Arthur Koestler: "Sonnenfinsternis"

Die Wahrheit über Stalin und den linken Terror

Mit dem Roman "Sonnenfinsternis" war Koestler seiner Zeit weit voraus - der Hintergrund zeigt eine ehemalige Zelle für politische Gefangene in einem sibirischem Lager
Mit dem Roman "Sonnenfinsternis" war Koestler seiner Zeit weit voraus - der Hintergrund zeigt eine ehemalige Zelle für politische Gefangene in einem sibirischem Lager © picture alliance / AP Photo / Alexander Agafonov / Elsinor Verlag
Von Michael Opitz · 09.08.2018
"Sonnenfinsternis" von Arthur Koestler war 1940 der erste Roman, der von der politischen Verfolgung unter Stalin erzählte. Den beschriebenen Terror hielten viele Linke für unglaublich - und machten dem Autor schwere Vorwürfe.
Mit der Arbeit an seinem Roman "Sonnenfinsternis" begann Arthur Koestler im September 1938 – unter widrigen Umständen schloss er das Manuskript im März 1940 ab. Damals hielt er sich im Pariser Exil auf und wohnte zusammen mit Walter Benjamin in einem Haus.
Man weiß, dass Benjamin Koestlers zwei Jahre zuvor erschienenen Roman "Ein spanisches Testament" kannte – das geht aus der Liste der von ihm gelesenen Bücher hervor. Nicht bekannt ist allerdings, ob sich die beiden auch über die damals in Moskau inszenierten Schauprozesse unterhielten.

Das Originalmanuskript galt als verloren

Stalins Vorgehen irritierte zu dieser Zeit die linken Intellektuellen. Als Benjamin im Sommer 1938 Brecht im dänischen Skovbostrand besuchte, diskutierten sie auch über die diktatorische Willkürherrschaft in der Sowjetunion. Der linke Terror war ein beunruhigendes Thema.
Genau diesem Thema widmet sich Koestlers Roman "Sonnenfinsternis". Er wurde 1940 zunächst nur in englischer Sprache veröffentlicht. Alle deutschen Ausgaben basierten in Teilen auf Rückübersetzungen aus dem Englischen, denn das Originalmanuskript galt als verloren. Dass es nun die Basis einer Neuveröffentlichung bildet, ist dem Germanisten Matthias Weßel zu danken, der das verschollen geglaubte Manuskript bei der Arbeit an seiner Dissertation über Koestler in der Züricher Zentralbibliothek unter seinem ursprünglichen Titel "Rubaschow" fand.

Genossen richten den Genossen

Rubaschow ist die zentrale Figur des Romans. Das ehemalige Mitglied des Zentralkomitees der Partei, ein führender Genosse aus der Zeit der revolutionären Umbruchs, wird von den eigenen Genossen verhaftet, unter fadenscheinigen Anschuldigungen zum Tode verurteilt und schließlich hingerichtet.
Koestler beschreibt Rubaschows letzte Wochen im Gefängnis, in denen er über seine eigene Rolle als Richter und als Angeklagter nachdenkt. Er, der Opfer des Terrors wird, lieferte zuvor dem Apparat selbst jene Genossen aus, die sich angeblich nicht politisch konform verhalten hatten.
Die Revolution hatte in jenen Jahren begonnen, die eigenen Kinder zu fressen. Koestler, der seit 1931 der KP angehörte, war 1938 aus der Partei ausgetreten.
Der Schriftsteller Arthur Koestler
Der Schriftsteller Arthur Koestler© picture alliance / dpa
"Sonnenfinsternis" ist der erste Roman, der davon erzählt, wie Stalin die ehemaligen Kampfgefährten der Oktoberrevolution systematisch verhaften und ermorden ließ. In der Sowjetunion prangerte erst Chruschtschow Stalins Terror an: auf dem XX. Parteitag der KPdSU 1956 in einer Geheimrede.
Die absurd anmutenden Verfolgungsmethoden, die Koestler in "Sonnenfinsternis" beschreibt, die Inhaftierungen und schließlich die Todesurteile hielten viele Linke für so unglaublich, dass sie dem Autor nach dem Erscheinen des Romans schwere Vorwürfe machten.
Ernst Bloch nannte Koestler in "Verrat und Verräter" (1942) zwar nicht beim Namen, aber er kritisierte eine "Literaturgattung des Verrats", zu der er "Sonnenfinsternis" offensichtlich zählte. Auch Robert Havemann bezeichnete den Roman in den 40er Jahren als Propaganda des Klassenfeinds.

Kein Zweck heiligt die Mittel

Wie weit Koestler seiner Zeit mit "Sonnenfinsternis" voraus war, zeigte sich erst Jahre später. Dass das Buch nun in seiner ursprünglichen Fassung vorliegt, ist ein Glücksfall. Hinterfragt wird jene Selbstherrlichkeit der Mächtigen, die glauben, der Zweck heilige die Mittel. Solange dieser Grundsatz als politisch vertretbar gilt, bleibt der Roman aktuell.

Arthur Koestler: Sonnenfinsternis
Nach dem deutschen Originalmanuskript
Mit einem Vorwort von Michael Scammell und einem Nachwort von Matthias Weßel
Elsinor Verlag, Cosfeld 2018, 256 Seiten
28,00 Euro

Mehr zum Thema