Aus den Feuilletons

Ein "Stück lebendige Filmgeschichte" wird 80

04:11 Minuten
Senta Berger, mit Ohrringen und Lederjacke, lächelt.
Senta Berger verleihe konventionellen Rollen Glamour, urteilt der "Tagesspiegel". © imago / Sven Simon
Von Gregor Sander · 11.05.2021
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Zum 80. Geburtstag von Senta Berger werden in den Feuilletons bereits vorab Lobeshymnen gesungen. Der "Tagesspiegel" nennt sie ein Wesen von einem anderen Stern und die "FAZ" erklärt, was die Schauspielerin ihrer Kollegin Romy Schneider voraushat.
In den Feuilletons ist vom Vermissen die Rede. Urs Bühler bekennt in der NEUEN ZÜRCHER ZEITUNG: "Das Klappern von Schreibmaschinen, das Surren zurückschnellender Wählscheiben: In der Erinnerung (und in alten Filmen) leben Töne und Geräusche fort, die im realen Alltag weitgehend ausgestorben sind." Iris Radisch fügt in der Wochenzeitung DIE ZEIT noch etwas ganz Elementares dazu. Den Liebesbrief!
"Süß hingegen ist für die Liebenden etwas für die Digital Natives womöglich ganz Unvorstellbares: die herrliche Qual einer über viele Wochen und Monate ausschließlich postalisch befeuerten Liebe, das inständige Auf-Briefe-Warten, das nächtliche Zum-Briefkasten-Rennen und die entsetzliche Stille bis zur nächsten Postsendung."
Und da heute alle nur noch Herz-Emojis whatsappen, bespricht die Literaturkritikerin Albert Camus‘ Liebesbriefe, die dieser der spanischen Schauspielerin Maria Casarès schrieb. Das hormonelle Durcheinander brachte den coolen Camus offensichtlich in ganz andere Sphären, oder wie Radisch schreibt:
"Jedenfalls wird Camus, der sich in seinem Werk und seinen Tagebüchern so glanzvoll spröde und desillusioniert zu geben weiß, von Stund an und bis zu seinem Tod teilweise mehrmals täglich entflammt an seine Geliebte schreiben – in den höchsten, wenn nicht allerhöchsten Tönen der Minne, die man sich in der Prosa des 20. Jahrhunderts nur denken kann."

Der Brief ist schön, die Liebe nicht

Auch in der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG wird Minnedienst geleistet. Joseph Hanimann hat die Liebesbriefe gelesen, die Antoine de Saint-Exupéry seiner Frau Consuelo schrieb. Zu lernen ist dabei, dass der Liebesbrief schön sein kann, auch wenn es die Liebe nicht unbedingt ist:
"Die meisten ihrer vierzehn Ehejahre verbrachten die beiden getrennt. Und dies nicht nur, weil Antoine als Flugpilot oft abwesend war, sondern mehr noch, weil der gemeinsame Alltag ihnen sofort zur Qual wurde. Vergebliches Warten des einen auf den anderen, Unberechenbarkeit beiderseits, getrennte Wohnungen, Groll und dann sofort wieder zärtliche Kuschelworte bestimmten ihre Beziehung."
Hanimann empfiehlt die nun bei Gallimard in Paris erschienen Briefe trotzdem, vielleicht, weil Antoine de Saint-Exupéry darin bedauert den "Kleinen Prinzen" nicht seiner Frau gewidmet zu haben oder weil sie ihm schreibt: "Sag mir, dass Du glücklich bist, Tonnio, Liebling, und ich leide geduldig."

"Esoterischer Mumpitz" und "Wehrmachtsmief"

Das Verhältnis der Deutschen zu einem ihrer bekanntesten Künstler kann durchaus als ambivalent bezeichnet werden. Oder wie die SZ titelt: "Joseph Beuys begeistert viele bis heute, andere stören sich an Gehabe und Wehrmachtsmief."
Zum 100. Geburtstag sagt etwa der Beuys-Biograf Hans Peter Riegel in der Tageszeitung DIE WELT: "Das Problem bei Beuys ist, dass man ihn bis heute idealisiert. Wenn man seine Aussagen analytischer betrachtet hätte, dann wäre man sehr schnell drauf gekommen, dass das, was Beuys gesellschaftlich realisieren wollte, esoterischer Mumpitz ist."
Brigitte Werneburg empfiehlt in der TAZ hingegen nüchtern: "Also doch mal die Werke anschauen. Weil man gar nicht mehr weiß: Wie sehr verdankt sich Beuys’ Ruhm seiner Selbststilisierung?"

Ein Wesen vom anderen Stern

Fast einstimmig hingegen sind die Feuilletons beim Geburtstagsständchen für Senta Berger, die am Donnerstag 80 Jahre alt wird. Christiane Peitz zitiert im Berliner TAGESSPIEGEL einen ganz Großen:
"Immerhin sagte Schlöndorff später, sie sei aus Amerika zurückgekommen wie ein Wesen von einem anderen Stern. Dieses Wesen spielt seit Jahrzehnten im Fernsehen, in oft konventionellen Rollen, die sie diskret transzendiert, ihnen Glamour verleiht, und sei es mit einem Seitenblick."
Und genau hier setzt auch Andreas Kilb an, wenn er in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG bekennt: "Wenigen Filmstars ist es geglückt, diese Aura über Jahrzehnte zu bewahren. Aber nur die allerwenigsten haben sie auch auf den Bildschirm hinübergerettet. Insofern nimmt Senta Berger in der deutschen Filmbranche eine Sonderstellung ein. Sie ist das geworden, was die zwei Jahre ältere Romy Schneider nicht werden wollte und konnte: ein Stück lebendige Filmgeschichte."
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