Angeln in Deutschland

Mit Rute und Köder

26:49 Minuten
Ein Angler steht an dem deutsch-polnischen Grenzfluss Oder im Nationalpark Unteres Odertal im Nordosten von Brandenburg
Und, beißen sie an? Angler wollen etwas fangen, aber auch die Natur genießen. © dpa / picture alliance / Patrick Pleul
Von Ernst-Ludwig von Aster · 18.09.2022
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Mehr als vier Millionen Menschen in Deutschland werfen die Angel aus. Als Tierquäler wollen sie sich nicht beschimpfen lassen. Die Sensibilität für ökologische Belange wächst, auch wenn für viele der gefangene Fisch nicht groß genug sein kann.
Hunderte Angelfreunde sind in den Rostocker Museumshafen gekommen - zur „Fishing Masters“, Ende Mai, dem größten Angel-Event Deutschlands. Dutzende Stände bieten Ruten und Köder, dazwischen Boote, Bekleidung, Angelverbände informieren, Fisch- und Bierstände versorgen Petrijünger- und Jüngerinnen mit Nahrung.
Gut ein Dutzend Angelgrößen sitzen am Ufer. Mit ihren Ruten. Hinter jedem Platz ist ein Schild in den Sand gerammt. „Experte im Bereich modernes Feederangeln“ steht bei Steffen Kirchner. Beim Feederangeln werden die Fische mit einem kleinen Futterkorb, der an der Schnur in der Nähe des Köders befestigt wird, angelockt.

Es gibt neun Disziplinen

„Casting Team MV“ leuchtet in weißen Buchstaben auf der blauen Windjacke von Dirk Rohjan. Er steht auf dem breiten Bootssteg, direkt vor dem Motorfrachtschiff „Dresden“, hat in einigen Metern Entfernung eine Stoffscheibe ausgelegt, die Ränder mit Steinen beschwert. In der Mitte des sogenannten Arenbergtuchs liegt ein kreisrundes Blech, fünf weiße Ringe ziehen sich drumherum.
„Es gibt neun Disziplinen. Man hat hier das Arenberg, das ist auf ein Tuch, das wird in fünf verschiedenen Abständen geworfen, Unterhandwurf, Rechtswurf, Linkswurf, beliebig und über Kopf. Es gibt jeweils zehn Punkte, wenn man genau in die Mitte trifft.“
Kein Haken, keine Pose, kein Kunstköder – bei den Castingsportlern hängt nur ein Gewicht am Ende der Angelschnur. Das gilt es per Wurf zielgenau in der Scheibe zu platzieren.
Mehr als zehn Jahre lang koordinierte Dirk Rohjan für den Angelverband in Mecklenburg-Vorpommern die Nachwuchsarbeit. Jahrelang hat er an Wettbewerben teilgenommen. In der Disziplin Zweihand, 18 Gramm wurde er bei den Senioren deutscher Vizemeister.
Einige hundert Angel-Freunde und -Freundinnen betreiben das Casting in Deutschland als Leistungssport. Ihre Ikone kommt aus Thüringen und heißt Jana Maisel. Seit 1990 gewann die Grundschullehrerin 67 WM- und mehr als 40 EM-Titel. 

Unterwegs mit dem Angelmobil

Christoph Witteck ist Biologe, hat als Quereinsteiger vier Jahre an Gymnasien und Gesamtschulen unterrichtet. Jetzt ist er für den Angelverband Mecklenburg-Vorpommern unterwegs mit seinem Infomobil:
„Es sieht aus wie ein Fischverkaufsmobil, ist auch in ähnlichen Farben gehalten, dunkelblau, weiß, mit entsprechenden Aufdrucken, zwei bunten Kindern, die mit einem Binokular ins Gewässer schauen.“
Infomobil des Angelverbandes Mecklenburg-Vorpommern
Der Angelverband Mecklenburg-Vorpommern ist regelmäßig mit einem Infomobil unterwegs.© Ernst-Ludwig von Aster
Mit dem Infomobil rollen Witteck und ein Kollege durch Mecklenburg-Vorpommern, steuern Schulen an, Jugendzentren. An Bord: Netze, Angeln, Mikroskope. Ein didaktisches Angelmobil.

Eine Mensch-Umwelt-Beziehung

Einer der angelnden Professoren sitzt in Berlin. Nicht am See, sondern auf der Terrasse vor seinem Häuschen. Das Kind hat Corona, da kann der Vater nicht an den Müggelsee, zu seinem Arbeitsplatz am IGB, dem Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei.
Dort forscht Robert Arlinghaus rund ums Angeln, die Angler und die Gewässer. Nebenbei lehrt er auch noch an der Humboldt-Uni.
„Zwei Dinge: Erstens, dass wir es mit einer Gruppe zu tun haben, die eben nicht nur nutzen, sondern auch bewirtschaften. Wir haben in Deutschland Fischereirecht, was privat ist, was in den Händen von Vereinen, Verbänden ist. Deswegen nutzen Angler, Vereine, Verbände nicht nur, sondern sie bewirtschaften auch. Und damit sind sie Akteur in dem großen Thema Biodiversität, Rückgang bzw. Förderung von biologischer Vielfalt. Und das Zweite: Es ist ein Beispiel für eine Mensch-Umwelt-Beziehung.“
Einen Mitgliederzuwachs von sechs Prozent vermeldete der Deutsche Angelfischerverband für das letzte Jahr.

Es gibt fünf Angler-Typen

Wen es aus welchen Gründen ans Gewässer zieht, auch das haben Arlinghaus und seine Mitarbeiter versucht herauszufinden - per Umfrage im Angler-Soziotop. Vor allem sind es Männer, die zur Rute greifen. Der Frauenanteil steigt langsam, er liegt heute zwischen 10 und 15 Prozent.
Fünf Angler-Typen unterscheidet der Wissenschaftler: Da gibt es den Naturliebhaber, da stört der Fischfang schon fast die Ruhe am Wasser. Es gibt den eher sozial orientierten Angler, da geht es um das Gesellige. Es gibt den Subsistenzangler nennen wir den, also da geht es wirklich um Fische essen.

Es gibt den Angler, der sehr stark auf kapitale große Fische ausgerichtet ist und jemanden, der Herausforderungen sucht, zum Beispiel den Fang mit einer spezifischen Methode oder an einem spezifischen Gewässer.

Robert Arlinghaus

Jugendangeln am Sacrower See

Ein Bootssteg gut 40 Kilometer weiter südlich in Brandenburg. Die Sonne lässt den Sacrower See glänzen. Eigentlich ist dies keine Badestelle, denn der Sacrower See ist Teil eines Naturschutzgebietes. Da gelten strenge Schutzbestimmungen. Und Wildbaden ist verboten. Spieß zuckt mit den Schultern, konzentriert sich wieder aufs Angeln. Genauer aufs Jugendangeln:
„Das machen wir vier Mal in der Saison. Und heute haben wir einen Jugendlichen, der neu anfängt, der sich das erste Mal hier anguckt. Und wir haben einen erwachsenen Angler, der bei uns jetzt angefangen hat, aber der ganz neu ist, der zwar seine Fischereiprüfung gemacht hat, aber ohne davor jemals aktiv geangelt zu haben.“
Angler am Sacrower See
Jugendangeln am Sacrower See gibt es jedes Jahr viermal.© Ernst-Ludwig von Aster
Der Elfjährige hat seine eigene Angel mitgebracht. Eigentlich ist sie ein wenig zu kurz, aber für ein bisschen Üben reicht es. Der zweite Novize, Alexander, 37 Jahre, ist ohne Angel gekommen. Dafür hat er aber seinen kleinen Sohn dabei. „Letzten Sonntag habe ich meine Prüfung abgelegt. Ich habe ein halbes Jahr gebüffelt.“
Mehr als 1.000 Antworten müssen gelernt werden: Die Prüfungsfragen kommen aus fünf Fachgebieten: Fischkunde- und -hege, Pflege der Fischereigewässer, Fanggeräte und deren Gebrauch, Behandlung der gefangenen Fische, einschlägige Rechtsvorschriften. Von 60 Antworten müssen in der Prüfung mindestens 45 stimmen, sechs pro Fachgebiet. Erst dann kann es mit der Rute ans Gewässer gehen.
Fischereirecht ist Ländersache. Und da sind die Regelungen oft unterschiedlich.
In Rostock rollt Dirk Rohjan das Arenbergtuch, die Zielscheibe fürs Trockenangeln, zusammen, verstaut seine Ruten. Er hofft, dass er ein paar Jugendliche für den Castingsport begeistern konnte. Bei der letzten Weltmeisterschaft, 2019 in Tschechien, holte das deutsche Team vier Weltmeistertitel, vier Silber- und frei Bronzemedaillen. 

Angeln als Schulfach

Christoph Witteck berät Angel-Interessierte vor seinem Infomobil. Auf einem Stehtisch liegen zwei dicke Ordner, Unterrichtsmaterial: „Also unser Material, das ist hier explizit für die Dozenten, also die, die das lehren wollen.“
Seit 2021 können Schüler der fünften und sechsten Klassen an einigen Schulen in Mecklenburg-Vorpommern Angeln als Schulfach belegen. Das Unterrichtsmaterial hat Witteck ausgearbeitet. Neun Schulen machen derzeit mit. Wer will, kann am Ende die Fischereiprüfung ablegen.  

Protest von Tierschutzorganisationen

Ein Komplettpaket. Gewässer- und Fischkunde. Doch nicht überall kam dieses Angebot gut an. Einige Tierschutzorganisationen protestierten. Sie betrachten Angeln als Tierquälerei.
Das Wort „Fischmörder“ oder „Tierquäler“ haben fast alle Angler schon einmal zu hören gekriegt. Auch Robert Arlinghaus musste sich schon für sein Hobby und seine Arbeit beschimpfen lassen. „Einen unbelehrbaren Angler, getarnt als seriösen Professor“, nannte ihn ein Vertreter der Tierschutzorganisation PETA. Seit Jahren kämpft die für ein Verbot des Freizeitangelns.
Arlinghaus nimmt es gelassen: „Wenn man die Menschen einfach fragt, was für Bilder entstehen, wenn man das Wort Angeln hört, dann ist das so: Zu etwa 20 Prozent der Bevölkerung entstehen dort negative Bilder ganz unterschiedlicher Couleur. Das ist doch langweilig. Der Bier trinkende Mann, Tierquälerei. Die Mehrzahl auf der anderen Seite assoziiert Angeln mit positiven oder mit indifferenten Bildern.“
Auch wenn die meisten der Befürworter, das hat Arlinghaus ebenfalls herausgefunden, nicht wissen, welche Aufgaben, etwa bei der Gewässerpflege, Angelvereine noch wahrnehmen.
Zusammen mit den Anglern vor Ort: Dass dabei die wissenschaftliche Erkenntnis nicht immer mit dem Angler-Selbstverständnis einhergeht, nimmt Arlinghaus in Kauf. Die Jagd auf möglichst große Fische etwa ist ökologisch kontraproduktiv, haben er und seine Mitarbeiter nachgewiesen.
Eine bittere Botschaft für die Anglerzunft: "Der Fisch kann nicht groß genug sein, darum ranken sich auch die Stories. Das ist also wirklich fürs Angler-Wohlergehen relevant. Gleichzeitig ist die Fischgröße in Beständen aber auch der sensibelste Indikator für Überfischung."

Mindestmaße für bestimmte Fischarten

Bisher legen die meisten Fischereiordnungen der Länder sogenannte Mindestmaße für bestimmte Fischarten fest. Ein Hecht zum Beispiel muss in Berlin und Brandenburg mindestens 45 Zentimeter lang sein, ein Aal 50 Zentimeter. Erst dann darf die Beute mit nach Hause genommen werden.
Arlinghaus schlägt nun sogenannte „Fangfenster“ vor. Ein Hecht etwa dürfte dann nur in einer Größe von 45 bis 75 Zentimeter mitgenommen, größere Exemplare müssten wieder zurückgesetzt werden. Viele Angler haben diesen Vorschlag entrüstet zur Kenntnis genommen, weiß Arlinghaus.
„Aber Hamburg hat es jetzt tatsächlich flächendeckend eingeführt. Es gibt aber flächendeckend Beispiele von Angelvereinen, von Berufsfischern, die das für ihre Gewässer in ihren Gewässerordnungen installieren. Kollegen haben das untersucht, gerade in Niedersachsen. Da machen 20 Prozent der Angelvereine das schon.“

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