Anne Otto: "Woher kommt der Hass?"

Manchmal macht es einfach keinen Sinn, mit Rechten zu diskutieren

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Eine Illustration zeigt ein großes Gesicht eines schreienden Mannes vor einem eingeschüchterten kleinem Mann vor blauem Hintergrund.
Wenn der Hass da ist, wird es schwer, sagt Psychologin Anna Otto. Sie rät, sich nicht auf sinnlose Diskussionen einzulassen. © imago images / Ikon Images
Anne Otto im Gespräch mit Christian Rabhansl · 26.10.2019
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In politischen Debatten dominieren die negativen Gefühle - gerade bei Rechten. Wo kommt der Hass her und wie kann man ihm begegnen? Darüber hat Psychologin Anne Otto ein Buch geschrieben. Im Interview gibt sie konkrete Tipps für Diskussionen.
Christian Rabhansl: Es wird mehr gelacht im Bundestag, seitdem die AfD dort eingezogen ist. Das hat eine digitale Analyse der "Süddeutschen Zeitung" ("SZ") über das erste Halbjahr der AfD im Parlament ergeben. Allerdings ist das kein fröhliches Lachen, sondern Hohngelächter. Der Spott hat zugenommen und die offene Häme. Woher also kommt der Hass, sowohl im Parlament als auch auf der Straße? Dieser Frage ist die Psychologin und Journalistin Anne Otto nachgegangen. Und so heißt auch ihr Buch, "Woher kommt der Hass? Die psychologischen Ursachen von Rechtsruck und Rassismus".
Wenn man sich rechtsextremen Hass ansieht, dann kommt der ziemlich selten logisch daher. Diese sogenannten Sorgen, die sind oft aufgebauscht; Tatsachen werden ziemlich verzerrt; wirklich absurde Verschwörungstheorien werden geglaubt. Um die wirkliche, echte Wirklichkeit da draußen scheint es nur sehr bedingt zu gehen, sondern mehr um irgendeine Wirklichkeit da drinnen, im Herzen und im Kopf. Welche Funktionen erfüllt das, woher kommt dieser Hass?
Anne Otto: Wie Sie es schon angedeutet haben, ist die emotionale Komponente unglaublich wichtig, dass bestimmte Emotionen bedient werden und zu diesem Hass gehören. Woher der Hass kommt, dazu gibt es verschiedene Theorien. Das eine ist, dass sehr viele Psychologen davon überzeugt sind, dass viel mehr Menschen nach wie vor autoritären Haltungen und autoritären Einstellungen anhängen, das heißt, dass sie autoritären Gehorsam befürworten und auch autoritäre Aggression.
Und das bedeutet, dass die bereit sind, Schwächere abzuwerten, das vollkommen in Ordnung finden, das auch brauchen, um ein stabiles Weltbild zu haben. Es ist im Prinzip so, dass solch eine autoritäre Einstellung, dass das nicht einfach irgendwie eine politische rationale Einstellung ist, sondern dass es eben auch ein inneres emotionales System ist, das anspringt und bedient wird.

Rhetorik des "großen kleinen Mannes"

Rabhansl: Also andere abwerten, um sich besser zu fühlen. Jetzt geht es in der "Lesart" heute um die Sprache der Rechten. Und dieses Gefühl, andere abwerten zu wollen, das wird rhetorisch auch noch angestachelt. Ich lese da von Ihnen so Begriffe wie "Gefühlsbefreiung" oder "Großer kleiner Mann"-Rhetorik. Was ist das?
Otto: Das sind eigentlich Begriffe, die auf Analysen von Adorno zurückgehen. Der Trick der Gefühlsbefreiung, da bezieht sich Adorno im Prinzip auf Reden eines Hasspredigers und sagt, dass diese Aufforderung, "Lasst euren Gefühlen freien Lauf", "Seid doch mal wütend", "Na klar seid ihr frustriert", dass das eine Aufforderung ist zur Aggression. Die Leute in den Reden sind emotionalisiert und sagen dann, tut es mir nach, seid genauso aggressiv.
Rabhansl: Es ist völlig okay, sich gehen zu lassen.
Otto: Genau, es ist okay, sich gehen zu lassen.
Rabhansl: Und diese "Großer kleiner Mann"-Rhetorik?
Otto: Ist sicherlich so was in der Art, dass man sagt, ich bin selbst eigentlich ein einfacher Mensch, gleichzeitig hab ich mich aber ermächtigt, ich hab mich getraut, ich bin über meinen Schatten gesprungen. Und dieses Spiel mit diesem "Ich bin eigentlich einer von Euch, aber ich bin einer, der sich rausgehoben hat, der auch ein bisschen heldenhaft sich traut", das ist diese "Großer kleiner Mann"-Rhetorik.
Rabhansl: Wenn die Emotionen da jetzt so viel wichtiger sind als echte Sachargumente, das heißt aber auch, wenn man dagegen argumentieren will, kommt man mit Argumenten nicht weit, oder?
Otto: Nein, auf keinen Fall kommt man da mit Argumenten weit. Und je geschulter die Leute sind, je mehr sie diese Rhetoriken inhaliert haben und auch ganz bewusst einsetzen, um ihre Wähler auf diese Weise von sich zu überzeugen – eben komplett argumentationsfrei und rein emotional –, umso weniger kann man mit denen überhaupt noch diskutieren.

Keine Chance beim Sprechen mit AfD-Politikern

Rabhansl: Ich finde an Ihrem Buch sehr schön, es hat am Ende so einen richtigen Leitfaden: das heißt, Sie haben Theorieteile, aber dann eben auch sehr, sehr praxisnah aufgeschrieben, wirklich mit so erstens, zweitens, drittens, was man jetzt tun kann. Und in diesem Leitfaden, da machen Sie auch diese Unterscheidung, die Sie jetzt gerade schon angedeutet haben: Ist das ein Amateur oder Politprofi? Das heißt, da muss man sehr unterschiedlich reagieren?
Otto: Würde ich sagen, ja! Und das würden jetzt auch alle bekräftigen, sagen wir mal, Kommunikationstrainer oder Leute aus Initiativen, die sich damit beschäftigt haben. Wenn man sich jetzt als Bürger vorstellt, ich möchte mit jemandem diskutieren, der eine andere Meinung hat, dann ist es im Prinzip so, dass man gegen einen AfD-Politiker, der das seit Jahren trainiert, auf eine bestimmte Weise zu sprechen, überhaupt gar keine Chance hat. Da haben andere Politprofis, die sich damit schon auseinandergesetzt haben, weitaus mehr Chancen.
Wo es aber Sinn macht, sich auseinanderzusetzen, das ist im eigenen Umfeld – der eigene Freundeskreis, die eigene Familie oder auch dieses Freunde-von-Freunden-Ding. Da kann man einhaken und anfangen zu diskutieren, weil die Leute nicht geschult sind, sondern die schnappen ja meistens was auf und geben das dann weiter.
Buchcover zu "Woher kommt der Hass?" von Anne Otto
Anne Otto gibt in ihrem Buch auch konkrete Tipps, wie man rassistischer Rhetorik im Alltag begegnen kann.© Gütersloher Verlagshaus
Rabhansl: Und da soll man sich dann so Fragen stellen wie: Wen hast du vor dir oder wie gesprächsbereit ist dein Gegenüber?
Otto: Ganz genau. Es gibt eine Einteilung, die geht auf die Initiative "Kleiner Fünf" zurück. Das ist ein Verein, die haben sich zum Ziel gesetzt, die AfD unter die Fünf-Prozent-Hürde zu drücken, und zwar durch Diskussionen mit anderen und durch Überzeugungsarbeit und politische Diskussionen. Und die haben so eine Einteilung gemacht, es gibt einerseits Verunsicherte, die reden was nach oder die haben auch bestimmte Überzeugungen, aber mit denen kann man reden oder da kann man Fragen stellen wie: Wie kommst du da drauf? Oder: Seit wann denkst du überhaupt so?
Wenn man darauf halbwegs ernsthafte Antworten kriegt, im Prinzip dann wieder mal echte Emotionalität – "Wovor hast du Angst?", oder "Was ist los eigentlich?" –, dann kann man auch versuchen weiterzusprechen, um eine Argumentationsbasis zu finden.
Wenn die Leute allerdings nur provozieren wollen und von Thema und Thema springen – das ist ja irgendwie so eine beliebte Technik –, dann kommt man nicht weiter, dann kann man im Prinzip nur sagen: "Du springst von einem Thema zum anderen, das funktioniert so nicht".
Und was auch sehr schnell auftaucht, sind menschenfeindliche Äußerungen oder irgendwelche Komplettabwertungen. Dann ist es natürlich so, dass man sagen kann: "Du verletzt hier Grundrechte und auf diese Weise möchte ich nicht mit dir diskutieren".

Besser negativ formulieren

Rabhansl: Ein Tipp ganz am Ende des Buches, der hat mich fast ein bisschen überrascht, und zwar hört man ja ansonsten häufig, man sollte irgend so ein positives Narrativ erheben, man sollte erzählen, wie man sich das Zusammenleben vorstellt, die hohen und hehren humanistischen Ideale hochhalten. Ich lese auch bei Ihnen am Ende, hm, das muss oft gar nicht funktionieren, man sollte eher mit einem Negativnarrativ kommen, nämlich mit dem Satz: "Ich möchte nicht in einem Land leben, in dem …" Warum ist das besser?
Otto: Positive Utopien und die Vorstellung davon, wie ein bestmögliches Zusammenleben aussieht, das ist unheimlich angreifbar. Es ist nicht nur, dass alle Leute sich die ideale Welt anders vorstellen, sondern es ist auch angreifbar von den Gegnern. Wenn man jetzt einen Minimalkonsens nimmt – "Ich möchte nicht in einer Welt leben, wo solche Hassverbrechen wie Halle möglich sind" – da wird man ganz viel Konsens, sogar bei politischen Gegnern, hinbekommen. Und von da aus kann man gucken, wie kann man das erreichen. Da wird man vielleicht unterschiedlicher Meinung sein, aber es wird nicht sofort zu dieser Polarisierung kommen.
Rabhansl: Ich hab das vorhin schon gesagt und das ist jetzt auch deutlich geworden: Das ist wirklich ein alltagstaugliches Buch, aber eben auch mit vielen theoretischen Teilen, wo Sie zusammengetragen haben, was auch andere schon erforscht haben. War Ihnen das von Anfang an so klar, dass Sie das so aufbauen wollen, oder hat sich das dann so entwickelt?
Otto: Diese ganzen Theorien, ich find sie wahnsinnig interessant und auch aufschlussreich. Mir hilft es auch, wenn ich verstehen kann, warum bestimmte Sachen emotional funktionieren, aber für mich reicht das nicht. Deswegen finde ich diese Rückbesinnung auf das, was jeder tun kann, total wichtig, unter anderem auch, weil natürlich Selbstwirksamkeit oder ein Gefühl, selbst etwas tun zu können, auch die Demokratie fördert.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.

Anne Otto: "Woher kommt der Hass? Die psychologischen Ursachen von Rechtsruck und Rassismus"
Gütersloher Verlagshaus, Gütersloh 2019
272 Seiten, 22 Euro

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