Assoziatives Patchwork

Von Dina Netz |
"Der demografische Faktor" ist eine Mischung aus Video, Vortrag, Musik und Theater zur "Alternden Gesellschaft". Ein Soziologe erklärt die Eckdaten des Problems, per Sprechgesang werden die Zuschauer animiert, mehr Kinder zu zeugen, und ein Seniorenchor singt "Altsein ist keine Schande".
Eine "kleine Theatermanufaktur" haben er und sein Team eröffnet, sagt Nicolas Stemann, und in der habe man "Dinge produziert: Texte, Lieder, Bilder, Ideen". Ein Teil davon ist in die Bühnenversion von "Der demografische Faktor" eingeflossen. Die Dinge, die auf die Bühne dürfen, sind mit bunten Zetteln auf eine Tafel geheftet. Die erste halbe Stunde lang erklären Stemann und seine beiden Musiker Sebastian Vogel und Thomas Kürstner, was sie alles zusammengetragen haben, spielen ein paar Lieder an und erzählen, was ihnen selbst so einfällt zu ihrer thematischen Klammer, dem "demografischen Faktor".

Per Videoeinblendung erklärt der Soziologe Franz-Xaver Kaufmann die Eckdaten des Problems: Das Aufziehen von Kindern gilt in der Volkswirtschaftslehre als Konsum, und tatsächlich schlägt ein Kind bei seinen Eltern mit 300.000 Euro zu Buche. Stemann und die Musiker nehmen das in einem sprechgesangartigen Liedchen auf: "Das sieht doch ein Blinder, Deutschland braucht mehr Kinder. Willst du hören Kinderlachen, musst du eben Kinder machen." Mit einem weiteren Lied werden die Zuschauer animiert, sich ihren Sitznachbarn nochmal genauer anzusehen – vielleicht geht da ja doch was. Um das Publikum in Schwung zu bringen, bekommt jede/r einen Becher Rotwein. Eine der sympathischeren Regie-Ideen.

Stemanns Zugang zu dem Problem, dass wir "weniger werden", ähnelt dem seiner legendären Jelinek-Inszenierungen: Er nimmt das schwere Thema leicht. Und auch sonst erinnert "Der demografische Faktor" ein bisschen an Jelineks "Die Kontrakte des Kaufmanns", mit dem Stemann vor zwei Jahren zum Berliner Theatertreffen eingeladen war: Er hat selbst Monologe geschrieben, von denen besonders der, den Myriam Schröder gegen Ende hervorwütet, etwas an die Textkaskaden der Literaturnobelpreisträgerin gemahnt: Stemann packt alles rein, Klimawandel, Wasser- und Geldmangel, Transrapid, Krieg, Rassismus, die Abschottung Europas, dass immer die "Falschen" Kinder bekommen. Und kalauert sogar: "Der Export wurde nach China exportiert."

Aber dieser und die anderen Texte erreichen eben bei weitem nicht die Jelineksche Dichte, gehen kaum über das hinaus, was man bei einem Bier mit Freunden selbst formulieren würde. Beim Publikum bewirken die Texte nicht mehr als ein müdes bestätigendes Nicken. Wie auch der ganze Abend wie assoziatives Patchwork wirkt, dessen Dramaturgie zwar einigermaßen erkennbar ist, dass einen aber trotzdem schnell langweilt, denn die Witze und Szenen verläppern.

Einen einzigen richtig starken Moment gibt es: Die Mitglieder des Seniorenchors "Spätlese" der Rheinischen Musikschule Köln haben gerade auf die Melodie von Beethovens "Ode an die Freude" den Text "Altsein ist keine Schande" gesungen. Sie werden vom Pflegepersonal weggeführt und im Bühnenhintergrund abgelegt. Das etwa zehnjährige Mädchen (Ricarda Schenk), das vorher schon einen Text darüber vorgetragen hat, warum eigentlich niemand mehr Kinder kriegen will, legt sich zwischen die ungefähr 40 Alten und sagt tapfer: "Ich schaff das schon." Ein sehr eindrückliches Sinnbild für den "demografischen Faktor" - leider zu wenig für zwei Stunden Spieldauer.
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