Angelo Bolaffi: "Deutsches Herz. Das Modell Deutschland und die europäische Krise"
Aus dem Italienischen von Christine Ammann und Antje Peter
Verlag Klett Cotta, Stuttgart
300 Seiten, 21,95 Euro
Lernen vom Modell Deutschland

Den italienischen Philosophen Angelo Bolaffi ärgert, dass Deutschland in Italien oft als Hauptfeind Europas dargestellt wird. Dabei sei Deutschland das Land, das Europa voranbringe - und von dem Italien und andere Staaten lernen können. Sein Buch hat er für Italiener geschrieben, der Blick von außen ist aber auch für Deutsche spannend.
Bolaffi ärgern antideutsche Parolen, wie zum Beispiel: Früher wären die Deutschen mit Panzern gekommen, heute verfolgten sie mit dem Euro das gleiche Ziel. Dabei habe sich keine andere Nation, sagt der Italiener aus jüdischer Familie, so intensiv mit historischer Schuld auseinandergesetzt wie Deutschland. Eine Vergangenheitsbewältigung, die Bolaffi in Italien und anderen europäischen Ländern vermisst:
"Wenn ich in Deutschland bin, wenn ich deutsche Zeitungen lese, wenn ich deutsche Bücher lese - die Auseinandersetzung mit der Vergangenheit ist ständig da. Mir fehlt, etwas ähnlich, wie in Frankreich, wenn wir eine Frau Mussolini im Parlament haben – entschuldige mal! Insofern find ich, man muss etwas Cum grano salis die Kritik an Deutschland. Die schreckliche deutsche Vergangenheit ist da, aber das kann nicht der Vorwand sein, um meine Politik heute zu kritisieren."
Angela Merkel, so der Philosoph, habe schließlich zusammen mit Mario Draghi, dem Zentralbankpräsidenten aus Italien, Europa in der Euro-Krise vor dem Auseinanderbrechen gerettet. Nüchtern, karg, sachlich, hart, wie die Art der Bundeskanzlerin nun einmal sei.

Angelo Bolaffi: "Deutsches Herz"© Klett-Cotta
"Fand ich interessant, dass das einzige Land Europas, in dem sich keine antieuropäische Partei etabliert hatte, Deutschland war. Sonst, wenn man die Kommentare in Italien gelesen hatte und liest, hat man den Eindruck, der Hauptfeind Europas sei Deutschland. Das hat mich sehr gestört."
"Machen wir es doch wie die Deutschen"
Aus diesem Grund schrieb Bolaffi sein Buch, eine packende Streitschrift. Er hat in Deutschland studiert und war bis 2011 Leiter des italienischen Kulturinstituts in Berlin. In "Deutsches Herz" wirft er den eigenen Landsleuten tiefsitzende Mängel an staatsbürgerlichem Bewusstsein vor. Anders die Deutschen. Allein ihr Modell bringt seiner Ansicht nach Europa voran:
"Was ich 'Deutsches Modell' nenne, das heißt: ein Sozialmodell, das auf drei wichtigen Momenten basiert. Wie Sozialpartnerschaft, die Mitbestimmung und die Marktwirtschaft, ein tragfähiges, ökologisches Wachstumskonzept. Diese Momente sind für mich, was ein europäisches Modell charakterisiert. Dann, als ich mich umgeschaut habe, habe ich gesehen, dass andere Modelle, soziale Modelle, wenn Sie so wollen, kulturelle Modelle - in sozialen Modellen steckt immer Kultur - zum Beispiel wie in Italien oder in Frankreich, nicht mehr tragen!"
Das, was Deutschland so stark mache, würden andere Länder gar nicht kennen, sagt Bolaffi. Sozialpartnerschaft zum Beispiel sei in Italien für Viele ein Fremdwort. Er erinnert aber auch daran, dass italienische Politiker früher – etwa wie der Sozialist Bettino Craxi – dem deutschen Modell nacheiferten. Heute heißt es noch oft – trotz antideutscher Stimmung - "machen wir es doch wie die Deutschen".

Der italienische Philosoph Angelo Bolaffi© AP Archiv
"Schauen Sie doch mal: Wenn jedes Mal in Italien eine Reform – sozusagen – angepackt wird, oder in Aussicht gestellt wird, steht immer dahinter "facciamo la alla tedesca": Wollen wir eine Parteireform, müssen wir wie in Deutschland, wollen wir die Arbeitsmarktreform, müssen wir das machen wie in Deutschland. Das heißt, die Idee, dass es dort besser funktioniert als in Italien hat sich schon durchgesetzt."
Der Traum von einem neuen Willy Brandt
Allein es fehle am politischen Willen und Führungsstärke. Eines der vielen italienischen Übel. Strukturreformen scheitern in Italien seit Jahrzehnten. An ihnen kommt das Land jedoch nicht vorbei. Bolaffi befürchtet allerdings, dass Italien noch lange Zeit hinter der europäischen, der deutschen Entwicklung, her hinken werde.
In einem Traum sieht Bolaffi einen Ausweg aus Krise. Er wünscht sich einen Politiker wie Willy Brandt. Mit seinem Kniefall in Warschau veränderte er das Ost-West-Verhältnis. Heute müsste ein neuer Willy Brandt einen Kniefall in Rom machen.
"Ich glaube, Deutschland und Europa brauchen einen neuen Willy Brandt, der nach Rom kommt, auf das Capitol, und eine Europarede hält. 'Jetzt endlich mal Freunde, jetzt wollen wir ein europäisches Haus zusammenbauen'."
"Das Deutsche Herz" hat Bolaffi für Italiener geschrieben. Dennoch: Für Deutsche ist es auch spannend, weil ihnen die Stärken und Schwächen der deutschen Politik in der Krise mit fremdem Blick vor Augen geführt werden. Große historische Sachkenntnis breitet der Autor aus. Er zieht den Leser in seine Schrift, er schreibt provokant und polemisch. Eines aber hat Bolaffi übersehen: Auch in Deutschland gibt es viele Menschen, die mit dem Euro und Europa gar nicht zufrieden sind.