Buchmesse ohne Bücher

Die Frankfurter Buchmesse dominierte diese Woche die Feuilletons. Dabei ging es nicht nur um Literatur: Die "Süddeutsche Zeitung" sah sich die Stände der Länder genauer an - und machte niederschmetternde Beobachtungen.
"Peter Sloterdijk macht in Erotik", lesen wir in der neuen FRANKFURTER ALLGEMEINEN SONNTAGSZEITUNG. Sloterdijk, Peter? Der Philosoph? "Sloterdijk war nicht als Philosoph, sondern als Schriftsteller eingeladen worden", klärt uns da gleich Julia Encke auf, "um aus seinem Erotikroman mit dem unerotischen Titel 'Das Schelling-Projekt' vorzulesen, der im Mai nächsten Jahres erscheinen soll". Geschehen so beim "Kritikerempfang"des Suhrkamp Verlages zur Frankfurter Buchmesse:
"Mit großer Selbstgewissheit nuschelte er vor sich hin, während in der ersten Reihe Männer mit Hornbrillen die Augen schlossen. Zu verstehen war, dass es sich um so etwas wie Sex mit Fremdwörtern handelte."
Nun wäre es ja auch noch schöner, Kollegin Encke, wenn Philosophen und Soziologen so schön verständlich schreiben würden, wie Sie. Ob Martin Oehlen von der BERLINER ZEITUNG zu den Hornbrillenmännern in der ersten Reihe gehörte beim Sloterdijkschen Fremdwörter-Porno, wissen wir nicht; er hat auf jeden Fall "einige Gluckser im Auditorium" wahrgenommen und seinen Umbruchredakteur hat das Ganze so mitgenommen, dass in der Überschrift zum Artikel von "angeberischen Philsosophen" die Rede war. Aber vielleicht ist "Philsosophen" ja auch nur wieder ein neues Fremdwort aus den Sozialwissenschaften.
Militaristische Kinderbücher und leere Regale
"Es gibt einige niederschmetternde Stände", berichtete die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG von der Buchmesse:
"Der russische zum Beispiel: Großrussische Klassiker, militaristische Kinderbücher, dazu Klassiker und etwas Ballett. Saudi-Arabiens Exponate passen in eine Handtasche. Aber der Gipfel ist Iran. Der Pavillon: Wunderschön. Helles Holz, blaue Kacheln von Moscheen auf Fotos, große Lampen. Jedoch: Alles leer, abgesperrt, aus Wut über Salman Rushdie, der die Messe eröffnet hat."
Und zwar bei einer Pressekonferenz, die für die NEUE ZÜRCHER ZEITUNG "die politischste, die bewegendste und eine der bemerkenswertesten Pressekonferenzen überhaupt und seit langem" war. "Nach Rushdies Worten bewährt sich die Kunst als Gegenmacht zu den politischen Gewalthabern und Diktatoren", so die SÜDDEUTSCHE, "auch in ihrer längeren Dauer und andauernden Gegenwart". Da wundert es nicht, wenn die iranischen Verleger auf Druck ihrer heimischen Ayatollahs den Rückzug von der Bücherfront antreten mussten.
"Die Buchmesse", stand in der NEUEN ZÜRCHER, "hat mit den Flüchtlingen ihr Thema gefunden". Erste Bücher zum derzeitigen Thema Nummer Eins der deutschen Politik gibt es schon. Und: "Flüchtlinge haben", schrieb Roman Bucheli, "freien Eintritt zur Messe, sie werden von muttersprachlichen Paten durchs Gelände geführt. Gemeinsam mit Partnern organisiert die Messe des Weiteren das Projekt 'Bücher sagen Willkommen', um Asylsuchenden leichten Zugang zu Lern- und Lesematerial zu ermöglichen und ihre Integration zu befördern".
Literaturpreis für afrodeutschen Autor
Und wer weiß, wie viele von denen eines Tages – in 20 oder 30 Jahren – einen deutschen Literatur- oder Kulturpreis bekommen? "Als erster Deutscher afrikanischer Abstammung hat der aus Äthiopien gebürtige Schriftsteller Asfa-Wossen Asserate den Jacob-Grimm-Preis Deutsche Sprache erhalten", erfuhren wir aus der NEUEN ZÜRCHER über den Mann, der 1948 in Äthiopien geboren wurde und seit 1972 in Frankfurt am Main lebt. Und dessen Buch "Manieren" vom Börsenverein des Deutschen Buchhandels vielleicht mal kostenlos an die Pegida-Demonstranten verteilt werden sollte. Aber, wer Galgen schwenkt, dem liegt das Lesen möglicherweise gar nicht so.
"Selbst öffentliche Christen bezeichnen Flüchtlinge als 'Unrat'", war in Christ und Welt zu lesen, der Beilage der Wochenzeitung DIE ZEIT. "Wer hier leben will, muss sich ans Grundgesetz halten", schrieb Christiane Florin:
"Wer hier schon lebt, allerdings auch. Die Kanzlerin hält sich daran, auch wenn es für manchen eine Zumutung ist. Die Bundesrepublik ist nun einmal nicht die Verlängerung der rassenreinen NS-Volksgemeinschaft unter Einmischung parlamentarischer Mittel."
Das war fast schon ein Plagiatchen – nach dem Satz von Clausewitz, wonach der Krieg die Fortsetzung des politischen Verkehrs mit Einmischung anderer Mittel ist. Clausewitz, Carl? Der große Heeresreformer aus dem alten Preußen, das seine Grenzen für Flüchtlinge öffnete – weil nichts besser für Preußens Wirtschaft war.
Was ist schön an Deutschland?
"Als Antwort auf die Flüchtlingswelle suchen manche nach dem verlorenen Nationalen in der Nationalkultur. Es ist eine Fahndung im Nebel", befand die Tageszeitung DIE WELT. "Das Deutsche hat nie sagen können, was deutsch an ihm ist", schrieb Hans-Joachim Müller:
"Wenn es stimmt, dass Heimat ist, wo noch niemand war, dann stimmt eben auch, dass Heimat keine Grenzen hat und mit jedem Flüchtling, der zu uns kommt, neu entsteht."
Und "wie wird man Patriot?" – fragen wir da: so wie das der siebenjährige Sohn der Theologin Petra Bahr getan hat. "Mama, Deutschland ist auch schön wegen der Ostsee, der Legosteine und der ICEs, wenn sie pünktlich sind", hatte der kluge Junge befunden und Mama, die Kolumnistin von Christ und Welt ist, macht nun ein Alphabet auf von allem, was so schön ist an Deutschland.
"A wie Äpfel aus dem Bremer Land", schrieb Petra Bahr, "am besten gebacken mit Vanillesoße. B wie Butter und Brot in 300 Sorten und Johann Sebastian Bach. C wie Christen, immer noch ziemlich viele, D wie die deutsche Sprache. Wenn nur die Rechtschreibung nicht wäre."
Und wenn Igor Levit nicht wäre, auch ein Zuwanderer: aus Russland – und "einer der besten Pianisten der Gegenwart", wie es in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN SONNTAGSZEITUNG heißt.
"Bach gehört nicht nur den Deutschen", sagt er im Interview: "Bach schreibt ein zutiefst menschliches Werk."