Aus den Feuilletons

Der Dichter der "Todesfuge" starb vor 50 Jahren

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Schwarzweißporträt von Paul Celan
Tragischer Zirkel der Kränkung: "Wer seine Dichtung angreift, greift ihn selbst auf ganz umfassende Weise an“, schreibt die "NZZ" über Paul Celan. © Richard Koll / dpa / picture alliance
Von Gregor Sander · 19.04.2020
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Die Feuilletons beschäftigen sich mit Paul Celans 50. Todestag. Durch alle Artikel zieht sich das schwierige Verhältnis der Deutschen zu einem ihrer wichtigsten Dichter - ein Verhältnis, das von beiden Seiten aus getrübt war.
Der 50. Todestag von Paul Celan beschäftigt die Feuilletons und Gregor Dotzauer ist sich im Berliner TAGESSPIEGEL sicher:
"Um den ganzen Zwiespalt seiner dichterischen Existenz zu begreifen, war Abstand bitter nötig. Das halbe Jahrhundert, das seit Paul Celans tödlichem Sprung in die Pariser Seine am 20. April 1970 vergangen ist, hat ihn aus den Himmeln einer bildtrunkenen, von Neologismen und Wortpartikeln flirrenden, sich scheinbar selbst genügenden Poesie immer weiter auf die Erde zurückgeholt."

Der lange Weg der Deutschen zu Paul Celan

Das schwierige Verhältnis der Deutschen zu einem ihrer wichtigsten Dichter zieht sich durch alle Artikel, und dass dieses Verhältnis von beiden Seiten aus getrübt war, betont Paul Jandl in der NEUEN ZÜRCHER ZEITUNG: "Nur der echte Dichter kann sagen, was wahr ist, und so gerät Paul Celan in einen tragischen Zirkel der Kränkung. Wer seine Dichtung angreift, greift ihn selbst auf ganz umfassende Weise an."
Zum Todestag sind eine Vielzahl Bücher erschienen und so schreibt Christoph Bartmann in der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG zu Thomas Sparrs "Todesfuge. Biografie eines Gedichts": "Es dauerte lange Jahre, bis die ‚Todesfuge’ endlich ihre deutschen Leser fand. Übersetzungen in wichtige Weltsprachen kamen spät und wurden dem Original oft nicht gerecht."
Der Germanist Wolfgang Emmerich, dessen Buch "Nahe Fremde" ebenfalls das Verhältnis "Paul Celan und die Deutschen" beleuchtet, betont im Interview mit dem TAGESSPIEGEL, dass dieser durch die Reduzierung auf sein wohl berühmtestes Gedicht "Todesfuge" nur noch Gedichte in einer "graueren Sprache" schreiben wollte, dass er nicht mehr "musizieren" wollte. Aber: "Zum Glück ist Celan die ‚Scheidung zwischen Lyrik und Tonkunst’ nicht gelungen", so Emmerich.

Das auffällige Schweigen der Intellektuellen

In der NZZ zeigt sich der Herausgeber der Wochenzeitung DIE ZEIT Josef Joffe unzufrieden: "Die Coronakrise ist auch eine Krise der Intellektuellen: Ihnen fällt nicht viel Kluges ein", behauptet er und nimmt sich dann die üblichen Verdächtigen vor: "Zum Beispiel Slavoj Žižek, der hurtige Allround-Opinionator. Er beschwor sogleich das ‚Ende der Welt, wie wir sie kennen’. Her müsse ein neuer ‚Kommunismus’, eine ‚globale Organisation’, die den Planeten endlich von den üblichen Verdächtigen wie dem Kapitalismus reinigen werde."
Beweise, klagt Joffe, habe Žižek allerdings keine. Die fehlen ihm auch bei anderen: "Hans Ulrich Gumbrecht fragt derweil: ‚Könnte der so heftig begrüsste Notstands-Staat unser Staat der Zukunft werden?’ Der Universal-Deuter Peter Sloterdijk weiss es genau. ‚Das westliche System’, verrät er in ‚Le Point’, ‚wird sich als genauso autoritär wie das chinesische entpuppen.‘"
Ihnen allen rät der ZEIT-Herausgeber zur Mäßigung und vertraut auf die Demokratie: "Im Notstand blicken die Bürger sehr wohl auf den Staat, aber nicht, um ihn anzubeten. ‚Vater Staat’ ist nicht die Apotheose, sondern eine schützende Versorgungs- und Versicherungsagentur", so Joffe und betont: "Wenn er nicht liefert, ziehen wir ihn genauso vor Gericht wie eine übergriffige Regierung."

Wo bleibt die religiöse Führung?

Unzufrieden zeigt sich der Publizist Michael Wolffsohn in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG auch mit den religiösen Führern:
"Ich jedenfalls habe keine theologisch tiefgehende Interpretation dieser Pandemie seitens führender Geistlicher registriert. Diese Tatsache ist umso verstörender, als sich gerade die religiösen Spitzenrepräsentanten aus Judentum, Christentum und Islam sonst zu fast allem und jedem zu Wort melden", so Wolffsohn, der dann auch konkret wird:
"Ich denke an den Ratsvorsitzenden der Evangelischen Kirche in Deutschland, Bischof Bedford-Strohm, an Münchens Kardinal Marx, Israels Oberrabbiner oder iranische Mullahs."

Friedrich Küppersbusch lobt Angela Merkel

Lob hingegen erhält eine, die viele in den letzten Monaten schon abgeschrieben hatten, und das ausgerechnet von Friedrich Küppersbusch in der TAZ: "Noch kein deutscher Kanzler ist freiwillig abgetreten, und keiner bekam zum Abschied viel Applaus. Merkel ist nah am zwei zu null."
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