Aus den Feuilletons

Für die Falschen geklatscht

Besucher der Leipziger Buchmesse
Die Buchmesse ist vorbei, doch die Debatte über sie ist es noch nicht. © picture alliance / dpa / Hendrik Schmidt
Von Paul Stänner  · 16.03.2014
Nicht alle haben sich über die Harmonie auf der Leipziger Buchmesse gefreut. Selbst fremdenfeindlichen Autoren sei unkritisch applaudiert worden. Für Ärger sorgt auch ein Bildband mit pornografisch anmutenden Fotos.
Die Leipziger Buchmesse ist zu Ende gegangen. Die Preise sind verteilt, das Publikum, das in Rekordmenge erschienen ist, ist nach Hause gegangen, die Manga-Mädchen haben ihre Kostüme in den Schrank gehängt und tragen Montag wieder Jeans. Die Neue Zürcher Zeitung ist hellauf zufrieden. Nachdem die Schweizer klargestellt hatten, dass sie kein Gastland, sondern Bestandteil der deutschsprachigen Literatur seien, sei es ein Heimspiel gewesen. Kein Wunder, schließlich seien Sachsen und die Schweiz seelenverwandte Nationalitäten- Zitat: "Miteinander teilen sie Eigenschaften wie Höflichkeit, Konfliktscheu, Zurückhaltung, Unsicherheit und Verniedlichung." Aus all diesen Gründen hätten sie so unterschiedlichen Autoren wie dem fremdenfeindlichen Thilo Sarrazin und dem europafeindlichen Inder Pankaj Mishra, Buchpreisträger für Europäische Verständigung, gleichermaßen brav applaudiert.
Die Tageszeitung taz hat den Preisträger gelesen und ist empört. Sie verweist auf die "ewige Mär vom bösen Westen und den guten außereuropäischen Gesellschaften." - und argwöhnt, die aufgeklärten Westeuropäer seien nach zwei Weltkriegen und Kolonialismus und Nationalsozialismus gern bereit, sich vom Preisträger gleichsam zur Buße verbal auspeitschen zu lassen. Wofür Pankaj Mishra wohl nicht der Richtige sei, denn: "… wie kann ein dermaßen vor sich hin ethnisierender Vertreter der asiatischen Renaissance tatsächlich zur interkontinentalen Verständigung beitragen?" Die taz konstatiert, der Feind der nachkolonialen Länder sitze im eigenen Land, nicht im von den Mishras mal bewunderten, mal verachtenden "imperialen Westen".
Pornographische Polaroids?
Noch ein Buch: In seinen letzten Jahren, als Balthus, der Maler meist minderjähriger, wenig bekleideter, lasziv posierender Mädchen, nicht mehr gut sah und nicht mehr zeichnen konnte, nahm er Tausende von Polaroids von seinem Model Anna auf. In New York werden sie ausgestellt und teuer angeboten, in Deutschland wurde die geplante Ausstellung abgesagt, nachdem die ZEIT in einem Artikel die Fotos "als Dokumente einer pädophilen Gier" bezeichnet hatte. Immerhin gibt es im Handel einen kiloschweren Bildband für saubere 480 Euro. Die FAZ findet: "Dass die Polaroids keinesfalls in eine Museumsaustellung gehören – und mithin von einer vorauseilenden Zensur der Kunst keine Rede sein kann - beweist ihre Publikation definitiv." Das klingt gewollt energisch, ebenso wie gewollt energisch klargestellt wird, dass "das moralisierende Verdikt der Pornographie" bei Balthus "fehl gehe".
Des Weiteren wird geurteilt und verkündet, dass die Polaroids nicht als künstlerische Schöpfungen "wahrnehmbar seien". Entschlossen trennt die FAZ den malenden Künstler Balthus vom nicht-künstlerischen Fotografen einer nackten Minderjährigen - obwohl die Polaroids dasselbe Mädchen in denselben Posen zeigen wie die gemalten Bilder – und verschiebt das Problem: "Vielmehr liegt das Skandalon genau dort, wo unter dem Signum "Letzter Studien" die sensationsträchtige Ausbeutung eines greisen Künstler geschieht, …" Der Eindruck bleibt, dass da jemand laut spricht, um die heikle Debatte um Pädophilie in der Kunst zu vermeiden.
Die Frustrierten reagieren mit Vandalismus
Wie man noch energischer mit Kunst umgehen kann, berichtet die Süddeutsche Zeitung. In der Pampa von Texas steht ein Prada-Shop, der kein Laden, sondern das Kunstobjekt eines dänischen Duos ist. Der Kunstverstand der Texaner amüsierte sich damit, Löcher in die Fenster zu schießen, es wurde geschmiert und vandalisiert. Zur Rechtfertigung erschien im Netz ein wirres kunsttheoretisches Manifest, in dem die Süddeutsche vor allem las, dass die Pistolenfreunde sich als Künstler von der etablierten Szene zurückgewiesen fühlten. Die Frustrierten reagierten mit Vandalismus – ein Phänomen, das um sich greift und die SZ zu der Vermutung verleitet: "Es sieht ganz so aus, als sollte sich der Vandalismus am Ende noch als letzter großer Ismus der Moderne etablieren, als letzter Notwehr-Stil des globalen Salon des Refusés." Da loben wir uns unser Leipzig – hier wurde nicht geschossen, hier wurden noch die schärfsten Widersprüche charmant mit Applaus einwattiert.
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