Aus den Feuilletons

Ein feuriger Denkathlet und die Monarchin Merkel

Der Autor und Philosoph Peter Sloterdijk (2015)
Dasein heißt in In-Form-Sein: Der Denkathlet Peter Sloterdijk wird siebzig. © imago/Stephan Wallocha
Von Arno Orzessek  · 01.07.2017
Noch mit siebzig ist der Denkathlet Peter Sloterdijk in Bestform. Derweil siecht Europa mit Merkel als Monarchin, Macron als gestiefeltem Kater und Frankreich auf der Couch der Psychoanalytikerin Julie Kristeva - die Feuilletons der Woche im Rückblick.
Überschriften gibt’s im Feuilleton, die gehören eigentlich in eine Aphorismen-Sammlung. Hier einige aus der vergangenen Woche: "Jeder Blick hinterlässt eine Spur auf den Dingen" – ein Aphorismus der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG im samtigen Rainer Maria Rilke-Sound. "Man kann auch ohne Alkohol Rapper sein" – ein Aphorismus wie ein Zeigefinger, gehoben von der Tageszeitung DIE WELT.
"Nie sind sich die Menschen gleicher, als wenn sie in Reih und Glied stehen" – ein anthropologischer Aphorismus, gediegen bis zur Biederkeit, also typisch NEUE ZÜRCHER ZEITUNG. "Ein Ich hat irgendwie jeder" – ein Aphorismus der Wochenzeitung DIE ZEIT, mindestens so gaga wie geistreich. Der beste Aphorismus stand in der TAGESZEITUNG. Und weil unter Ihnen, liebe Hörer, bestimmt keine Vollpfosten sind, ersparen wir uns jede Erläuterung. Der Aphorismus lautete: "Reflektieren ist was für Leitpfosten."
Ein Sinnspruch, der unwiderstehlich zum konventionellen Teil dieser Kulturpresseschau überleitet. Denn ein stabiler Leitpfosten im Fach Reflektieren, das ist gewiss der Philosoph Peter Sloterdijk. Zu Sloterdijks 70. Geburtstag gratulierte die NZZ mit einem lustigen, leicht bauchbetonten Peter-Foto von 1988 und einer Würdigung von René Scheu. "Sloterdijk, das darf man neidlos anerkennen, ist ein Denkathlet, dessen philosophische Essenz sich in den einen, von ihm geprägten Satz fassen lässt: Dasein heisst in In-Form-Sein."

Hören Sie auch hier Michael Köhler im Gespräch anlässlich Peter Sloterdijks 70. Geburtstag:
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Christian Geyer – einer von drei, vier FAZ-Autoren, die ihre rasende Klugheit nur sehr ungern von jemandem überboten sehen – beckmesserte eher halbfreundlich an Sloterdijks geistiger Performance herum. Und fasste sein Gesamt-Urteil unter dem Titel "Entfesselungskünstler" in einen Satz, der sich so gut wie für auch wider das alternde Geburtstagskind auslegen lässt: "Peter Sloterdijk illuminiert das stellenweise sehr graue Haus der Philosophie in feurigen Farben."

Siechende Monarchen im europäischen Haus

Nicht im Haus der Philosophie, aber sehr wohl im europäischen Haus zu Hause gefühlt hat sich Helmut Kohl. Auch deshalb bestätigte Michael Stürmer in der WELT dem verstorbenen Alt-Kanzler "historische Größe". Weil davon an diesem Wochenende aber genug geredet wird, wenden wir uns der Kohl-Gattin zu. "Macht man sich den Duktus der aktuellen Berichterstattung zu eigen, trägt Helmut Kohls letzte Rache [an seinen Verächtern] seinen eigenen Namen. Und der lautet: Maike Kohl-Richter", lästerte Anja Maier in der TAZ, ließ aber ein Hintertürchen zur Maikes Ehrenrettung offen.
"Als Kohl-Groupie sah […] die Öffentlichkeit [Maike Richter]. Als eine Art Gottesanbeterin, als Fangschrecke, die das wehrlose Männchen ins Visier nimmt, um es, seiner habhaft, schließlich aufzufressen. Was jedoch zwischen dieser obsessiven Hingezogenheit und dem Tod des Mannes lag, wird in dieser Erzählung geflissentlich übersehen."
Indessen befasste sich in der WELT Ronja von Rönne mit Kohls Ex-"Mädchen" Angela, deren Vorliebe für opportunistische Meinungswechsel à la Energiewende von Rönne nie so nennen würde. "Der denkende Mensch ändert [halt] seine Meinung, unterzieht sie einer Langzeitprüfung, schaut, ob sie der unentschiedenen Gegenwart und ihren Ansprüchen noch standhalten kann. Ich begriff Merkel immer als eine Art Monarchin. Als eine vertrauenswürdige Königin in einer konstitutionellen Monarchie. Nie als Alleinentscheiderin, nie als allmächtig, Aber immer unverrückbar an der Spitze." Offenbar stark angesäuselt von Merkel: Ronja von Rönne in der WELT.
Mit Blick auf die Bundestagswahl eher verzweifelnd an Merkel: Die Schriftstellerin Monika Maron in der NZZ. "Wenn ich […] wähle, werde auch ich wieder Merkel gewählt haben und damit eine Politik, die ich für unheilvoll halte. Denn eigentlich gehört ich zu denen, die neuerdings als rechts bezeichnet werden. So steht es jedenfalls in den Zeitungen. Wer so denkt wie ich, ist rechts, behaupten sie. […] Und nun zermartere ich mir den Kopf, wie das passieren konnte. Ich bilde mir ein, ähnlich vernünftig zu sein wie früher, als ich nicht mehr links, aber noch nicht rechts war." Mit sich selbst und Merkel im Unreinen: Monika Maron in der NZZ.

Die Anti-Politik des schneidigen Macron

Dass sich Angela Merkel mit Emmanuel Macron in gutem Einvernehmen befindet, das haben die Bilder von der Kohl-Verewigungsfeier nahe gelegt. Der schnittige Macron aber bekam es in der FAZ ordentlich um die Ohren. Unter dem höhnischen Titel "Da kommt Europas gestiefelter Kater" behauptete das Autoren-Duo Pascale Fautrier/Claus Josten über Macron: "Der neue Präsident betreibt keine Post-, sondern Anti-Politik."
Die Begründung: "Statt der alten demokratischen Opposition zwischen rechts und links ließ […] [Macrons] Operation ‚Extremes Zentrum‘ den Franzosen scheinbar nur noch die Wahl zwischen Finanzwirtschaft oder Faschismus. Und die Ironie ist: Macrons ‚Nicht rechts, nicht links‘ wurde schon immer von den Rechtsextremen reklamiert. […] Die Offensive des ‚Extremen Zentrums‘ hat zum Ziel, jedwede Kritik an der schönen neuen Welt des Neoliberalismus von vorneherein zu diskreditieren", polemisierten die FAZ-Autoren Fautrier und Josten.
Die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG besucht übrigens die französische Psychoanalytikerin und Philosophin Julie Kristeva in deren schicker Pariser Wohnung und wollte von ihr wissen: "Angenommen, auf dieser Couch säße Frankreich und fragte Sie als Analytikerin um Rat. Was würden Sie dem Land sagen?" Antwort Kristeva: "Erstmal würde ich das Land bitten, wieder aufzustehen und ins Behandlungszimmer nebenan zu gehen."
Okay, wir haben uns also mal wieder im Politischen verlaufen. Schon klar, dass das den Kulturpuristen unter Ihnen nicht so behagt, liebe Hörer. Aber falls Sie wissen wollen, ob das mit unserem Politik-Faible auch mal aufhört, müssten wir Ihnen mit einer Überschrift in der SZ antworten: "Es geht ewig so weiter."
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