Johan Harstad: „Auf frischer Tat“

Parodistisches Täuschungsmanöver

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Auf dem Buchcover sind bunte Revolver, Buchtitel und der Autorenname zu sehen.
© Rowohlt Verlag

Johan Harstad

Übersetzt von Ursel Allenstein

Auf frischer TatRowohlt, Hamburg 2022

256 Seiten

24,00 Euro

Von Peter Urban-Halle · 21.09.2022
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Ein fiktiver Literaturwissenschaftler gibt für einen erfolglosen Romanautor dessen Kurzkrimis heraus, die in der Tradition der "Banalismusbewegung" stehen. John Harstad zieht mit dieser Parodie den gesamten Literaturbetrieb durch den Kakao.
Der Riesenroman „Max, Mischa und die Tet-Offensive“ (dt. 2019) des Norwegers Johan Harstad, Jg. 1979, war ein Liebes-, Bildungs-, Künstler-, Kriegs- und Migrationsroman, alles in einem. Diesmal konzentriert sich Harstad auf ein Thema: „Auf frischer Tat“ ist ein Roman über Literatur, genauer: über Kriminalliteratur.
Auch im Umfang ist der neue Roman ein Gegenstück zum vorigen. Während dieser fast 1250 Seiten dick war, geht es hier um ganz kurze Texte.
Doch von vorn: Das Buch ist ein parodistisches Täuschungsmanöver. Harstad erfindet nämlich einen deutschen Literaturwissenschaftler namens Bruno Aigner, der die Kurzkrimis des norwegischen Autors Frode Brandeggen herausgibt und ausführlichst kommentiert. Von den genannten Personen ist nur Harstad nicht fiktiv.

Superkurze Kurzkrimis

Brandeggen hatte vor Jahren einen monströsen und vollkommen unlesbaren Roman geschrieben, der ein totaler Flop war. Aus Gram und Trotz macht er sich nunmehr an superkurze Krimis, deren Held der Privatdetektiv Frisch ist.
Brandeggens Krimis stehen in der Tradition der französischen „Banalismusbewegung“ (die natürlich auch fiktiv ist). Damit wird eine Art Gegenstück zum französischen „Oulipo“ kreiert, zu dem gestandene (und alles andere als banale) Autoren wir Georges Perec, Raymond Queneau, Italo Calvino und Oskar Pastior gehören.

Doppelte Parodie

Zugleich wird in gewisser Weise auch der sogenannte „Nouveau nouveau roman“ in Gestalt des Autors Jean Echenoz parodiert, im Grunde eine Doppelparodie, weil Echenoz selber mit seinen frühen Romanen den Krimi parodierte.
Viele werden bei der Lektüre vielleicht am allermeisten an die Comicfigur „Nick Knatterton“ erinnert, auch das im Übrigen eine Parodie seines Schöpfers Manfred Schmidt auf die amerikanische Comicwelle; seine Geschichten fangen gern mit dem („banalistischen“) Satz an: „Kombiniere: Ein neuer Fall ist fällig“.
Apropos Fall: „Die Welt ist alles, was der Fall ist“, Wittgensteins berühmter Satz passt auch auf diesen parodistischen Geniestreich. Durch seine Kurzkrimis macht Brandeggen die Welt, die so schwierig und unlösbar erscheint, zu einer einfachen Übung. „Bist du der Mörder?“, wird gefragt. Darauf sofort das Geständnis: „Du bist einfach zu gut, Frisch.“ Auch ein Satz wie „Dramatik entstand“ ist ziemlich konzis und erspart uns viel Geschwafel.

Literaturbetrieb durch den Kakao gezogen

Was freilich der Parodie die Krone aufsetzt, sind die uferlosen, teilweise völlig absurden Anmerkungen des Herausgebers Aigner. In seinen Kommentaren wird der gesamte Literaturbetrieb durch den Kakao gezogen.
Das Buch, das ebenso banal wie zutreffend als „köstlich“ bezeichnet werden kann, hätte eigentlich zwei Lesebändchen gebraucht, dann wäre das nötige Parallellesen einfacher gewesen.
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