Andrea Abreu: „So forsch, so furchtlos“

Ein Sommer dreckig und frei

06:29 Minuten
Auf einem Buchcover ist neben dem Buchtitel und dem Namen der Autorin das Foto einer Frau und eines Jungen zu sehen.
© Verlag Kiepenheuer & Witsch

Andrea Abreu

Aus dem Spanischen übersetzt von Christiane Quandt

So forsch, so furchtlosKiepenheuer & Witsch, Köln 2022

192 Seiten

20,00 Euro

Von Änne Seidel  · 16.07.2022
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Die zwei Freundinnen leben auf Teneriffa. Während ihre Eltern die Zimmer und Pools der Touristen putzen, entdecken beide ihre Sexualität. Andrea Abreus Coming-of-age-Roman „So forsch, so furchtlos“ ist ein vielschichtiges und gewaltiges Debüt.
Sandstrände vor malerischem Vulkanpanorama, Hotels mit Pool und Palmengarten: So präsentiert sich die Urlaubsinsel Teneriffa im Reisekatalog. Dass das nur die halbe Wahrheit ist, wird in Andrea Abreus Roman „So forsch, so furchtlos“ schon auf den ersten Seiten klar: Das Buch spielt in einem Bergdorf auf der Kanareninsel, wo sich die Häuser am Hang des Vulkans stapeln und die Gärten nach Katzenkacke stinken.
Der Strand liegt in Sichtweite, ist aber doch unerreichbar weit weg. Unten, am Meer, leben die Reichen und Schönen, hier oben am Hang leben diejenigen, die für die Touristinnen und Touristen Pools und Hotelzimmer putzen. So wie die Eltern der Protagonistin des Romans.

Beste Freundinnen, große Ferien

Sis wird sie von ihrer besten Freundin Isora genannt. Es sind Sommerferien und die beiden träumen vom Strand und vom Schlanksein. Dabei sind sie eigentlich ganz anders als die Mädchen in den Telenovelas oder den Modekatalogen: Sie streifen durch die Gärten und den Wald, spielen im Schlamm, haben Flohbisse, pulen ihre Unterhosen aus der Poritze, benutzen ständig Schimpfwörter.
Ein bisschen sind sie wie verwilderte Katzen: immer etwas dreckig, aber dafür sehr frei, zumal die Erwachsenen kaum Zeit haben, sie zu beaufsichtigen, da sie bei der Arbeit oder im Haushalt beschäftigt sind.
Die Freundschaft dieser beiden Mädchen steht im Zentrum des Romans, der aus der Perspektive von Sis erzählt wird. Es ist eine innige, aber auch etwas ungleiche Beziehung: Sis, die Icherzählerin, bewundert Isora, die „so forsch, so furchtlos“ durchs Leben geht, die immer sagt, was sie denkt und die alle berühmten Leute aus den Magazinen mit Namen kennt.

Aufkeimende Sexualität

Da ist aber noch mehr als nur freundschaftliche Bewunderung: Sis liebt auch Isoras grüne Augen und ihren Körper, träumt davon, ihn mit Sonnencreme einzureiben. Die Mädchen stehen an der Schwelle zur Pubertät und entdecken in diesem Sommer auch ihre Körper und ihre Sexualität. Dabei sind sie manchmal albern und vulgär, manchmal aber auch sehr zart und verletzlich.
Autorin Andrea Abreu beschreibt diesen besonderen Gemütszustand an der Schwelle zum Erwachsenwerden in einer ganz eigenen, sehr passenden Sprache: Sie mischt vulgären Slang mit höchst poetischen Bildern, scheinbar mühelos wechselt sie zwischen beidem hin und her.
Diese authentische Sprache sorgt dafür, dass die Lesenden den Romanfiguren sehr nahekommen – manchmal fast zu nahe: Wenn wir Sis und Isora in ihren intimsten Momenten erleben, hat das unweigerlich etwas Voyeuristisches.

Touristischer Blick

Dass das Buch nun auch außerhalb von Spanien, etwa in Ländern wie Deutschland, gelesen wird, verstärkt diesen Effekt noch: Denn die neue Leserschaft dürfte zum Teil deckungsgleich sein mit den Menschen, die zur Urlaubszeit die Hotels auf Teneriffa bevölkern.
Nun schauen also auch die Touristinnen und Touristen Sis und Isora beim Erwachsenwerden zu und betreten damit eine Welt, zu der sie eigentlich keinen Zutritt haben – von der sie vielleicht nicht mal wussten, dass sie existiert.
„So forsch, so furchtlos“ ist damit definitiv mehr als nur ein weiterer Coming-of-age-Roman: Es ist ein vielschichtiges und gewaltiges Debüt einer sehr jungen Autorin, von der wir sicherlich noch hören werden.

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