Aus den Feuilletons

Erschüttert von Bond

Daniel Craig als James Bond in "Spectre"
Daniel Craig als James Bond in "Spectre" © dpa / picture alliance / Sony
Von Arno Orzessek · 07.11.2015
Schauspieler Daniel Craig "würde sich lieber die Pulsadern aufschneiden, als je wieder einen Bond zu spielen", schreibt die "Zeit". Auch die "FAZ" widmet sich dem neuen Bond-Film "Spectre". Unser Autor aber ist angesichts des Streifens bestürzt.
Beginnen wir mit etwas Hübschem. Beginnen wir mit dem Busen Madonnas als junger Frau. Die FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG diente sich am Donnerstag ihren Lesern auf der Titelseite als "Enthüllungsgehilfin" an und zeigte ein Nacktfoto der späteren Pop-Ikone aus dem Jahr 1979. Sie wählte den Ausschnitt indessen so, dass nur das Gesicht, die schwarzlockigen Haare und die magere Schulter zu sehen waren.
Des Lesers derart frisch geweckte Lust auf mehr Haut wurde in leicht verschwitzter Diktion ins Feuilleton verwiesen. Erst dort entledigte sich die FAZ ihrer Keuschheit und enthüllte Madonnas Brüste. So, wie Madonna sie damals als Modell in einem New Yorker Foto-Seminar entblößt hatte. Der Anlass der seltsamen FAZ-Enthüllung war übrigens die Kölner Ausstellung "Madonna – Nudes".
Ganz gern blanke Busen im Blatt hat bekanntlich die Bild-Zeitung. Aber nicht das kümmerte die Feuilletons, sondern der Wechsel an der Spitze: Tanit Koch wird nächstes Jahr neue Chefredakteurin. Der derzeitige Amtsinhaber Kai Diekmann steigt zum Gesamt-Herausgeber der Bild-Gruppe auf.
"Von Diekmanns Gnaden" titelte die besorgte TAGESZEITUNG im Blick aufs künftige Arbeits-Verhältnis der beiden und unterstellte, dass der mächtige Diekmann "eher noch mächtiger" wird; jedenfalls aber in Arbeit bleibt. Das mag manchen grämen, freut laut TAZ-Recherchen aber Diekmanns aparte Haustiere: "Aufatmen bei den Ziegen!"
Härtere Version von Craigs Abneigung gegen Bond
Nach Busen und Bild: Bond, James Bond. Uns selbst hat "Spectre", der neue Streifen, erschüttert zurückgelassen, zumal im Vergleich zum ordentlichen Vorgänger "Skyfall":
Daniel Craig spielt blechern-lustlos; Bond-Girl Léa Seydoux soll eine verstörte Frau geben, gibt aber eine pubertär-verwöhnte Zicke; manche Dialoge nötigen zum Fremdschämen; derweil schreit das Drehbuch zum Himmel. Unser Herumnölen bestätigt immerhin, was in der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG Susan Vahabzadeh berichtete:
"Einen Bond zu drehen, sagt [Regisseur] Sam Mendes, das sei, als manage man ein Football-Team. Alle Fans der Welt beäugen misstrauisch deine Arbeit. Daniel Craig [selbst] hat Gerüchte befeuert, dass er 007 nicht noch einmal spielen will, obwohl er eigentlich unter Vertrag steht."
So die SZ.
Peter Kümmel erzählte in der Wochenzeitung DIE ZEIT unter dem schönen Titel "Kaputt ist nicht genug" eine härtere Version von Craigs Abneigung gegen Bond:
"[Craig] sagte in einer tollkühnen Stunde […], er würde sich lieber die Pulsadern aufschneiden, als je wieder einen Bond zu spielen. Er sei fertig mit der Figur, der Kerl sei das Gegenteil von allem, was ihm, Craig, wichtig sei."
Und Waltz, Christoph Waltz?
Nun, Dietmar Dath, der in der FAZ überraschend freundlich mit "Spectre" umsprang, fand auch Waltz als Bösewicht nicht übel:
"Die Zurückhaltung, die Waltz übt, […] hat einen paradox angenehmen Effekt: Man kriegt von ihm diesmal gleichsam weniger Waltz als sonst, aber dafür mehr Schauspielerei."
Wir sagen dieses Mal nicht: Sehen Sie selbst! Wir sagen: Vergessen Sie's!
Hans Mommsen ohne Antwort auf die Schlüsselfrage
Und wechseln ins ernste Fach. Zum Tod des Historikers Hans Mommsen, dem Experten für den Nationalsozialismus, bemerkte Christoph Jahr in der NEUEN ZÜRCHER ZEITUNG:
"Es ist Mommsen bisweilen vorgeworfen worden, zu wenig Empathie mit den Opfern zu zeigen und die konkreten Täter hinter den abstrakten Strukturen verschwinden zu lassen. Gegenüber der auf individuelle und kollektive Biografien fixierten 'Täterforschung' beharrte er jedoch darauf, dass nur die akribische Durchleuchtung des NS-Herrschaftssystems dessen ungeheure destruktive Dynamik zu erklären vermöge. Auch wenn heute die zentrale Rolle Hitlers wieder stärker betont wird, hat sich Mommsens Sichtweise […] grundsätzlich durchgesetzt."
Was aber längst nicht heißt, dass für Mommsen am Ende alles klar war in puncto NS-Staat und Holocaust.
Im Berliner TAGESSPIEGEL betonte Hermann Rudolph:
"Es gehört eben auch zu diesem Leben, dass Hans Mommsen im hohen Alter einräumte, dass er die Schlüsselfrage der Nachkriegsdeutschen: Wie konnte das passieren? auch nach fünf Jahrzehnten der Beschäftigung […] nicht wirklich erklären konnte."
Sterben und Tod beschäftigte die Feuilletons auch grundsätzlich – nämlich mit Blick auf das am Freitag verabschiedete Sterbehilfegesetz, das die geschäftsmäßige Beihilfe zum Suizid in Deutschland verbietet. Im Vorblick auf die Entscheidung des Bundestags schrieb Eckhard Fuhr in der WELT:
"Wenn man es zuließe, dass das geschäftsmäßige Angebot der Sterbehilfe weiter an gesellschaftlicher Akzeptanz gewinnt, wenn hier also eine 'Normalisierung' einträte, dann wüchse der Erwartungsdruck auf Sterbende, sich einer solchen Ökonomie der Leidensminderung gemäß zu verhalten. Es ist richtig, dagegen ein strafrechtliches Ausrufezeichen zu setzen. Noch wichtiger allerdings ist es, Sterbende immer besser zu versorgen."
Statistik als Verlängerung des Status Quo
Zurück zu den Lebenden - die ja neuerdings, in Zeiten mannigfaltiger Flucht, in Deutschland an Zahl wieder zunehmen. In der SZ warfen Stephan Lessenich und Reinhard Messerschmidt dem Statistischen Bundesamtes vor, bei den "'Bevölkerungsvorausberechnungen'" letztlich immer nur den Status quo in die Zukunft zu verlängern. Und damit einen verbreiteten Irrtum zu unterfüttern.
"Viele Menschen hierzulande wähnen sich immer noch […] auf einer Insel des Wohlstands, der Sicherheit und der Stabilität. Diese Insel wird derzeit nicht etwa, wie die vereinten Demagogen dies behaupten, von einer ‚Flut‘ der Einwanderung 'überschwemmt'. Sie wird vielmehr, aufgrund von tektonischen Verschiebungen in der weltweiten Politik und Ökonomie, die von Deutschland maßgeblich mitangestoßen wurden, an die globale Normalität von Not und Elend, Vertreibung und Flucht, Krieg und Konflikt angeschlossen. Willkommen in der weltgesellschaftlichen Realität des 21. Jahrhunderts",
grüßte die SZ ihre Leser. Wir aber sagen: Tschüss! Und wenn Sie mögen, liebe Hörer, halten Sie es an diesem Sonntag für ein paar ausgelassene Stunden mit der Parole, die in der WELT Überschrift wurde:
"Hoch mit Amore! Nieder mit der Vernunft!"
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