Streit um Amanda-Gorman-Übersetzung

"Es geht nicht um Hautfarbe, sondern um Erfahrungswelten"

06:34 Minuten
Die Lyrikerin Amanda Gorman steht am Rednerpult während der Amtseinführung von US-Präsident Joe Biden und spricht zum Publikum.
Die Lyrikerin Amanda Gorman während der Amtseinführung Joe Bidens © picture alliance/ abaca/ Cnp/ Abaca/ Chris Kleponis
Marion Kraft im Gespräch mit Timo Grampes · 02.03.2021
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In den Niederlanden sollte eine weiße Übersetzerin ein Gedicht der Schwarzen Lyrikerin Amanda Gorman übersetzen. Das sorgte für Streit. Die afro-deutsche Übersetzerin Marion Kraft kann die Argumente verstehen.
Amanda Gorman ist seit ihrem Auftritt bei der Amtseinführung Joe Bidens weltberühmt. Sie war mit 22 Jahren die jüngste Lyrikerin, die je bei einer Inauguration in den USA sprechen durfte. Ihr Werk soll nun unter anderem ins Niederländische übersetzt werden.

Übersetzerin zeigt Verständnis

Der zuständige Verlag Meulenhoff hatte damit zunächst Marieke Lucas Rijneveld beauftragt. Rijneveld war im vergangenen Jahr mit dem International Booker Prize ausgezeichnet worden – für die Übersetzung des von Rijnevelds selbst verfassten Debütromans "De avond is ongemak", im Deutschen unter dem Titel "Was man sät" erschienen.
Nun hat Rijneveld den Auftrag zurückgegeben, nachdem Kritik daran laut geworden war, dass der Verlag keine Schwarze Übersetzerin für Gormans Gedichte engagiert hatte. Rijneveld selbst äußerte dafür Verständnis. Der Verlag will nun ein Übersetzungsteam engagieren.

Der Literaturbetrieb bevorzuge Weiße

Die afro-deutsche Übersetzerin Marion Kraft findet die Kritik am Verlag grundsätzlich nachvollziehbar. Es gehe dabei allerdings nicht um die Hautfarbe als solche, sondern "um Selbstdefinition, Identitäten und Erfahrungswelten. Und es geht auch darum, dass es auch genügend People of Color-Übersetzerinnen, -Autorinnen, -Expertinnen gibt, die sich da vielleicht eher hineinfinden können."
Beim Übersetzen gehe es schließlich nicht nur um Sprache, sondern auch darum, einen Inhalt nachzuempfinden.
"Kann sich in einer weißen Mehrheitsgesellschaft eine weiße Übersetzerin tatsächlich in die Erfahrungswelt einer Schwarzen Autorin einfinden oder die sprachlichen Sensibilitäten zur Verfügung haben, um nicht an einigen Punkten für einen Teil der Leserschaft verletztend zu sein?", sagte Kraft.
Der Fall zeige ein grundsätzliches Problem im Literaturbetrieb: Es werde zunächst automatisch nach weißen Expertinnen gesucht und gar nicht daran gedacht, dass es auch andere geben könne.

Es gibt auch Kritik an der Entscheidung

Der Übersetzer Carsten Sinner kann die Argumentation, Übersetzer müssten derartige Voraussetzungen mitbringen, um sich einfühlen können, nur bedingt nachvollziehen. Denke man die Forderungen zu Ende, könnten etwa Schwarze nicht Bücher von Weißen, nur Kommunisten Bücher von Kommunisten und nur Frauenfeinde frauenfeindliche Autoren übersetzen. Die Argumentation führe in eine Sackgasse.
Das komplette Gespräch mit Carsten Sinner können Sie hier hören:
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