Aus den Feuilletons

Therapie statt Wodka Martini

Monica Bellucci (Lucia Sciarra) und Daniel Craig (James Bond) in einer Szene des neuen 007-Agententhrillers "Spectre".
Früher "edel-chauvinistischer Frischfleischverzehrer von Graden", in "Spectre" eine Frau (Monica Belucci) seines Alters an seiner Seite, das ist laut "SZ" der neue Bond. © Sony Pictures 2015 / dpa
Von Arno Orzessek  · 03.11.2015
Morgen kommt der neue Bond-Film "Spectre" mit Daniel Craig in unsere Kinos. Endlich lasse er sich mal mit einer Frau seiner Altersklasse ein, lobt die "SZ". Während er die Welt rette, müsse er diesmal allerdings seine eigenen Traumata in den Griff bekommen.
Während dort draußen der Herbst die kalten Nebel noch mit Farbe und Licht niederstrahlt, herrscht in den Feuilletons tatsächlich atmosphärischer November. Und selbst die populärste Unterhaltungskultur macht da keine Ausnahme.
Denn nichts Prickelnderes als "Der süße Weltschmerz" kennzeichnet laut SÜDDEUTSCHE ZEITUNG den neuen Bond-Streifen "Spectre" - erneut mit Daniel Craig als 007, außerdem mit Christoph Waltz als Finsterling.
Tatsächlich, so die SZ-Autorin Susan Vahabzadeh, lässt sich Bond – einst bekanntlich ein edel-chauvinistischer Frischfleischverzehrer von Graden – "endlich mal mit einer Frau seiner eigenen Altersklasse (Monica Belucci)" ein. Und auch sonst setzt "Spectre" offenbar die Bondsche Metamorphose, die 2006 mit "Casino Royal" begann und zuletzt in "Skyfall" überdeutlich wurde, entschlossen fort.
"Der Humor, die Selbstironie, die Bond einmal ausgezeichnet haben, sind auf der Strecke geblieben in den letzten Filmen. Craig ist ein ernster Bond, einer, der seine eigenen Traumata in den Griff bekommen muss, während er die Welt rettet. Früher, sagt (Regisseur Sam) Mendes, waren finstere Filme unverkäuflich, heute aber kann sich sogar 007 eine Therapie statt eines Wodka Martini leisten."
Nun, das klingt tatsächlich ernüchternd.
"Bond würde David Cameron wählen"
Wie auch die Überschrift der TAGESZEITUNG: "Bond würde David Cameron wählen."
Warum die TAZ-Autorin Barbara Schweizerhof dieser schrägen Idee verfällt, lesen Sie bitte selbst nach, liebe Hörer.
Uns ist Schweizerhofs Kritik insgesamt nicht geheuer, behauptet sie doch:
"Wie man in den Bond hineinblickt, so blickt er schließlich zurück, vom anderen Ende des Gewehrlaufs."
Dabei kann Schweizerhof doch nur den Pistolenlauf meinen, der in Bond-Filmen eingangs auf die Zuschauer zielt.
Sei’s drum. Heben wir nun das Niveau von U auf E.
Auch neu im Kino: Priesterverbrecher-Film "El Club"
Die FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG titelt: "Mitleid mit dem Bösen ist untilgbare Schuld."
Über diese These ließe sich natürlich streiten – und der Autor Dietmar Dath hätte auch den Kopf und die Feder, es zu tun.
Tatsächlich aber bespricht Dath in der FAZ Pablo Larrains Film "El Club", den er als "Priesterverbrecher-Kammerspiel" vorstellt, für seine "immense moralische Kraft" lobt und zu dem Schluss kommt:
"Das Schlimmste am Bösen ist hier mit der Lauterkeit eines Kinderchors vorgetragene Bild- und Tonerzählung geworden: Je genauer man das Böse zu kennen meint, desto schlechter erkennt man es bei sich selbst."
Hat der französische Film eine Zukunft?
Weil wir nun einmal im Kino sind, gehen wir heute auch nicht mehr raus.
Die NEUE ZÜRCHER ZEITUNG legt sich eine typische NZZ-General- und Gesamtfrage vor – sie lautet: "Der französische Film hat eine Vergangenheit – hat er auch eine Zukunft?"
Damit jeder sieht, dass es die Vergangenheit wirklich gegeben hat, bebildert die NZZ den Artikel mit einer Szene aus Jean-Luc Godards "Die Versuchung" von 1963: Brigitte Bardot und Michel Piccoli als junges Paar. Zwei goldgerahmte Namen – wie uns gerade einfällt –, die jüngeren Hörern Hekuba seine könnten.
Laut Patrick Straumann hat aber auch die Gegenwart Reize:
"Das französische Kino hat in den letzten Jahren (…) (zwar) keinen Weltstar mehr hervorgebracht, der einem Spielfilm allein aufgrund seiner Präsenz ein Massenpublikum garantieren könnte – berühmt ist der Satz de Gaulles, der Brigitte Bardot 1968 dazu gratulierte, Frankreich mehr Devisen eingebracht zu haben als der Autokonzern Renault. Mit Léa Seydoux, Vincent Cassel und Marion Cotillard haben sich allerdings auch zeitgenössische Darsteller international profiliert (…). Die Aura dieser Schauspieler ist der Blickschärfe der Regisseure geschuldet, die deren Spiel und Ausdruck jeweils die richtigen Geschichten zu unterlegen wussten",
behauptet der NZZ-Autor Straumann in einem irgendwie maßstablosen Artikel, der den Rang des französischen Films gestern, heute und bis in alle Ewigkeit zu fixieren sucht.
Am Ende wird uns bange, liebe Hörer. Sind doch die Kino-Verächter unter Ihnen entschieden zu kurz gekommen.
Vor diesem Hintergrund ist unser letzter Presseschau-Gedanke gleichlautend mit einer Überschrift in der Tageszeitung DIE WELT:
"‘Ich frage mich, ob das alles umsonst war.‘"
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