Ansingen gegen das Vergessen

Von Elke Pressler |
Sie singen das Erbe ihrer Mutter, Großmutter und Urgroßmutter: Der Singkreis Kukuck ist eine begeisterte kleine Schar, die dafür sorgen möchte, dass das Andenken an Felicitas Kukuck nicht verloren geht. Ein generationenübergreifendes Familienereignis der ganz besonderen Art.
Sie treffen sich einmal im Monat im Wohnzimmer in einem Einfamilienhaus in der Nordheide. Sie sitzen im Kreis vor einem Flügel; die eine Seite auf Esszimmerstühlen, die andere auf dem breiten, bequemen Sofa: zwei Tenöre, zwei Bässe, drei Altistinnen, vier Soprane. Wenn sie vollzählig sind, fünf in jeder Stimmlage.

Der elektrische Kaminofen zischt brodelnd ab und zu dazwischen, ansonsten herrscht eine aufgeräumt-konzentrierte Stimmung der Freude.

Christoph Leis-Bendorff: "Es ist die Liebe zu dieser Musik. Wir mögen die sehr gerne, und wir schätzen die ungemein."

Christoph Leis-Bendorff ist der musikalische Leiter dieser begeisterten kleinen Schar, die die Musik seiner Großmutter Felicitas Kukuck nahezu zelebriert.

"Wir wollen uns an ihr erfreuen, und wir wollen dabei dafür sorgen, dass sie nicht vergessen wird, dass sie möglichst in der Welt bleibt. Das ist so die Motivation."

Wir - das sind:

Thomas: "Margret und Irene…"

Christoph: "Ja, genau, meine Mutter, meine Tante und mein Onkel…"

Thomas: "...ich bin mit 16, also 1980 bin ich dazugestoßen, also deshalb bin ich nicht ganz von Anfang an dabei gewesen – und Freunde; ansonsten waren das Leute aus Blankenese meistens, ne. Alles Laien."
Christoph: "... und meine Frau singt mit, und jetzt singt neuerdings auch mein einer Sohn mit, und der andere Sohn hat auch schon mal mitgesungen bei einer Aufführung, also die Besetzung wechselt so’n bisschen."

... und bleibt doch überwiegend ein generationenübergreifendes Familien-Ereignis besonderer Art.

Susann: "Ja, das finde ich auch sehr reizvoll."

... staunt der Neuzugang Susann

Susann: "Auch wenn ich bedenke, wie lange die schon gemeinsam singen; also die kennen ja alle Stücke, alle! Weil sie auch nur Stücke von Felicitas Kukuck singen."

Bereits 1967 gründete die Komponistin Felicitas Kukuck ihren Chor, mit dem sie bis zu ihrem Tode 2001 in den Hamburger Elbvororten musizierte.

Christoph: "Wir sind ja hervorgegangen aus dem Kammerchor Blankenese, der damals von Felicitas Kukuck geleitet wurde."

... erzählt Enkel Christoph, eigentlich Pop-Komponist und Arrangeur von kommerziellen Schlagern

"Wir waren damals ihr Uraufführungschor sozusagen."

Thomas: "Ja, das war toll!"

... schwärmt Kukuck-Sohn Thomas.

"Vor allem diese größeren Sachen wie diese Oper: 'Der Mann Mose', das war schon ne ziemliche Herausforderung, weil wir das auch szenisch machen mussten. Also wir mussten als Chor nicht nur singen, sondern richtig agieren auf der Bühne. Wir waren das Volk Israel; wir haben Mose sozusagen das Leben schwer gemacht, weil er wollte uns in die Wüste führen, und wir wollten das nicht: ‚Hier in Ägypten ist es doch eigentlich viel besser’ und so – und wir waren richtig empört und wütend auf ihn und haben ihm ziemlich zugesetzt. Und das mussten wir alles machen, während wir diese sehr schwierige Musik singen mussten."

Tochter Margret schrieb das Libretto, und nicht nur diesen Text, wohlwissend, worauf sie bei ihrer komponierenden Mutter zu achten hatte

"Das musste rhythmisch hinhauen, das musste passen. Ich wusste, dass sie da hochempfindlich ist. Sie hat immer sehr textgerecht komponiert. Dieses Stück war auch für den Chor so interessant, weil es schon eingeübt wurde, als es noch gar nicht fertig war. Und dann hatte der Chor die Möglichkeit, Einspruch zu erheben, wenn er was nicht überzeugend fand oder schwierig oder trivial, und manchmal wurde das dann auch geändert. Und das ist natürlich ne Werkstatt-Atmosphäre, die auch ganz toll ist!"

Heute ist der Kammerchor Blankenese geschrumpft zum Singkreis Felicitas Kukuck.

Christoph: "Wir haben auch über den Namen sehr diskutiert ne Zeitlang."

Der nach dem Tod der Komponistin und nach einer mehrjährigen Pause nun nach wie vor und ausschließlich die Musik von Felicitas Kukuck aufführt: das Werk der Mutter, Großmutter und Urgroßmutter. Und jederzeit offen ist für neue Stimmen und Mitglieder.

Christoph: "Zu Anfang dachten wir, wir nennen uns Kukucks -Chor, das war dann aber zu kindermäßig. Die denken dann, das ist ein Kinderchor, der Kinderlieder singt."

Weit gefehlt!

Magret: "Das Spektrum ist riesengroß!"

Stolz und Bewunderung schwingt mit, wenn Nachlass-Hüterin Margret Auskunft gibt über die Produktivität ihrer Mutter.

"... von den einfachsten volksliedhaften Liedern bis hin zu den kompliziertesten, auch an den Nerv gehenden Texten wie zum Beispiel die Todesfuge von Paul Celan alles, was irgendwie authentisch war - das hat sie gewollt, und sie hat auch sehr viele Liebeslieder komponiert."

Gemütliche, und doch hochkonzentrierte Atmosphäre im Wohnzimmer: Zur Zeit probt der kleine Chor die Hiroshima-Kantate, ein engagiertes Werk der friedensbewegten Komponistin Felicitas Kukuck aus dem Jahre 1995:

Margret: "Das Stück kontrastiert die Geschichte der Atombombe von Hiroshima mit Genesis, der Schöpfungsgeschichte aus der Bibel und mahnt gegen technische Allmachtsphantasien, mahnt zur Wahrung der Schöpfung, und wir wollen das am Kirchentag aufführen."
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