Angeln als Schulfach in Mecklenburg-Vorpommern

Nichts für sensible Eltern

08:28 Minuten
Mehrere Kinder stehen auf einem Steg an einem See. Jeder hat eine Angel und ein älterer Mann leitet die Kinder an.
Mecklenburg-Vorpommern führt Angeln als Wahlpflichtkurs an Schulen ein. © picture-alliance / dpa / Nestor Bachmann
Von Silke Hasselmann · 16.09.2021
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Angeln als Unterrichtsfach gibt es ab diesem Schuljahr in Mecklenburg-Vorpommern. Kritiker nennen es Erziehung zur Grausamkeit. Doch Schüler lernen dabei nicht nur zu angeln, sondern viel über die Tiere und über den Wert des Lebens.
Dienstagnachmittag kurz vor 14 Uhr am Ufer des Hagenower Mühlenteichs. In gebührendem Abstand voneinander nehmen Sechstklässler der Ganztagsschule Aufstellung und versuchen, ihre Stippe zusammenzubauen. Diese kleine Angelrute ist für Friedfische, erzählt Moritz. Und Jannik ergänzt, man könne am Mühlenteich damit hauptsächlich Plötze und Rotfedern fangen.

Löcher am Po

Christoph Witteck und Kilian Neubert vom Anglerverband Mecklenburg-Vorpommern sind auch dabei. Beide verteilen Dosen mit gelblichen Maden, die sich eigentlich zu Fliegen entwickeln wollten, nun aber als Fischköder enden.
"So, Achtung! Bei den Maden seht ihr zwei kleine Löcher hinten am Po. Ich komme auch noch mal rum und zeig es euch: Die werden an der Stelle auf den Haken gespießt. Dann hängt die Made unten und bewegt sich richtig schön. Die soll ja leben, denn die soll ja auch Fische anlocken."
Vor zweieinhalb Jahren haben die beiden Diplombiologen an zwei Ganztagsschulen in Mecklenburg-Vorpommern getestet, ob und wie Angeln als Schulfach funktionieren könnte. Die Mischung aus Theorie und Praxis kommt gut an, bei der vieles hineinspielt: Geografie, Gewässerkunde, auch Physik und Mathematik.
Wie nebenbei lernen die Angelschüler, die Fließgeschwindigkeit von Angelgewässern zu berechnen, die passenden Bleigewichte für den Angelhaken zu bestimmen und Tiefen auszuloten.
"Normalerweise sind die richtig großen Fische gern nah am Boden. Und wir müssen die Pose so einstellen, dass der Köder am besten nah über dem Grund schwebt, sodass die Fische, die nah am Grund schwimmen, sagen: 'Oh, lecker Köder!' Und dann wollen sie den fressen. Wenn der zu weit oben hängt, kommen die da gar nicht ran."

Sezieren toter Tiere

Außerdem wird über den Angelunterricht wieder das angeboten, was einst fester Bestandteil des Biologie-Lehrplanes war: das Sezieren toter Tiere. Heute scheitert das aber häufig am Einspruch sensibler Eltern. Dabei erhalten die Schüler einen unverstellten Blick auf das Körperinnere und die Anordnung der Organe.
Das alles plus die Möglichkeit für die Schüler, am Ende den Fischereischein machen zu können, überzeugte das Schweriner Bildungsministerium. Es gestattete den Schulen in Mecklenburg-Vorpommern ab diesem Schuljahr, Angeln als Wahlfach anzubieten. Die erste Lerneinheit ist die Gerätekunde, so Christoph Witteck.
Ein Junge sitzt an einem See auf einem Klappstuhl. Vor sich hat er eine Angel. In der Hand hält er eine Scheibe Brot.
Kinder können an ihrer Schule in Mecklenburg-Vorpommern jetzt auch den Fischereischein machen. (Symbolbild)© Imago / Frank Sorge
Die Schüler sollen die einzelnen Angelgeräte kennenlernen, deren Aufbau und Montage. Danach geht es zur allgemeinen Fischkunde, erzählt Witteck. Das seien die Grundlagen, damit die Schüler lernen, die Tiere entsprechend des Naturschutzes zu behandeln. "Also wenn man den Fisch abhakt und liegen lässt und nicht weiß, dass der dann qualvoll ersticken würde da im Gras, dann wäre das natürlich dem Ganzen nicht zuträglich."

Demut vor dem Tier vermitteln

Wittecks Verbandskollege Kilian Neubert hat das Lehrmaterial entworfen und getestet. Die Schüler sollen verstehen, wenn sie ein Stück Fleisch essen, dass das mal ein Tier war. So sei das Angeln eine gute Möglichkeit, ein bisschen Demut zu vermitteln. "Das hat nichts damit zu tun, eine Packung aufzureißen und eine Wurst rauszuholen, sondern das war wirklich mal ein Tier. Das kann man mit dem Angeln sehr gut vermitteln, und das wollen wir auch machen", sagt Neubert.
Seit dem Schulbeginn Anfang August führen bereits acht Ganztagsschulen Wahlkurse rund ums Angeln durch. Für 15 weitere interessierte Schulen bereitet der Landesanglerverband derzeit Kooperationsverträge vor oder sucht Angler oder Fischer, die sich einen Unterricht zutrauen.

Kritik am Angelunterricht

Das Lehrmaterial kommt kostenlos vom Landesanglerverband. Ebenso Handreichungen für den Fall, dass wieder einmal jemand meint, Angeln als Schulfach sei "Erziehung zu Grausamkeit". Mit dieser Behauptung hatte der radikale Tierschutzverein PETA die Einführung des Angelunterrichtes an Schulen kritisiert.
Zwei Kinder angeln an einem Dorfteich. Einer hält ein Kescher in der Hand, der andere eine Angel.
Wer in Mecklenburg-Vorpommern über 14 Jahre alt ist und angeln will, braucht einen Fischereischein. (Symbolbild)© Imago / Frank Sorge
Tatsächlich lernen die Kinder, dass sie den Fisch, wenn er das richtige Maß hat und sie ihn behalten wollen, getötet werden muss. In Hagenower meint eine Schülerin, es sei schon ein bisschen grausam, aber für uns Menschen sei es gut. Ein Junge sieht es ganz rational.
"Also eigentlich ist es ganz normal. Die Tiere, die wir essen - also Schwein oder Rind -, werden auch getötet. Das ist bei den Fischen ganz genauso: Man betäubt sie waidgerecht und sticht dann ein Messer im besten Fall ins Herz oder in die Kiemen."

Fische zurücksetzen

Ein schwieriges Thema, das die Angellehrer am besten gleich von sich aus ansprechen sollten, empfiehlt Christoph Witteck. Er klärt von vornherein, dass die Schüler nicht gezwungen werden, die Fische zu töten oder auszunehmen. Aber er verweist auch darauf, dass man nicht darum herumkommt, wenn man angeln möchte und den Fisch verwerten will.
Er macht den Schülern aber auch klar, dass man Fische auch wieder zurücksetzen kann, wenn sie noch nicht das Mindestmaß haben. Das gilt auch, wenn man einen großen Karpfen von mehreren Kilo gefangen hat, aber ihn allein gar nicht verwerten kann. Auch dann könne man den Fisch wieder zurücksetzen, sagt Witteck. Man müsse immer die Relation beachten.

Infomobil fährt zu Schulen

Ortswechsel. Auf dem Hof des Anglerverbandes in Görslow bei Schwerin wartet ein weißer Kleinbus darauf, für Exkursionen angefordert zu werden. Das Fahrzeug ist mit Natur- und Angelmotiven beklebt. Es ist das Infomobil für "Angeln macht Schule". Mit wenigen Handgriffen verwandelt Christoph Witteck das Fahrzeug in ein Minilabor samt Infostand. Christoph Witteck öffnet die Seitenklappe wie bei einem rollenden Bäcker- oder Fleischerstand.
Rund 20 Schulexkursionen haben die Kollegen vom Landesanglerverband MV in diesem Schuljahr schon unterstützt und dabei auch mit Versuchsreihen und jeder Menge Infomaterial für "Angeln macht Schule" geworben.
Das Bild zeigt das Infomobil des Anglerverbands. Christoph Witteck öffnet an der Seite eine Klappe, wie bei einem Verkaufswagen.
Mit dem Infomobil fährt Christoph Witteck zu Schulen und informiert über das Projekt "Angeln macht Schule".© Silke Hasselmann
"Hier sind zum Beispiel die Infoblätter 'Gewässerkunde' und hier die Fisch-Steckbriefe aus der speziellen Fischkunde. Das sind recht viele, 48 oder so. Aber sie umfassen noch nicht alle Fischarten, die wir in Deutschland haben. Also eine kleine Auswahl von Fischen, die dann für die Fischereiprüfung besonders relevant ist."

Fischereischein ist Pflicht

Die Fischereiprüfung müssen in Mecklenburg-Vorpommern alle ablegen, die 14 Jahre oder älter sind und angeln wollen. Das hat Konsequenzen für die Schulen, die Angeln als Wahlfach anbieten und sich fragen, für welche Altersklassen es am besten geeignet ist. 14-Jährige dürften schon nicht mehr mitmachen - jedenfalls nicht die Rute ins Wasser halten, sagt Christoph Witteck:
"Also 7. Klasse geht noch, aber ab der 8. Klasse wird es kritisch. Denn sobald da jemand 14 Jahre alt ist, dürfen wir den nicht mehr am Gewässer angeln lassen - auch nicht im Rahmen eines solchen Unterrichts. Im Gesetz heißt es, der Fischereischein ist ab 14 Jahren in Mecklenburg-Vorpommern Pflicht. Und darüber können wir uns nicht hinwegsetzen."
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