich freier.
"Das hässliche Christentum" heißt ein Artikel in der Tageszeitung DIE WELT, in dem Thomas Schmid mit Blick auf Bayerns Ministerpräsidenten Markus Söder, die konservativ-christlichen Regierungen in Polen und Ungarn sowie Teile der italienischen Lega und der hiesigen AfD feststellt: "Es wächst ein Christentum heran, das verbal wieder zum Schwert greift. Das von Ökumene wenig und von Toleranz anderen Religionen gegenüber fast gar nichts hält."

Europa eine gute bewehrte Christenfestung

"Ein Christentum, das sich als abendländisch in scharfer Abgrenzung von anderen Denominationen begreift. Das Europa gerne zu einer gut bewehrten Christenfestung machen würde. Das ohne eine Spur schlechten Gewissens jedem Fremden und jedem Flüchtling die Tür weisen möchte. Das das Spannungsverhältnis zwischen dem Anspruch der Menschenrechte auf universelle Gültigkeit und dem Menschenmöglichen gar nicht kennt und schon gar nicht als schmerzhaft empfindet. … Das, um die christliche Botschaft zu retten, dieselbe zerstört.", so der WELT-Autor Schmid über "Das hässliche Christentum". Das übrigens Schmids eigener Auffassung vom Christentum absolut widerspricht, wie aus dem weiteren Artikel hervorgeht.
Eine antike Götterstatue in Messina auf Sizilien
Eine antike Götterstatue in Messina auf Sizilien© Imago

Die Qual der Götterwahl

Gar keiner Religion exklusiv verbunden fühlt sich der Schriftsteller Hans Magnus Enzensberger, der in der NEUEN ZÜRCHER ZEITUNG unter dem Titel "Wer zweifelt, bewegt sich freier" bekennt: "Eine wohlwollende Fee hat mir das Talent für den Glauben an den Monotheismus vorenthalten. Die Götter sind so zahlreich, dass einem die Wahl weh tut. Allein die griechischen und römischen begleiten uns am Himmel und in den Wochentagen, und auch die ägyptischen und asiatischen Traditionen, von Tutanchamun und Buddha, sind nicht ganz erloschen. Ebenso können ein bisschen Epikur und eine gehörige Dosis Stoa in meinen Augen nicht schaden." Offenbar bester agnostischer Laune: Enzensberger in der NZZ.
Gar nicht vergnügt berichtet dagegen die TAGESZEITUNG innerhalb des Schwerpunkts "Netzwerk AfD" über Burschenschaften im Bundestag. Dabei verlässt sich Ernst Kovahl auf Informationen aus der Szene-Zeitung: "In dem Blatt Der Burschenschafter war man sichtlich stolz. In der ersten Ausgabe nach der Bundestagswahl listete das 'Periodikum der Allgemeinen Deutschen Burschenschaft' die Namen von Bundestagsabgeordneten 'aus den Reihen der Burschenschaften' auf, unter anderen Albrecht Glaser, Enrico Komning, Jörg Schneider und Christian Wirth von der AfD. Insgesamt neun seien es, vier von der AfD, drei CDU-Mitglieder und zwei aus der CSU, darunter der frühere Bundesverkehrsminister Peter Raumsauer aus Bayern."
Inwiefern die Burschenschafter im Bundestag burschenschaftlich geprägte Politik vorantreiben, das erklärt der TAZ-Autor Kovahl allerdings nicht. Sein Verdacht lautet, sie würden "das Rad der Geschichte" zurückdrehen. Wir hätten gern etwas Konkreteres erfahren.
Das Reichstagsgebäude in Berlin
Das Reichstagsgebäude in Berlin: Welche Rolle spielen Burschenschaften im Bundestag? © picture-alliance / dpa / Daniel Kalker

Der deutsche "Wille zur Macht"

"Rechte und linke Europa-Feinde erobern Italien und schüren Hass auf Deutschland. Wie konnte es dazu kommen?" Dieser Frage stellt sich in der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG der Philosoph und Politologe Angelo Bolaffi: "Im allgemeinen Empfinden herrscht inzwischen ein Narrativ vor, in dem Deutschland Italien feindlich gegenübersteht. … Nicht zuletzt die inakzeptable Zumutung ist hier zu nennen, dass Deutschland stets unbeugsamer Richter der Verfehlungen anderer, aber nie der eigenen ist. Vor allem aber die systematische Verletzung der vereinbarten Grenzen des Handelsüberschusses, der die Ökonomien der europäischen Partner negativ belastet und den Verdacht bestärkt, das gegenwärtige Deutschland sei von einem 'Willen zur Macht' geprägt, es sei 'egoistisch und neo-merkantilistisch'." Italienische Vorhaltungen Deutschland gegenüber, zitiert in der SZ.
Leider bleibt nun keine Zeit mehr für den wirklich kenntnisreichen WELT-Artikel von Katja Belousova über die Unterschiede zwischen echten Geburten und Geburten im Film. Denn für heute haben wir, um es mit einer SZ-Überschrift zu sagen, "Ausgeplaudert".
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