Aus den Feuilletons

Woody Allen, der "Schmetterling unter Galgenvögeln"

Woody Allen sitzt an einem Tisch und hält einen Stoffhut in der Hand.
Der US-amerikanische Filmregisseur Woody Allen bei der Präsentation seines Films "Irrational Man" am 15. Mai 2015 in Cannes © picture alliance / dpa / Ian Langsdon
Von Arno Orzessek · 05.12.2015
Zum 80. Geburtstag Woody Allens gratulierten Deutschlands Feuil­le­to­nisten dem "König der Komiker". Mit dem Theaterregisseur Luc Bondy ist diese Woche leider ein anderer großer Lust-Macher gestorben.
Sie werden es mitbekommen haben, liebe Hörer:
Beglückt von der Geburt seiner Tochter Max, will der Facebook-Gründer Marc Zuckerberg der Welt mit 45 Milliarden Dollar unter die Arme greifen – wenn auch erst im Laufe der Zeit und nicht etwa cash, sondern in Aktien.
Die TAGESZEITUNG hat daraufhin rasch ausgerechnet, dass sich Zuckerberg von selbiger Summe auch "64,6 Mrd. Kilo Zucker (bei Aldi)", "6x das Saarland (grob geschätzt)" oder "12x das One World Center in New York" hätte kaufen können...
Was die FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG wohl auch nicht davon abgehalten hätte, Zuckerberg – der seine gute Tat in einem kitschigen Brief an Klein-Max ankündigt hatte – "persönlichen Weltmachtanspruch" zu unterstellen.
"[Der Facebook-Gründer] sitzt [...] auf dem größten trojanischen Pferd seit den Zeiten des Odysseus. Mit untrüglichem Gespür für den richtigen Moment, mit dem richtigen, durch und durch sentimentalen Ton und mit seiner Miene der Unschuld vom Lande macht Mark Zuckerberg der Welt ein Danaergeschenk. Wir bekommen scheinbar alles von ihm. Er bekommt dafür nur eine Kleinigkeit – alle unsere Daten, also die digitale Blaupause unserer Existenz. Er weiß alles über uns. Doch wir dürfen sicher sein [...], dass wir bei ihm in besten Händen sind. Denn er schafft eine bessere Welt",
höhnte der FAZ-Autor Michael Hanfeld.
Woody Allen, der "Schmetterling unter Galgenvögeln"
Womit wir – von einer 45 Milliarden-Dollar-Spende ausgehend – schon wieder beim Schlechten in der Welt angelangt wären...
Würden wir nicht vorher Woody Allen zum 80. Geburtstag gratulieren.
Im Berliner TAGESSPIEGEL feierte Peter von Becker den "König der Komiker".
"Woody Allen, obwohl als Genie längst ein künstlerisches Schwergewicht, ist im amerikanischen Kino noch immer der Schmetterling unter Galgenvögeln. Ein komödiantischer Außenseiter, der neben den Untiefen auch alle dunkleren Abgründe kennt in der Comedie humaine. Für die Amerikaner, westlich der Ostküste und östlich der Westküste, ist der Europäer in New York – für uns Europäer der Amerikaner in uns."
Die Tageszeitung DIE WELT beantwortete unter dem Titel "Was Sie immer über Woody wissen wollten" unter anderen diese Frage: "Was ist die wichtigste Figur in seinen Filmen und Geschichten?"
Die WELT-Antwort:
"Gott. Über ihn wird philosophiert. Figuren rufen ihn an, verlangen Existenzbeweise. In ‚Stardust Memories' fragt Woody sogar ein paar Aliens, ob es Gott gebe. ‚Falsche Frage', antworten die. ‚Aber wenn nichts Bestand hat, warum mache ich dann Filme?' lamentiert Allen. ‚Oh, wir haben Spaß an deinen Filmen', bekommt er zur Antwort. ‚Vor allem an den frühen, den lustigen'."
Abschied von einem "Menschenfischer, Verführer und Herzschrittmacher"
Ein anderer Lust-Macher von Graden ist indessen mit 67 Jahren gestorben...
Zum Tod des "großen Welttheater-Regisseurs Luc Bondy" schrieb die FAZ:
"Es war bei [...] [Bondy] die Lage der Menschen durchaus auch mal hoffnungslos. Nie aber ernst. Dafür nahm er das Theater zu ernst: als die beste Möglichkeit, ‚es auszuhalten'– das Leben draußen nämlich, das er [...] nicht mit dem Theater drinnen verwechselte. Dem er ein ganz anderes, tolleres, schöneres, tieferes Dasein abgewann. Daher seine Leichtigkeit, herrührend aus einer grandiosen, intelligent gläubigen Unbekümmertheit. Daher auch seine ewige Jungenhaftigkeit",
erklärte der FAZ-Autor Gerhard Stadelmaier.
Christine Dössel nahm in der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG von dem "Menschenfischer, Verführer und Herzschrittmacher" Bondy Abschied:
"Luc Bondy war von Gottes Gnaden das, was man einen Theaterzauberer nennt: Einer, der mit seinen Inszenierungen die Menschen be- und verzaubern konnte, sie in andere Sphären lockte, zum Schweben brachte, sie erheiterte, entrückte, entzückte. Um damit letztlich [...] im Abgrund der Herzen immer wieder auf das eine zu stoßen: die Liebe. Die Liebe als das Urelement, die Krönung und der Sündenfall alles Lebens."
Da mochte und möchte man Amen, Amen! rufen...
Indessen kommen wir jedoch von der Liebe zum Hass... Oder, was fast das gleiche ist: zur Terrormiliz Islamischer Staat.
"Gegen Kriminelle kann man keinen Krieg führen"
Im Berliner TAGESSPIEGEL betonte der Soziologe Armin Nassehi:
"Die Scheidelinie zwischen Zivilisation und Barbarei liegt dort, wo Menschen zwischen sich selbst und ihrer Umwelt, zwischen ihren Überzeugungen und sozialen Erwartungen unterscheiden können. Wem das ganze Leben mit einer Sache verschmilzt, für wen die ganze Existenz in einem Fantasma alternativloser Überzeugungen aufgeht, der befindet sich auf einem anderen zivilisatorischen Level und ist deshalb für alle Kritik und Überzeugung unerreichbar, die moderne Lebensformen ausmacht."
Nicht zuletzt darum wird gegen den IS – nun auch mit deutscher Beteiligung – Krieg geführt...
Falls man das so sagen kann. Georg Mascolo meinte in der SZ: Man kann nicht.
"Das Erste ist, dass man den Kampf gegen den Terrorismus nicht mit einem Krieg verwechseln sollte. Deutsche Politiker sind da sehr zurückhaltend (den Bundespräsidenten ausgenommen), Publizisten sind es nicht. Gegen Kriminelle aber kann man keinen Krieg führen, zudem wünscht sich der IS nichts sehnlicher, als das der Westen es so nennt",
behauptete Mascolo...
Wir behaupten dagegen: Der IS sehnt sich gewiss mehr nach der Vergrößerung seiner Macht als nach einer bestimmten Sprachregelung im Terminologie-Hickhack seiner Gegner.
"Merkel zerreißt das Land"
Ob's nun Krieg heißt oder nicht - in der FAZ warnte der Historiker Gregor Schöllgen vor dem Chaos in und um Syrien:
"Wer dort zur Zeit in wessen Auftrag und mit welcher Legitimation welchen Gegner bekämpft, lässt sich weder für Außenstehende noch für unmittelbar Betroffene, ja offenbar nicht einmal mehr für die intervenierenden Staaten ausmachen, so dass zum Beispiel amerikanische und russischen Militärs hinter den Kulissen daran arbeiten, sich über der Levante nicht versehentlich ins Visier zu nehmen."
Was die hiesigen Verhältnisse angeht, nur noch das:
"Merkel zerreißt das Land", klagte die WELT mit Blick auf die Flüchtlingspolitik der Kanzlerin.
Die FAZ dagegen lobte: "Stark, Frau Merkel!"...
Bezog sich dabei allerdings darauf, dass Merkel den "schon Kindern anerzogenen Antisemitismus im arabischen Raum" kritisiert und vor dem möglichen Import durch Flüchtlinge gewarnt hatte. –
Der Horizont ist fraglos verschattet, liebe Hörer. Aber bitte folgten Sie an diesem Sonntag wenigsten für einige Stunden der Parole, die in der NEUE ZÜRCHER ZEITUNG Überschrift wurde:
"O Tal der Tränen, addio!"
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