Aus den Feuilletons

Die Maus ist nicht-binär

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Die Maus aus der Sendung mit der Maus mit einer Geburtstagstorte.
Seit der ersten Ausgabe der Lach- und Sachgeschichten am 7. März 1971 erklärt die Maus Jung und Alt die Dinge des Lebens. Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag! © WDR / Trickstudio Lutterbeck
Von Tobias Wenzel · 06.03.2021
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Vor 50 Jahren erklärte uns die Maus zum ersten Mal die Welt. Seitdem kommen wir aus dem Staunen nicht mehr raus. In der „Süddeutschen Zeitung“ wurde nun über ihr Geschlecht gemutmaßt.
"Was fehlt, ist das Publikum", schrieb Andreas Kilb melancholisch in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG über die Berlinale in Corona-Zeiten, als Streamingausgabe für Branchen- und Medienvertreter. Ihm fehle das Publikum überhaupt nicht, gesteht Wolfgang Höbel nun im neuen SPIEGEL und schwärmt von der Filmsichtung im Homeoffice: "Schnell vorspulen, das Finale zuerst anschauen, die besten Szenen 15-mal wiederholen, all das ist nun ganz leicht."
Hanns-Georg Rodek schrieb in der WELT über den Gewinnerfilm "Bad Luck Banging or Loony Porn" des rumänischen Regisseurs Radu Jude, den der Kritiker mit "Pechbumsen oder Bekloppter Porno" übersetzte: "Die Pandemie, die Maskenpflicht, sie wirken bei Jude wie ein Wahrheitsserum, das all die tiefsitzenden, von öffentlichem Meinungsdruck nur überdeckten Instinkte und Vorurteile zum Vorschein bringt."
Nicht nur dieser Satz, sondern überhaupt die Feuilletons dieser Woche brachten den Meinungsdruck bis zur Selbstzensur zum Ausdruck, schrieben über Identitätspolitik und den Streit darüber. Selbst beim Thema "Sendung mit der Maus" wurde es politisch korrekt. Die wird an diesem Sonntag 50. Die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG fragte "Welches Geschlecht hat die Maus?" und antwortete: "Eigentlich ist die Maus nicht-binär." Soll heißen: Die Maus empfindet sich als männlich und weiblich.

Wer darf eine schwarze Lyrikerin übersetzen?

Wie Marieke Lucas Rijneveld. Die niederländische Autorin sollte das Gedicht der jungen schwarzen US-amerikanischen Lyrikerin Amanda Gorman übersetzen, das Letztere bei der Amtseinführung von Joe Biden vorgetragen hatte. Dann aber kritisierte eine Aktivistin in einer niederländischen Zeitung, dass keine schwarze Übersetzerin den Auftrag erhalten hatte. Daraufhin machte Rijneveld einen Rückzieher.
Catrin Lorch von der SZ sprach von einer doppelten Entmündigung: der von Rijneveld und vor allem der von Amanda Gorman. Gorman sei "ungefragt" dazu "verurteilt" worden, "vor allem als Schwarze wahrgenommen zu werden". Die Frage "Wer darf eine schwarze Lyrikerin übersetzen?" schade der Kunst.
Der Verlag Hoffmann und Campe hat zur Übertragung von Gormans Gedicht ins Deutsche gleich drei Übersetzerinnen eingeladen. Na ja, eigentlich nur eine Übersetzerin: die weiße Uda Strätling. Die schwarze Journalistin und Rassismusexpertin Hadija Haruna-Oelker und die deutsch-türkische Netzaktivistin Kübra Gümüşay seien dagegen bisher nicht als literarische Übersetzerinnen in Erscheinung getreten, verriet Mara Delius in der WELT und fragte:
"Warum sollte eine deutsche Rassismusforscherin besser übersetzen können als eine renommierte literarische Übersetzerin, die seit Jahren Texte aus dem Amerikanischen übersetzt, die unter anderem von Rassismus handeln?" Ende März, wenn das Buch erscheint, kann dann jeder überprüfen, ob dieses Übersetzungstrio gut funktioniert oder nur politisch korrektes Mittelmaß hervorgebracht hat.

"Ich halte diese kollektiven Identitäten für die Pest"

"Umfragen zeigen: Für die gegenderte Sprache als künftige Norm gibt es keine Mehrheit im Land", heißt es in der Titelgeschichte des neuen SPIEGEL zum Kulturkampf um Gendersternchen und Co. Eine Minderheit, eine akademische Elite, macht mobil für die vermeintlich gute Sache, auch in den Medien. Journalismus vermengt sich mit Aktivismus. "Ich halte diese kollektiven Identitäten für die Pest", zitiert in einem anderen Artikel der SPIEGEL die Politikwissenschaftlerin Gesine Schwan.
Welchen Schaden Identitätspolitik in der Gesellschaft anrichten kann, beschrieb in der WELT Bari Weiss, die Frau, die die "New York Times" verließ, weil sie dort eine Verengung des Meinungskorridors beobachtete. In den USA sei Selbstzensur an der Tagesordnung, ausgelöst durch "Angst vor der illiberalen Linken" und deren Cancel Culture, schrieb Weiss.

Hexenjagd auf Greg Patton

Sie verwies auf den Biologen Bret Weinstein, demzufolge es vier Gruppen gebe: "die wenigen, die wirklich Hexen jagen wollen, eine große Gruppe, die dabei mitzieht, eine noch größere Gruppe, die dann schweigt – und eine winzige vierte Gruppe, die sich solcher Jagd widersetzt. Die letzte Gruppe, so Weinstein, 'wird wie von Zauberhand zu Hexen'. Die Freiheit hängt von der Bereitschaft ab, in solcher Lage einen Besenstiel zu ergreifen."
Greg Patton wurde Opfer einer solchen Hexenjagd. Der Professor für Wirtschaftskommunikation hat, schrieb Bari Weiss weiter in der WELT, in einem Masterkurs an der University of Southern California den Gebrauch von Füll- und Überbrückungswörtern wie "ähm" thematisiert und ein Beispiel für ein solches Wort im Chinesischen genannt.
"Dessen Aussprache ähnelt einem englischen Wort für eine rassistische Beleidigung", berichtete Weiss. "Einige Studenten schrieben daraufhin einen Brief an den Dekan, in dem sie ihren Professor mangelnder Achtsamkeit beschuldigten. Statt ihnen die Meinung zu sagen, kapitulierte der Dekan: 'Es ist für die Fakultät schlicht inakzeptabel, dass im Unterricht Wörter gebraucht werden, die ausgrenzen und die mentale Sicherheit unserer Studenten beeinträchtigen können.' Patton durfte den Kurs nicht mehr geben."
Hoffentlich verstehen Sie, liebe Hörer, nun den harmlosen Satz "Frag die Maus!" nicht falsch, nämlich als Aufruf zum Sex mit ihr. "Gibt es eine Frage, die die Maus nicht beantworten kann?", wollte die SZ wissen. Ja, das komme vor, antwortete das Team der "Sendung mit der Maus": "Wie stopfen wir das Ozonloch? Wo wohnt Gott?"
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