Aus den Feuilletons

Wenn Sexarbeit verharmlost wird

Frankfurt am Main
Leuchtreklame in Frankfurt am Main: Wie schreibt man angemessen über Sexarbeit? Das fragt Katharina Teutsch in der FAZ. © imago/Michael Schick
Von Arno Orzessek · 01.03.2017
Wer Prostitution als Teil der Alltagskultur darstellt, verharmlost die Arbeit von Prostituierten, mahnt die "FAZ". Genau das geschehe aber in Nora Bossongs Reportage-Buch "Rotlicht". Entsprechend schlecht kommt es weg.
Kurze Erklärung vorab: Am liebsten zitieren wir an dieser Stelle aus Feuilleton-Artikeln, in denen es um den intellektuellen Stoffwechsel der Gegenwart, um Weltanschauungen, um Politisches und Gesellschaftliches geht.
Das nötig uns oft, um des Gedankens Schwere willen längere Passagen zu zitieren und mit eigenen Anmerkungen nicht zu sparen.
Heute jedoch machen wir es anders – denn um es wie gewohnt zu machen, fehlt es am nötigen Stoff. Stellen Sie sich also bitte auf ein Stakkato kurzer und kürzester Urteile ein - insbesondere aus dem sogenannten Rezensionsfeuilleton.
Vielleicht können Sie ja beim Zuhören ein bisschen Ordnung in Ihren Kulturkonsumplan für die nächsten Tage bringen.

Unzufriedenheit über neue Kinofilme

Unzufrieden zeigt sich Fritz Göttler in der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG mit Raoul Pecks Film "Der junge Karl Marx", in dem es um die ersten Begegnungen zwischen Marx und Engels geht:
"Mühsam ist der Film, wenn er die politische Aufklärungsarbeit der beiden Revolutionäre zeigt, das zähe Geschäft der Revolution, endlose, gespreizte Debatten in verrauchten Stuben."
Sehr unzufrieden ist Jan Küveler… Der in der Tageszeitung DIE WELT unter dem schön-bösen Titel "Ein Kelch zum Vorübergehen" Martin Scorseses Film "Silence" abkanzelt:
"Scorsese dreht auf seine alten Tage einen frommen Film über Christenfolter in Japan. Leider ist 'Silence' selbst eine Tortur."

"Bossongs Blick auf die Sexindustrie verfehlt die Realität"

Und sogar restlos unzufrieden äußerst sich Katharina Teutsch in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG über Nora Bossongs Buch "Rotlicht".
"Bossongs Blick auf die Sexindustrie verfehlt die Realität", motzt Teutsch – und überhaupt:
"Wer über Pornographie schreiben will, der muss es richtig tun: einfühlend, sachkundig oder cyberfeminstisch."
Das tue Bossong aber nicht, findet Teutsch und legt nach:
"Der größte Feind der Frauen im Gewerbe ist die Bagatellisierung des Rotlichts als Teil der Alltagskultur. Nora Bossongs Buch ist vermutlich gegen ihre aufrichtigen Absichten Ausdruck dieser zynischen Mode geworden."

Leerstellen im Kulturkonsumkalender

Falls Sie klagen, liebe Hörer, dass wir Ihnen bislang nur vermitteln, was Sie sich eher nicht anschauen oder durchlesen müssen, also praktisch Leerstellen in Ihren Kulturkonsumkalender diktieren – nun, wir können auch anders! Gerade, was dieses Sex-gegen-Geld-Ding angeht!
Denn die WELT druckt unter dem Titel "Belle de Jour" Auszüge aus Laura Wohnlichs Roman "Sweet Rotation"… Und tut das keineswegs aus Abscheu, sondern unter der interessanten Fragestellung:
"Kann man seinen Körper verkaufen und seelisch profitieren?"
Die Antwort bleibt offen, aber immerhin lässt die WELT ihre Leser wissen, dass "Sweet Rotation" von einer "weiblichen Selbstrettung" handelt.

"Fast ein Schlaraffenland"

Nun etwas für Städtereisende:
"Fast ein Schlaraffenland" – das ist laut SZ in Sachen klassischer Musik die ostdeutsche Großstadt Berlin.
"Hier versammelt sich wohl die vielfältigste, an kreativer Energie lebendigste Klassikszene [behauptet der SZ-Autor Wolfgang Schreiber und beginnt zu zählen]. Drei Opernhäuser, ein halbes Dutzend Symphonieorchester, zwei Weltklassechöre, Ensembles der Kammermusik und der Kantoreien, die Menge freier Musikgruppen, das Nachwuchsgewusel an zwei Musikhochschulen… Schwer, den Überblick zu behalten."
Über die westliche Landes-Grenze hinaus blickt die TAGESZEITUNG:
"Nachts schaut es besonders schön aus, das Centre Pompidou", heißt es unter einem Foto des Pariser Kunstmuseums, das seinen 40. Geburtstag feiert.

"Kaum ein Kunsttempel wird heute mehr geliebt"

"Kein anderes Bauwerk wurde mehr gehasst", urteilt die TAZ-Autorin Johanna Schmeller – als gäbe es den Eifellturm nicht –, und fügt hinzu: "Kaum ein Kunsttempel wird heute mehr geliebt."
Außer vielleicht der Eiffellturm! Würden wir sagen, wenn der Turm ein Tempel wäre. -
Okay, das war's! Falls Sie unser heutiges Urteils-Stakkato nicht so prickelnd fanden, liebe Hörer, können Sie uns jetzt gern mit einer FAZ-Überschrift hinterherrufen:
"Verweile nicht, du fliehst so schön."
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