Höflicher Applaus für Sprachgewirr

Von Ulrich Fischer |
Bei der Uraufführung der Räuber von Schiller brachen die Zuschauer in Stürme der Begeisterung aus, bei der Inszenierung von Regisseur Nicolas Stemann reichte es nur zum höflichen Schlussapplaus. Bei der Aufführung während der Salzburger Festspiele konzentriert sich Stemann ganz auf die Sprache, löst die Texte von den Figuren: Eine Vereinfachung, die die Inszenierung unübersichtlich erscheinen ließ, und dem Theaterstück letztendlich nicht gerecht wurde.
"Die Räuber", Friedrich Schillers erstes Stück, wurden 1782 in Mannheim uraufgeführt. Die Wirkung war buchenswert. Ein Zeitgenosse berichtet:

"Das Theater glich einem Irrenhause, geballte Fäuste, stampfende Füße, heisere Aufschreie im Zuschauerraum! Fremde Menschen fielen einander schluchzend in die Arme, Frauen wankten, einer Ohnmacht nahe, zur Thüre. Es war eine allgemeine Auflösung wie im Chaos, aus dessen Nebeln eine neue Schöpfung hervorbricht."

Aufbruchstimmung in Mannheim, Abbruch in Hallein; Nicolas Stemanns Inszenierung der "Räuber" im Rahmen der Salzburger Festspiele - eine Koproduktion mit dem Thalia Theater Hamburg - wirkte lähmend, es gab zwar einhelligen Schlussapplaus, aber die Inszenierung riss niemand vom Platz. Stemann dekonstruierte.

Er strich, dichtete Szenen um, das Gröbste: Er löste die Figuren von ihrem Text. In einem Stück steht links "Karl:" und rechts, was Karl sagt. Diese Textzuweisungen gelten bei Stemann nicht, er schafft einen Textteppich. Den größten Teil sprechen vier männliche Spieler. Sie stellen nicht nur den ränkesüchtigen und -tüchtigen Franz, die Canaille, dar, sondern auch dessen Bruder, den edlen Räuber Karl.

Ein Erkenntniszuwachs ist nicht zu vermelden, wohl aber ein ästhetisches Desaster. Bei Schiller wirkt der Kontrast: Er entfesselt einen Schwung, der das Publikum mitreißt. Die Zähigkeit von Stemanns Inszenierung geht zum guten Teil auf seine Schnapsidee zurück, die zwei feindlichen Brüder von einem Kollektiv spielen zu lassen.

Dadurch wirkt die Handlung unübersichtlich. Zur Unübersichtlichkeit trägt weiter bei, dass die Vier nicht immer synchron sprechen - vieles bleibt unverständlich. Die Inszenierung wirkt deswegen über weite Strecken konfus. Aber es ist doch ein Grundgestus zu bemerken. Stemann wähnt offenbar, Schiller sei ein geistiger Vorläufer des Totalitarismus, wenn nicht des Terrorismus. Ihm ist Schillers Pathos suspekt - den Regisseur beschleicht Furcht.

Schillers Gestus wird trefflich von der Titelvignette der zweiten Auflage der "Räuber" illustriert: ein Löwe, der zum Sprung ansetzt. Darunter kämpferisch kühn gegen deutsche Duodezfürsten gerichtet: "in Tirannos". Wollte man eine Titelvignette für das Programmheft von Stemanns Inszenierung stechen, es müsste ein Mäuslein sein, das ängstlich seinem Loch zustrebt. Stemann bewegt wohl die von der Terroristenhysterie erzeugte Angst, die unsre Bürgerfreiheit aufzehrt.

Die Schauspieler sind nur ein Schatten ihrer selbst. Stemamnn engt sie in sein Regiekorsett ein, sie dürfen nicht zeigen, wozu sie fähig wären. Dabei ist das Ensemble glänzend, zwei Namen mögen für alle stehen: Maren Eggert als Amalia und Christoph Bantzer als alter Graf Moor. Als Bantzer sich einmal Zeit für einen szenischen Augenblick verschafft, bekommt seine Figur sofort Kontur, die Handlung Spannung. Aber der Moment ist allzu rasch vorbei. Dann übernimmt wieder Stemann.

Brecht soll einmal bemerkt haben, man könne Shakespeare ändern, wenn man es könne. Was ist mit diesem Rätselwort gemeint? Man darf Shakespeare ändern, wenn man, wie er, auf der Höhe seiner Zeit und seiner Kunst ist. Das war Schiller, Stemann ist es nicht. Er überschätzt sich, seine Inszenierung wirkt besserwisserisch.

Es gibt Dekonstruktionen, die funktionieren. Frank Castorf ist es häufig gelungen. Stemann nimmt ein Juwel, wirft es in einen Mörser, zerstampft es mit den Klöppel, schmeißt einen Teil der Splitter weg und präsentiert den Rest. Jeder Juwelier würde feststellen, dass das nicht sachgerecht ist. Stemann wird den "Räubern", einem Kleinod der deutschen und Welt-Theatergeschichte, nicht gerecht.

Der Regisseur möchte wohl zeigen, Schiller sei auf dem Holzweg gewesen. Herausgekommen ist eine Aufführung die etwas anderes zeigt: Stemann ist auf dem Holzweg.

Aufführungen am 19., 20., 21., 22., 23. und 24. August 2008

Weitere Informationen unter:
www.salzburgfestival.at