Fremde

Schimpfen wie ein Maschinengewehr

Cafe de 2 Moulins in Paris (Foto vom 29.12.2010). Foto: Marc Müller dpa
in einem kleinen französischen Cafe trifft der jüdische Ich-Erzähler auf einen tunesischen Taxifahrer - der eine schüchtern, der andere das genaue Gegenteil. © picture alliance / dpa / Marc Müller
Von Jörg Plath · 19.06.2014
Der amerikanische Autor André Aciman weiß, was es bedeutet als Fremder in eine Gesellschaft zu kommen: Er wurde in Ägypten geboren, zog mit seiner Familie nach Rom und mit 19 nach New York. Sein neuer Roman behandelt das Fremdsein und die Suche der ethnischen Außenseiter nach Dazugehörigkeit.
"Zwei Seelen wohnen, ach, in meiner Brust." Diesen Seufzer aus Goethes "Faust" hätte der ägyptische Schriftsteller André Aciman seinem neuen Roman voranstellen können. Sein Ich-Erzähler ist ein junger, jüdischer Student, der sich an der Harvard Universität auf die Wiederholung seiner Promotion vorbereitet, von Panik geschüttelt, erneut zu versagen und dann die USA verlassen zu müssen. Als Ausländer lebt der schüchterne, introvertierte junge Mann in ständiger Furcht anzuecken. Er fühlt sich im Kreise der amerikanischen Studenten verloren, ist einsam und todunglücklich.
Eines Tages trifft er in einem kleinen französischen Cafe den tunesischen Taxifahrer Kalasch, einen Moslem. Der ist genau das Gegenteil von ihm: ein übersprudelnder, mit nichts und niemandem zufriedener Mann, der alle beschimpft. Wie ein Maschinengewehr spuckt er seine Tiraden aus, deswegen sein Spitzname Kalaschnikow. Bisweilen geht einem das wie auch dem Ich-Erzähler auf die Nerven. Kalasch ist zudem ein Frauenheld, will aber keine Bindung eingehen, und lebt in Scheidung. Seine besondere Fähigkeit: Er kann scheinbar mühelos die Gedanken und Gefühle seiner Mitmenschen lesen. Unter der polternden Oberfläche steckt ein sensibler Mann mit verblüffender Menschenkenntnis.
Selbstfindung mit feiner Ironie
Die widersprüchlich wirkenden Charaktere spiegelt André Acimans Stil wider, der mal einfühlsam und bedächtig Seelennöte beschreibt, dann temporeich und giftig daherkommt. Der Schriftsteller liebt zudem Wortwechsel. Allmählich lässt er den Moslem und den Juden zu Freunden werden. Der Ich-Erzähler fühlt sich intensiv zu Kalasch hingezogen. Dessen extrovertiertes Verhalten steckt auch in ihm. Manchmal würde er gerne wie Kalasch wütend und zornig um sich schlagen. Er traut sich nur nicht.
Zugleich spürt der Student hinter der ruppigen Fassade die Verletzlichkeit des Taxifahrers, der fürchtet, demnächst abgeschoben zu werden und sich nach nichts mehr sehnt, als akzeptiert zu werden als Einwanderer. Die Verwandtschaft der Seelen und die Ähnlichkeit ihrer Situation als Ausländer begründet eine intensive Freundschaft. Der Ich-Erzähler lernt durch Kalasch, entspannter und gelassener zu werden. Plötzlich hat er Erfolg bei den Frauen. Doch je besser es ihm geht, desto peinlicher wird ihm sein krawalliger Freund. Schließlich verrät er ihre Freundschaft.
André Aciman hat eine Parabel über das Fremdsein geschrieben, über die Suche der ethnischen und kulturellen Außenseiter nach Anerkennung, nach Dazugehörigkeit. Es sind typische Erfahrungen von Migranten in einer Gesellschaft, die sie kaum wahrnimmt, mal mit Verachtung, mal mit Gleichgültigkeit behandelt. Es ist zudem auch eine Art Abrechnung mit der amerikanischen Kultur, eine Mischung aus Bewunderung und Ablehnung. Ein beeindruckender gesellschafts- und kulturkritischer Roman über Selbstsuche und Selbstfindung mit feiner Ironie.

André Aciman: Mein Sommer mit Kalaschnikow
Aus dem Amerikanischen Verena Kilchling
Kein & Aber, Zürich 2014
334 Seiten, 22,90 Euro

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