André Aciman: "Fünf Lieben lang"

Wenn die Liebe zur falschen Zeit kommt

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Zu sehen ist das Buchcover zu "Fünf Lieben lang" von André Aciman
Was macht die Zeit mit der Liebe? In André Acimans Roman bleibt vieles unausgesprochen. © dtv
Von Birte Mühlhoff  · 15.11.2019
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Nach dem Kinoerfolg von "Call Me By Your Name" gibt es einen neuen Roman des amerikanischen Bestseller-Autors André Aciman. "Fünf Lieben lang" erzählt vom Versuch der Liebe zu Frauen und Männern - und von ihrem Scheitern.
Es lässt sich gar nicht genau sagen, ob André Aciman in seinem neuen Roman fünf einzelne, miteinander nur lose verschränkte Liebesgeschichten erzählt oder die Lebensgeschichte eines Mannes. In jedem Fall aber wäre es eine Lebensgeschichte ohne Anspruch auf Vollständigkeit, ohne "richtige Reihenfolge", dafür aber mit größtmöglicher Ehrlichkeit.
Als 22-Jähriger kehrt Paul auf die italienische Insel zurück, auf der er so viele Sommer seiner Kindheit verbracht hat. "Seinetwegen bin ich wieder hergekommen" muss er sich eingestehen, seinetwegen: wegen des jungen Schreiners Giovanni, in den Paul sich auf kindliche Weise verknallt hat, als er 12 Jahre alt war. Giovanni ist seine erste Liebe – und ein Versprechen, das niemals eingelöst wird, eine Liebe zum falschen Zeitpunkt.

"Wir lieben nur einmal im Leben"

"Wenn mir im Bus, auf einer belebten Straße, in einem gut besuchten Konzertsaal ein paarmal im Jahr jemand begegnet, der dir ähnlich sieht, ob Mann oder Frau, dann macht mein Herz noch heute einen Satz. Wir lieben nur einmal im Leben, hatte mein Vater gesagt, manchmal zu spät, manchmal zu früh; die anderen Male ist die Liebe immer ein bisschen herbeigezwungen."
Ein bisschen herbeigezwungen wirkt Pauls Beziehung mit Maud, einer erfolgreichen Geschäftsfrau in New York. Maud weiß noch nichts von Manfred, dem stillen athletischen Deutschen, den Paul jeden Morgen beim Tennis trifft. Aber auch bei Paul dauert es zwei Jahre lang, bis er versteht, was er Manfred gegenüber empfindet.

Nicht alles wird auserklärt

Und noch viel länger dauert es, ein ganzes Leben lang, bis er seinen Frieden damit schließt, dass er mit Chloé, seiner besten Freundin aus Studienzeiten, niemals zusammen kommen wird. Sie lieben sich, halten es miteinander aber nicht länger als zwei Tage aus.
Als Paul alt geworden ist, versucht er noch einmal die Zeit zurückzudrehen. Er ist fasziniert von einer jungen, ambitionierten Journalistin und lädt sie zum Essen ein. Da fühlt er sich plötzlich wieder so unsicher wie der Zwölfjährige, der er einmal war. Paul versucht im Nachhinein die Zeichen zu deuten, sich einen Weg durch das Dickicht seiner Gedanken und Phantasien zu bahnen. Was macht die Zeit mit der Liebe? Nicht alles wird auserklärt, vieles bleibt unausgesprochen, rätselhaft – "Enigma Variations" heißt der Roman im amerikanischen Original.

Das Klischee und das Komplexe

Wie schon in "Call Me By Your Name" ist das Milieu, in dem sich der Ich-Erzähler bewegt, wohlhabend und hochgebildet. Mit seinem Vater intoniert der Zwölfjährige allabendlich die Diabelli-Variationen von Beethoven. Das hat etwas Schönes, Verträumtes. Es wirkt wie aus der Zeit gefallen. Dass Paul und Chloé in Studienzeiten gemeinsam George Orwell ins Altgriechische übersetzt haben, ist dann aber doch etwas prätentiös.
Ist es ein unerwarteter Twist oder ein ausgelutschtes Ehe-Klischee, dass Paul schließlich keine seiner großen Lieben heiratet, sondern eine Frau, die nur eine Randfigur war? Acimans Kunstfertigkeit besteht gerade darin, das Klischee mit dem Komplexen zu verbinden.

André Aciman: "Fünf Lieben lang"
Aus dem Amerikanischen von Christiane Buchner
dtv, München 2019
352 Seiten, 22 Euro

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