Aus den Feuilletons

Blick in die Trutzburg

Der graue Neubau spiegelt sich in einem Autodach. Am blauen Himmel sind weiße Wolken.
Der Neubau des Bundesnachrichtendienstes in Berlin am 5.9.2015. © Paul Zinken / dpa
Von Ulrike Timm |
Bevor die Arbeit im neuen BND-Gebäude in Berlin richtig losgeht, durfte die Presse sich ein Bild von dem Neubau machen. Dem Vertreter des Berliner "Tagesspiegels" gefiel es recht gut. Die "Süddeutsche Zeitung" meint, die Architektur mache Angst.
Pssst. Nachrichten aus dem Hochsicherheitstrakt, nur dieses eine Mal möglich… Platz für acht Reichstage! Vorne zwei falsche Palmen und jede Menge echter Beton.
Eine kleine Handvoll Journalisten durfte die neue Trutzburg des Bundesnachrichtendienstes betreten, bevor 4000 Mitarbeiter einziehen und die Tore fest verschlossen werden – die neue BND-Zentrale ist ein Gebäude, in dem es, nun ja, naturgemäß keinen Publikumsverkehr geben wird. Die Entscheidung, den BND vom oberbayerischen Pullach ins Zentrum der Hauptstadt zu verlegen, fiel 2003.
"Der Geheimdienst sollte näher an der Regierung, aber auch näher an der Gesellschaft sein. Wie Letzteres überhaupt möglich sein kann, bei einer Behörde, in der Verschwiegenheit Grundvoraussetzung ist, blieb von Anfang an das größte Geheimnis. Vermutlich glaubten nicht mal die Beteiligten daran, jedenfalls verschwand die Idee einer öffentlich zugänglichen Ladenzeile mit kleinen Geschäften, Dienstleistern, Cafés und Restaurants noch vor dem ersten Spatenstich 2008 spurlos", lesen wir in der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG.
Und die zwei künstlichen Palmen?
"Der lange kursierende Verdacht, darin versteckten sich in Wahrheit Mobilfunkmasten, hat sich mittlerweile als falsch erwiesen", berichtet der TAGESSPIEGEL.

"Gigantische Vereinzelungsanlage"

Die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG lässt das lieber offen. Auch die Meinung zur Architektur dieses milliardenschweren Baus fällt grundverschieden aus.
"Im Innern ist es hell und freundlich, wie heutzutage jede Firmenzentrale aussehen will",
meint der TAGESSPIEGEL und gibt ein schmuckes Foto des lichtdurchfluteten Atriums bei, das für die Kollegin der SÜDDEUTSCHEN eine "antiseptische Ruhmeshalle" ist. Sie sieht im BND- Gebäude eine "gigantische Vereinzelungsanlage" und "damit das genaue Gegenteil dessen, was moderne Firmen gerade für ihre Mitarbeiter planen."
Und weiter gar:
"Es ist die Architektur, die hier Angst macht. Im Herzen einer Demokratie hat sie nichts verloren."
Und die Pressebeschauerin kann nicht wie sonst bei konträren Positionen frohgemut dazwischen posaunen Geh’n-Sie-doch-hin-und-gucken-sie-selber, is ja zu, das Ding!
Der TAGESSPIEGEL raunt:
"Der große Lagebildschirm ist verhüllt; auch er ein Geheimnis, mal sehen, ob es im Facebook- und Instagram-Zeitalter tatsächlich ein solches bleiben wird."

Der Woody-Zyklus

Es wird nie einen schicken, in der BND-Zentrale gedrehten Spionagethriller geben, mit und ohne Mobilfunkmast in der Betonpalme, das steht fest! Aber für Woody Allen hätte als Kulisse wohl sowieso nur eine BND-Zentrale mit Ladenzeile und Cafés gepasst – der Altmeister eröffnet zum dritten Mal und wieder außer Konkurrenz die Filmfestspiele von Cannes.
"Auf Woody ist Verlass", denn sein Drehzyklus, verlässlich wie ein Schweizer Uhrwerk, passt in den Festivalzyklus, erklärt uns die WELT. Der Woody-Zyklus jedenfalls
"beginnt mit den Dreharbeiten im Herbst, in den dunklen Monaten wird der Film fertig gestellt, und im Sommer hat er irgendwann Premiere; währenddessen wird der nächste Allen vorbereitet."

"Routiniertes Alterswerk"

Dem neuen Woody-Allen-Film "Café Society" gibt die WELT so ungefähr eine zwei minus, während die FAZ lakonisch schreibt:
"Es geht wie immer los, und es geht wie immer weiter."
Oder auch: gähn.
Die TAZ dagegen spricht von "gelungenen Witzen zur jüdischen Identität" und fällt ein salomonisches Kritikerurteil:
"Die eher bekannte Geschichte, üppige Kulissen und einigermaßen vorhersehbare Entwicklungen machen den in stilvoll gedeckten Farben gehaltenen Film zu einem keinesfalls schlechten, aber vorwiegend routinierten Alterswerk des in Hollywood stets gern gesehenen Gasts!"
Aha. Aber immerhin: Wenn Sie von der BND-Zentrale innen nix sehen und wahrscheinlich ungeheuren Ärger kriegen, falls Sie die künstliche Betonpalme erkrabbeln und bei drei nicht von derselben sind – den neuen Woody Allen Film können Sie problemlos selber gucken …
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