Aus den Feuilletons

"Ich will nicht die europäische Kassandra geben"

Die Schriftstellerin und Literaturkritikerin Thea Dorn während der Sendung "Das literarische Quartett"
Die Schriftstellerin und Literaturkritikerin Thea Dorn während der Sendung "Das literarische Quartett" © dpa picture alliance/ Svea Pietschmann
Von Arno Orzessek · 04.03.2017
"Amerika, siehst Du nicht, dass Du auf einen neuen Bürgerkrieg zumarschierst", mahnt "Welt"-Autorin Thea Dorn. Die beiden politischen Lager seien so verhärtet, dass sie nicht mal mehr untereinander redeten, das sei "brandgefährlich", so die Schriftstellerin.
Liebe Relevanz-Junkies, Sie müssen auf Ihren Stoff heute ein bisschen warten! Wir beginnen nämlich ausgesprochen belanglos.
Was damit zu tun, dass wir nicht schon wieder mit Mister Trump und Efendi Erdogan beginnen wollen, die auch im Feuilleton der vergangenen Woche wahre Belang-Krösusse waren.
"Ohne meine zimtfarbene Crema kann ich nicht leben", titelte die Tageszeitung DIE WELT.
In der Jo Lendle, der Verleger des Hanser Verlags, in spöttischer Stimmung "die politische Korrektheit des Kaffeetrinkens" untersuchte.
Lendles finaler Ratschlag, ein Tiefschlag für jeden geborenen Kaffeetrinker: "In Zukunft einfach heißes Wasser trinken."
Nun ein bisschen feuilletonistische Selbstreflexion - die Ihnen, liebe Hörer, Innenansichten des Betriebs vermitteln mag.

Ein gedemütigter Dickhäuter

"Ach, niemand hört auf mich", klagte in der NEUEN ZÜRCHER ZEITUNG Rainer Moritz, Leiter des Hamburger Literaturhauses und Kritiker.
Die Unterzeile des NZZ-Artikels ließ erwarten, dass Moritz launig zu übertreiben gedenke: "Meine unendlichen Leiden als Literaturkritiker und die völlige Wirkungslosigkeit der Kritik."
Moritz' Ausführungen waren allerdings bisweilen so herzergreifend, dass man ihm über den Kopf streichen wollte – etwa an dieser Stelle:
"Viel zu wenige haben auf mich gehört, so mein vorläufiges Lebensfazit. Wer Kritiken schreibt, muss mit Demütigungen leben, muss sich fühlen wie jemand, der in Watte spricht, und muss lernen, diese Wirkungsarmut dickhäutig zu ertragen."
So der gedemütigte Dickhäuter Rainer Moritz.
Uwe-Justus Wenzel, ebenfalls NZZ, ist dagegen ein stolzer Kritiker.
Unter dem Titel "Kritik ist eine Kunst und will geübt sein" kritisierte Wenzel das Buch "Kritik üben" des englischen Kritiker-Kollegen Anthony O. Scott.
Wenzel, nicht schüchtern, zählt auch Gott zum Kollegen-Kreis. Denn laut Genesis hat Gott damals sein eigenes Schöpfungswerk kritisiert:
"'Und Gott sah alles an, was er gemacht hatte, und siehe, es war sehr gut.'"
Was für Wenzel heißt, dass bis heute alle Kritiker eine gewisse Gottesnähe auszeichnet.
"Nicht alle Kritiker, die im langen Laufe der Zeit auf den allerersten Kritiker folgten, folgten ihm (...) in seinem wohlwollenden Urteil über das, was er erschaffen hat. Da diese Kritiker indes (...) als Angehörige der Menschengattung ihrerseits mittelbar von Gott geschaffen worden sind – und sogar 'nach seinem Bilde' – dürfen sie sich in dem anfänglichen positiven Werturteil des Urkritikers aufgehoben fühlen und in ihrem kritischen Tun gerechtfertigt sehen." -
Wir schließen nicht aus, dass der NZZ-Autor Uwe-Justus Wenzel ernst meinte, was er da schrieb ...

"Die 'Wippe' ist nur noch ein Witz"

Aber ob so oder so: Wie ein selbstbewusster Kritiker seinen Job ausübt, das zeigte ein weiteres Mal Andreas Kilb in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG.
Kilb urteilte unter der Überschrift "Deutschland lässt sich nicht erschaukeln":
"Die 'Wippe' ist nur noch ein Witz: Das Einheitsdenkmal in Berlin muss völlig neu gedacht werden."
Indessen hat Andreas Kilb schon mal für alle vorgedacht und riet dem Rest der Deutschen dringend zu dem Entwurf des Münchener Architekten Andreas Meck.
"Mecks Entwurf ist nicht nur deshalb geglückt, weil er mühelos die Balance zwischen Architektur und Skulptur, zwischen Denkmal und Kunstobjekt hält. Er gibt auch die einzig überzeugende Antwort auf die Frage, wie man Verfassungspatriotismus heutzutage darstellen soll. (...) Mecks Pavillon (...) sagt: Wir sind ein Text. Unser 'Wir' ist das Gesetz, es sind Buchstaben, Worte, auf die sich Freiheiten gründen, Rechte, Traditionen, Pflichten."
Also sprach der manchmal etwas herrische FAZ-Autor Kilb.

Mitten im Stoff für die Relevanz-Junkies

Sie merken es, liebe Hörer, wir sind nun mittendrin im Stoff für die Relevanz-Junkies.
Weil die Wochenzeitung DIE ZEIT überall auf der Welt "einen neuen Faschismus" heraufdämmern sieht, schrieb Thomas Assheuer ein "Alphabet des rechtens Denkens".
Das sich als Stichwort-Verzeichnis entpuppte. Unter "Wahre Demokratie" hieß es:
"Früher als alle anderen haben rechte Politiker begriffen, welch fantastische Möglichkeiten ihnen die sozialen Medien eröffnen. Vor allem Twitter ist wie geschaffen für die wahre Demokratie. Im Gegensatz zur repräsentativen Demokratie erlaubt diese tolle Erfindung, dass der Führer ungefiltert mit dem Volk ins Gespräch kommt. So wird am Ende der Geschichte ein uralter Traum der konservativen Staatstheorie doch noch wahr. Für sie war es unannehmbar, dass der Liberalismus freiwillig darauf verzichtet, über die Innenwelt der Bürger zu regieren. Twitter ändert das gerade. (...) Follow me",
erging sich der ZEIT-Autor Assheuer in Sarkasmus.
Sicher ist, dass US-Präsident Donald Trump ein geübterer Twitterer ist als Recep Tayipp Erdogan ...
Der das Twittern vielleicht gar nicht mehr nötig hat, falls er das Referendum über die Einführung des Präsidialsystems gewinnt.
Und wenn er wider Erwarten verliert?
Nun, dieser Frage ging Bülent Mumay in der FAZ nach – und zwar unter einer Überschrift, die bereits alles sagte: "Macht Euch auf einen Bürgerkrieg gefasst!"
Dieselbe Gefahr wollte die Schriftstellerin und WELT-Autorin Thea Dorn für die USA zumindest nicht ausschließen.
"Mein liebes Amerika, Deine beiden politischen Lager scheinen so verhärtet zu sein, einander so verfeindet gegenüber zu stehen, dass Ihr nicht mal mehr untereinander redet! (...) Das ist fürchterlich! Ich will nicht die europäische Kassandra geben und rufen: Siehst Du nicht, dass Du auf einen neuen Bürgerkrieg zumarschierst, wenn Du weiterhin bei dieser störrischen, unversöhnlichen Haltung bleibst? (...) [Aber] siehst Du nicht, wie brandgefährlich es ist, wenn Du nur noch den Stimmen lauschst, die Dir die Wirklichkeit so aufbereiten, dass Dein Weltbild Bestätigung findet?"
So Thea Dorn in der WELT – und es wäre nun ein Leichtes, die tiefschürfende Feuilleton-Diskussion über das Postfaktische anzuschließen.

Das trunkene Treiben

Wir aber sind am Ende, liebe Hörer. Und falls Sie uns fragen, was wir an diesem Sonntag genießen werden – antworten wir Ihnen mit einer Überschrift der TAGESZEITUNG:
"Das irre trunkene Treiben des Lebens."
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