Pornografie-Debatte

"Im Museum wird nicht missbraucht"

Die Bilder "Kirche in Zouteland" (l-r) und "Zon, Kerk in Zeeland" von Piet Mondrian hängen am 30.01.2014 im Museum Bucerius Kunst Forum in Hamburg in der Ausstellung "Mondrian. Farbe". Die Ausstellung ist vom 01.02.2014 bis zum 11.05.2014 für Besucher geöffnet.
"Wenn ich mir im Museum ein Bild ansehe - ein nacktes Kind - dann macht der Kontext klar: Hier geht es nicht um Pornografie oder Pädophilie", sagt Felix Hoffmann. © picture alliance / dpa / Foto: Malte Christian
Moderation: Matthias Hanselmann  · 21.02.2014
Nach Meinung von Felix Hoffmann, Hauptkurator der Berliner Kunstgalerie C/O, sollten Bilder von nackten Kindern und Jugendlichen im geschützten, öffentlichen Raum wie etwa einem Museum gezeigt werden dürfen, wenn sie eingeordnet werden.
Matthias Hanselmann: Felix Hoffmann ist Kunsthistoriker und Leiter des Fotoausstellungshauses C/O Berlin. Die insgesamt 78 Ausstellungen in den ersten elf Jahren von C/O Berlin hatten rund 900.000 Besucher. Diese kamen wegen prominenten Fotografen wie Annie Leibovitz, Robert Mapplethorpe und Karl Lagerfeld, aber auch wegen Ausstellungen wie "100 Jahre Modefotografie". Die Erfolgsstory von CO Berlin soll jetzt im Herbst im legendären Berliner Amerika-Haus in der Hardenbergstraße fortgesetzt werden: Dieses wird gerade aufwendig um- und ausgebaut.
Was ist Pornografie, was ist Kunst? Und was sollte in Museen und anderen Ausstellungsräumen gezeigt werden und was nicht? Darüber habe ich mit Felix Hoffmann vor der Sendung gesprochen, und meine erste Frage: Nacktheit begegnet uns in der Kunst auf Schritt und Tritt, von den griechischen Skulpturen über Rubens bis zur modernen Fotografie. Was erwarten Sie für Ihre Branche, wenn ein Handelsverbot von Nacktbildern von Kindern und Jugendlichen ausgesprochen würde?
Felix Hoffmann: Das ist eine schwierige Frage, weil man eigentlich das Museum ja als Ort begreifen muss, wo bestimmte Debatten möglich sind, Diskussionen um Nacktheit und Diskussionen auch, was Bilder zeigen können und was sie dürfen. Das zeigt auch die Geschichte der Kunst. Also wir haben ja im 19. Jahrhundert so einen Präzedenzfall der Kunstgeschichte, wo zeitgleich im Pariser Salon ein heute weltberühmtes Bild von Manet ausgestellt worden ist, nämlich seine "Olympia", 1863 entstanden und 1864 dann im Salon ausgestellt, und zeitgleich in diesem Salon wird eine Venus-Darstellung von Carbonell gezeigt. Das eine Bild wird aus dem Salon entfernt, das andere Bild wird irgendwie angekauft. Und genau anhand dieser Bilder sieht man, wie irgendwie Nacktheit verhandelt wird: Das eine ist ein Bild, das irgendwie anscheinend eine entblößte Frau zeigt, und das andere Bild zeigt eben eine nackte Frau – und nackt geht halt irgendwie immer.
Hanselmann: Und da fragt man sich natürlich ganz schnell: Worin besteht der Unterschied zwischen entblößt und nackt und was sind die Kriterien?
Kunst als Anregung, über Sachen nachzudenken
Hoffmann: Na ja, diese Kriterien sind wir ja gerade dabei, neu festzulegen, wenn es um die Darstellung von nackten Kindern geht. Und wir haben diese Diskussionen ja auch gehabt in Ausstellungen von Robert Mapplethorpe oder von Larry Clarke oder auch von Nan Goldin, das sind alles Beispiele, wo es um nackte Kinder, am Rande, nicht zentral, aber auch am Rande ging. Und interessanterweise fand eben im Zuge der Robert-Mapplethorpe-Retrospektive bei uns auch eine Selbstzensur statt. Der Nachlass, also der Estate von Robert Mapplethorpe hat Bilder gar nicht bei uns zeigen wollen. Dann habe ich versucht, diese Debatte um diese Kinderbilder und um Nacktheit in den Katalog zu verschieben. Dann haben sie mir den Text zensiert, also haben verboten, dass ich da drüber schreibe.
Hanselmann: Entschuldigung, wer genau hat das zensiert?
Hoffmann: Der Estate von Robert Mapplethorpe, also aus Amerika, weil die Angst hatten vor juristischen Klagen, vor einer Klagewelle.
Hanselmann: Also seiner Rechtsvertretung.
Hoffmann: Also wir haben dann diese Debatte nicht im Katalog führen können und haben sie dann irgendwie versucht zu führen in Form eines Vortrags. Ich habe dann einfach einen Vortrag über diese Frage gehalten: Was kann man eigentlich zeigen in einer Ausstellung? Und ich bin der tiefen Überzeugung, dass wir das Museum als Ort halten müssen, dass das ein Ort ist, in dem wir noch öffentliche Diskussionen führen können, die wir ja an anderen Orten gar nicht mehr führen können. Das Internet ist kein öffentlicher Ort, an dem bestimmte Debatten Aug' in Aug' geführt werden können. Und deswegen ist dieser Museumsort oder ein Ausstellungsort so extrem wichtig.
Hanselmann: Steckt dahinter die Einstellung, Kunst muss alles dürfen?
Hoffmann: Das weiß ich nicht. Kunst muss zu Debatten anregen und Kunst ist vielleicht eine der letzten möglichen Gesellschaftsformen, eine der möglichen Formen, sich über bestimmte Sachen auszutauschen, und vielleicht ist Kunst auch eine Form der Anregung, über bestimmte Sachen nachzudenken. Und genau darum geht es auch.
Der Fall der Balthus-Polaroids
Hanselmann: Über den Unterschied zwischen der Präsentation von Bildern im Internet und im Museum können wir gleich noch ein bisschen genauer reden. Es gibt ja noch einen anderen Fall, der durch die Presse gegangen ist, der das Essener Folkwang-Museums. Da wurde wegen Vorab-Protesten eine Ausstellung abgesagt, es ging um Polaroids von der 8- bis 16-jährigen Anna, die Balthus über acht Jahre gemacht hat. Die waren von ihm gar nicht als Ausstellung gedacht, aber das Folkwang-Museum wollte sie zeigen. Dann gab es Vorab-Proteste, und man hat es wieder zurückgezogen. War das aus Ihrer Sicht eine richtige Entscheidung in Essen?
Hoffmann: Also ich habe mich über diese Entscheidung sowohl des Folkwang-Museums wie auch dann, was die Presse darüber geschrieben hat, furchtbar empört, weil wir diese Bilder jetzt eben gar nicht sehen können. Und ich glaube auch, dass das eine falsche Entscheidung ist, weil wir diese Bilder sehen müssen, um darüber zu diskutieren und dann zu entscheiden, ob auf diesen Bildern Dinge zu sehen sind, die irgendwie ein Problem haben, diese Bilder ein Problem darstellen. Nur wenn wir sie nicht sehen, dann können wir ja uns gar nicht drüber austauschen. Und das greift schon in eine Ebene ein, wo die Bilder eine extreme Wirkmächtigkeit bekommen. Tabus von Bildern bergen in meinen Augen viel größere Probleme, wie sie tatsächlich zu diskutieren und anzusehen.
Hanselmann: Sie haben gerade gesagt, es ist ein Unterschied, ob ein Bild im Internet gezeigt wird oder in einem Museum. Worin besteht der genau, der Unterschied?
"In der Schule lernen wir nicht zu sehen, Bilder zu analysieren"
Hoffmann: Na ja, Bilder sind immer kontextabhängig. Wenn ich mir ein Bild im Museum ansehe, ein nacktes Kind, dann ist es eben der Kontext, der irgendwie ganz klar macht: Hier geht es nicht um Pornografie oder Pädophilie, sondern es findet eine Auseinandersetzung damit statt, vielleicht auch eine Debatte, eine Diskussion. Ich kann das ja im Museum auch entsprechend aufbereiten. Ich habe ja die Möglichkeiten, Texte zu den Bildern zu kombinieren, ich kann auch Begleitveranstaltungen machen und kann das darüber kontextualisieren.
Im Internet ist die Problematik eine ganz andere, und die Diskussion ist auch eine ganz andere, als der Kontext entscheidet. Die Frage, die sich daran auch rankt, ist, wie heute mit Bildern grundsätzlich umgegangen werden kann. Es geht ja nicht nur um die Frage, hängt ein Bild im Museum oder ist es irgendwie im Internet, sondern wir müssen uns ja klar machen, dass wir lernen müssen, mit Bildern umzugehen. Wir lernen in der Schule schreiben, lesen, rechnen, aber wir lernen eben nicht sehen, und wir lernen auch überhaupt nicht, ein Rüstzeug zu haben, um Bilder zu analysieren und sie auch in bestimmte historische Kontexte zu stellen. Und das ist ja auch ein Riesen-Problem.
Hanselmann: Schlagen Sie da eine neue Form des Kunstunterrichts vor?
Hoffmann: Nein, nicht eine neue Form des Kunstunterrichts, sondern eine Stärkung des Kunstunterrichts. Also wir werden in den nächsten 20 Jahren viel mehr mit Bildern zu tun haben, und mit diesen Bildern muss man irgendwie umgehen lernen, und genau darum geht es.
Hanselmann: Deutschlandradio Kultur, das "Radiofeuilleton", ich spreche mit Felix Hoffmann, er leitet das renommierte Ausstellungshaus CO Berlin. Welche Rolle spielt bei diesem Thema, über das wir gerade reden, die Konkurrenz unter den Ausstellungsmachern? Also wird hier auch manchmal sozusagen nach dem Motto "sex sells" kuratiert?
Hoffmann: Nein, das glaube ich nicht. Also ich glaube gar nicht, dass es irgendwie eine Konkurrenz der Kultur oder Ausstellungshäuser geben sollte und dass das auch Sinn macht. Bei CO Berlin gibt es auch den wahnsinnigen Vorteil, dass wir eben nicht öffentlich gefördert sind und wir deswegen noch mal so einen Restraum haben, den andere Häuser gar nicht haben, wie das Museum Folkwang zum Beispiel, das jetzt diese Balthus-Ausstellung absetzen musste, wo einfach der öffentliche Druck viel größer ist, weil da mit Steuergeldern Ausstellungen gemacht werden, die verantwortet werden müssen. Diese Steuergelder müssen irgendwie gerechtfertigt werden. Und dann kommt das Jugendamt und sagt, da könnte ein Problem entstehen, und schon wird eine Ausstellung abgesetzt.
"Es gibt keinen Fall für berechtigte Zensur im Museum"
Hanselmann: Gibt es für Sie überhaupt einen vorstellbaren Fall von berechtigter Zensur in einem Museum?
Hoffmann: Nein. Also es gibt für mich keinen Fall berechtigter Zensur in einem Museum, weil Museen die Orte sind, wo darüber ja nachgedacht werden kann. Also an welchen Orten können wir denn heute noch über Bilder nachdenken? Wo können denn Bilder wissenschaftlich und auch gesellschaftlich, kulturell, historisch so verhandelt werden, dass wir überhaupt wissen, wie Bilder funktionieren?
Hanselmann: Würden Sie so weit gehen, eine Ausstellung zu kuratieren mit Bildern wie denen, die Herr Edathy sich angeblich anschaut, also mit Bildern von nackten Kindern zwischen fünf und 14 Jahren?
Hoffmann: Also ich würde über so eine Ausstellung sicher nachdenken. Ich würde aber die nicht einfach kuratieren. Da gibt es ja eine Differenz. Also ich bin ja jemand, der mit künstlerischen Werken umgeht als Kurator. Ich versuche ja quasi, einen Künstler so als Trainer zu coachen, dass am Ende ein gutes Produkt rauskommt, das in einem Ausstellungsraum perfekt aussieht. Wenn ein Künstler mit diesen Bildern, die sich Herr Edathy angesehen haben mag, umgeht und daraus ein kluges Kunstwerk macht, dann kann ich mir vorstellen, diese Arbeit auszustellen.
Wir kennen diese Bilder von Herrn Edathy, die er sich angesehen haben mag, die kennen wir ja gar nicht. Und da fängt ja das Problem an. Wir kennen diese Bilder nicht, weil sie quasi von einem Staatsanwalt zwar als unbedenklich angesehen werden, aber die sind ja unter Verschluss und wir können … wir wissen ja gar nicht, was da drauf ist. Und mein Plädoyer ist immer: Lassen Sie uns doch diese Bilder angucken, lassen Sie uns die analysieren und wir können vielleicht anders damit umgehen, wie wenn wir sie gar nicht sehen.
"Bilder werden viel stärker, wenn man sie nicht sieht"
Hanselmann: Herr Hoffmann, Sie haben beschrieben, dass Bilder wirkmächtig sind, dass die Wirkmacht eines Bildes abhängig ist von dem Ort, an dem es ausgestellt wird, gezeigt wird oder vielleicht auch gebraucht oder auch sogar missbraucht wird.
Hoffmann: Aber der Museumsraum ist doch kein Raum, in dem irgendwie missbraucht oder onaniert wird. Das ist doch kein Raum, wo irgendwie Missbrauch stattfindet. Wir brauchen doch diese Orte, ob das jetzt ein Museum ist oder eine Universität, wo diese Debatten geführt werden können. Wir sehen doch diese Bilder gar nicht, das ist doch das große Problem, und wie können wir denn über Bilder nachdenken? Das Problem ist doch nicht das Museum, sondern das Problem ist doch das Internet, wo ganz im Privaten Dinge stattfinden, die wir gar nicht mehr kanalisieren können.
Es gibt doch quasi so eine zweite Welt, und diese zweite Welt schafft doch Fragen gerade oder bringt Fragen auf, mit denen wir uns ganz stark beschäftigen müssen in den nächsten Jahren, weil es ja so ist, dass es nicht weniger Bilder werden, sondern mehr Bilder im Internet. Und wir brauchen quasi irgendwelche Resträume. Ich sage ja gar nicht nur, dass das das Museum sein muss, vielleicht ist es auch die Universität oder … Ich habe aber noch relativ wenig Orte im Kopf, wo wir überhaupt darüber nachdenken können. Und Bilder werden viel stärker, wenn man sie nicht sieht.
Hanselmann: Die Meinung von Felix Hoffmann, Hauptkurator von CO Berlin, dem renommierten Fotoausstellungshaus, und das Gleiche nachher auch Thema in unserer Debatte: Sollte man Bilder von nackten Kindern ausstellen, um eine öffentliche Auseinandersetzung damit zu ermöglichen? Sie haben es gehört, Herr Hoffmann befürwortet dies, zumindest in geschützten Räumen wie Museen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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