Aus den Feuilletons

Kein Untergang der Titanic

Logo der Satirezeitschrift Titanic
Die Redaktion der Satirezeitschrift "Titanic" hat die "Bild"-Zeitung in die Irre geführt. © picture alliance / dpa / Robert Fishman
Von Tobias Wenzel · 21.02.2018
Dass man die "Bild"-Zeitung leicht hereinlegen könne, darüber freuen sich gleich mehrere Tageszeitungen. Die "TAZ" analysiert, wie im Internet mit wenig Aufwand durch negative Kommentare die öffentliche Meinung manipuliert wird. Der "Zeit" fehlt Kuchen in Berlin.
"'Titanic' legt 'Bild' rein", titelt der TAGESSPIEGEL, "Die 'Titanic' pfuscht der 'Bild'-Zeitung ins Handwerk" heißt es in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN, "Operation Juri" lautet die Überschrift in der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG.
Dort schreibt David Denk:
"Es gibt Geschichten, die sind zu schön, um wahr zu sein. Aber sie sich durch Fakten kaputtmachen zu lassen, bringt man bei Bild offenbar nicht übers Herz."

Die bösen Russen

Die Boulevardzeitung hatte von einer "Neue(n) Schmutzkampagne bei der SPD" gesprochen und aus E-Mails zitiert, die belegen sollten, Juso-Chef Kevin Kühnert habe mit einem russischen Hacker mit dem Namen Juri darüber verhandelt, dass der ihn bei seiner Kampagne gegen die Große Koalition unterstütze. Das Satiremagazin "Titanic" behauptet mittlerweile, hinter der Aktion zu stecken und die "Bild" mit diesen erfundenen E-Mails hinters Licht geführt zu haben.
"Wenn das stimmt und es sich nicht um einen 'Fake-Fake' handelt, wäre es ein Scoop für die Satiriker – und eine Schmach für Bild", urteilt David Denk in der SZ.

Hilfe durchs Kleingedruckte

Allerdings verteidigt sich nun die "Bild"-Zeitung: In besagtem Artikel stehe wörtlich: "Für die Echtheit der E-Mails gibt es keinen Beweis."
Dazu Denks Kommentar: "Unter diesen Umständen bis zur Klärung des Sachverhalts auf eine Berichterstattung zu verzichten, kam aber nicht in Frage." Jetzt prüft der Presserat, ob der "Bild"-Autor seine journalistische Sorgfaltspflicht vernachlässigt hat.

Manipulation im Internet ist einfach

"Dafür braucht es keine russischen Trollfabriken", schreiben Peter Weissenburger und Arved Clute-Simon in der TAZ, als wollten sie von der wahrscheinlichen "Titanic"-Aktion zu ihrem eigenen Artikel überleiten:
"Die Indizien verdichten sich: Rechte Trolle haben das Internet verstanden und treiben mit koordinierten Kampagnen Medien und Politik vor sich her."
Angeregt durch Rechercheergebnisse von WDR, NDR und der "Süddeutscher Zeitung" zum neurechten Netzwerk "Reconquista Germanica", versuchen die beiden TAZ-Autoren zu verstehen, was da im Internet passiert.
"Der IT-Spezialist Philip Kreißel hat analysiert, wie Hasspostings in den Kommentarspalten der großen deutschen Medien zustandekommen", schreiben sie. "Konkret, wie viele Accounts es braucht, um gewaltige Mengen an Hasspostings zu generieren. Das Ergebnis: Eine winzige Minderheit – ein Prozent der Profile – sorgt auf beliebten Nachrichtenseiten wie bild.de, focus.de oder tagesschau.de für ein Viertel aller Likes auf Hasspostings. Wir blicken in einen Zerrspiegel. Die rechten Diskurse sind selbstverständlich da – aber wie groß sind sie wirklich?"

Meinungsmache per Handbuch

Besonders aufschlussreich: Die beiden TAZ-Autoren zitieren aus dem "Handbuch für Medienguerilla", das in neurechten, internetaffinen Kreisen beliebt sei. Darin heißt es: "Du willst bei Diskussionen im Internet nicht Deinen Gegner überzeugen. Und es geht nicht darum, wer Recht hat, sondern wer vom Publikum Recht erhält."

Work in Progress-Theater ohne Leckerli

Wie das Publikum auf "Liberté" reagiert, das Theaterstück von Albert Serra, das unter seiner Regie an diesem Donnerstag Premiere an der Berliner Volksbühne hat, ist ungewiss. Recht sicher ist dagegen, dass die beiden Hauptdarsteller Ingrid Caven und Helmut Berger im Vergleich mit dem Schein der virtuellen Welt befreiend echt wirken im Interview mit Katja Nicodemus und Peter Kümmel von der ZEIT.
"Albert Serra schreibt noch jeden Tag am Stück, auch während wir proben", sagt Berger. Und Caven ergänzt: "Ja, es kommt wohl eher ein Kunstobjekt heraus als ein Theaterstück."
Na, das passt ja zum Museumsmann Chris Dercon, dem neuen Intendanten der Berliner Volksbühne, denkt man da als Leser. "Wie gehen Sie mit Verzweiflung um?", fragt die ZEIT abschließend Ingrid Caven und Helmut Berger. "Damit kann man nicht umgehen, da kann man nur drin sein und gucken, wie man wieder rauskommt", antwortet Caven. Und Berger: "Verzweifelt bin ich nie. Wisst ihr, was ich gern jetzt hätte? So einen Käsekuchen. Wenn ich normal zu Interviews eingeladen bin, gibt es Kuchen und Kaffee, so bin ich es gewohnt. Aber jetzt sind wir in Berlin; hier gibt es nur Interviews mit Kaffee und Wasser."
Mehr zum Thema